Die Mutter der Mortadella und ihre vereinsamten Kinder

Pasta
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Die Welt verdankt der Hauptstadt der Emilia Romagna die Tortellini, die Mortadella und das Ragù alla bolognese.

Bis vor ein paar Wochen war die Via Fondazza eine ganz normale Bologneser Straße mit kreuzgewölbten Bogengängen und ein paar Läden und Trattorien, die durch keine Besonderheiten von sich reden machte. Außer dass dort in den Fünfzigern ein paar Jahre lang der bekannte Bologneser Maler und Grafiker Giorgio Morandi gelebt und gearbeitet hat, dessen Wohnung Kunstinteressierte nach Voranmeldung besichtigen können.

Doch das sollte sich ändern, als die Straße im vergangenen Dezember im Internet als erste „Social Street“ Italiens ins Rampenlicht rückte – sozusagen als Prototyp einer neuen, lebendigen Art der Nachbarschaft. Die Idee stammt von Federico Bastiani, einem Journalisten und Kommunikationsexperten, der vor zehn Jahren aus der toskanischen Provinz, wo jeder jeden kannte, nach Bologna zog und feststellen musste, dass er in seiner Straße und selbst in seinem Haus nach ein paar Jahren immer noch niemanden kannte, und sein kleiner Sohn niemanden zum Spielen hatte. „Um Leute kennenzulernen“, erzählt der 36-Jährige, „wandte ich mich an meine Arbeitskollegen und Bekannten im Fitnesscenter. Warum eigentlich nicht an meine Nachbarn?“ Bastiani gründete die geschlossene Facebook-Gruppe „Bewohner der Via Fondazzi – Bologna“. Um darauf aufmerksam zu machen, steckte er Handzettel in Briefkästen und klebte sie an Haustore und Säulen – in der Hoffnung, dass der eine oder andere Interesse zeigen würde. „Ich wollte das Gefühl des Miteinander erwecken, wie ich es von zu Hause kenne,“ erklärt er, „dass man jemanden problemlos anrufen oder besuchen kann oder sich auf einen kurzen Austausch oder einen Kaffee in der Bar treffen möchte.“

Die Reaktion übertraf alle Erwartungen. Binnen weniger Tage trugen sich mehr als 90 Personen ein, heute sind es bereits 900. „Manche Ideen wurden schon realisiert“, erklärt Luigi Nardacchione, Ex-Manager eines multinationalen Konzerns und Pensionist, der sich der Initiative mit Leib und Seele verschrieben hat. „Wir haben angefangen, Adressen und Tipps auszutauschen und helfen, wenn Not am Mann ist. Auch Interessengruppen haben sich gebildet, Kinder treffen sich zum Spielen, Erwachsene einmal wöchentlich in unserem Kino.“

Modeerscheinung oder Modell

An Festtagen wie Weihnachten oder Neujahr tauscht man unter den Arkaden die Glückwünsche aus. „Wir sind weder eine Bank noch die Caritas und akzeptieren keine Reklame,“ stellt Nardacchione klar, „wir möchten nur ganz einfach zu dem zurückzukehren, was man früher gute Nachbarschaft nannte.“

Das Experiment hat landesweit Interesse geweckt. Inzwischen gibt es von Mailand über Ferrara und Rom bis Palermo diverse „soziale Straßen“. Auch in Bologna ist man in anderen Stadtteilen dem Beispiel gefolgt. Ob das Experiment nur eine Modeerscheinung ist oder ein Modell für ein besseres Zusammenleben in der Anonymität der Städte, das wird die Zeit zeigen. Jedenfalls steht Bologna für Beständigkeit. Bereits seit Jahrhunderten prägen die Attribute „die Gelehrte, die Fette, die Rote“ das Image der Stadt. An der ältesten Hochschule Europas studierten Geistes- und Naturwissenschaftler, Mediziner und Juristen von Weltruf, Erasmus von Rotterdam, Kopernikus, Paracelsus, Dante Alighieri. Der Dichterfürst war von der reichhaltigen Küche der Region beeindruckt, der Beiname „la grassa“, die Fette, was im Italienischen nicht abwertend gemeint ist, soll Dante geprägt haben. Essen ist in Bologna ein Stück Lebenskunst. Verführerisch dekorieren die Feinkostläden ihre Schätze: Parmaschinken, Aceto Balsamico, Parmesan, Tagliatelle für das Ragù und natürlich Tortellini, die kleinen fleischgefüllten Teigtaschen, die die Bologneser einst erfunden haben – wie auch die baumstammdicke Mortadella, die es hier bereits seit dem 14. Jahrhundert gibt.

„An gedecktem Tisch altert man nicht“, zitiert Franco Rossi, Inhaber eines der bekanntesten Feinschmeckerlokale der Stadt, ein beliebtes italienisches Sprichwort, während er die Speisekarte reicht. Sie liest sich wie der Vorspann zu einem Film mit internationalen Stars, lokalen Hauptdarstellern und unbekannten Talenten. Auch John Grisham schwärmte in seinem Roman „The Broker“ von Rossi. „Bei uns geht man in ein Restaurant, um zu plaudern, zu feiern oder zu verhandeln. Selbst bei politischen Kontroversen“, sagt er, „lässt es sich bei einem Glas Lambrusco besser diskutieren.“

Die Bezeichnung „la rossa“‘, die Rote bezieht sich in Bologna nicht nur auf die politische Couleur der Stadtregierung und ihren traditionellen Ruf als rote „Musterstadt“. Rot ist auch die Farbe der Ziegel, mit denen fast alles gebaut wurde. Von der Spitze der Torre Asinella, die mit der Torre Garisenda eines der Wahrzeichen der Stadt ist, schaut man auf ein Meer feuerroter Ziegeldächer. Die beiden schlanken Riesen sind die Überbleibsel von einst 200 Geschlechtertürmen, mit denen die im Mittelalter in Machtkämpfe verwickelten Adelsfamilien ihre Macht demonstrierten.

Bologna strahlt ein Flair unkomplizierter Alltäglichkeit aus. Anders als in Rom, Florenz oder Venedig braucht man nicht vor den Museen und Kirchen Schlange stehen. Auch das nicht immer optimale Wetter tut man mit einem Achselzucken ab: Man spaziert oder shoppt im Schutz der langen Arkaden. Keine andere italienische Stadt kann in Sachen Laubengänge mit Bologna konkurrieren. Die Längenangaben schwanken zwischen 35 und 40 Kilometer. Ihr Ursprung geht auf ein kommunales Edikt aus dem 13. Jahrhundert zurück, mit dem man die Bürger zwang, in ihre Hauswände Holzbalken einzuziehen, die durch Pfeiler zu Arkaden erweitert wurden, deren Decke als Fußboden von neuen Behausungen dienten. Mit der Maßnahme wollte man Wohnungen unter anderem für die wachsende Anzahl der Studenten schaffen. Eine Mindesthöhe von sieben Fuß war vorgeschrieben, damit man sie auf dem Pferd passieren konnte. Heute bestimmt die Anzahl der Portici, der Bögen einer Hausfront, das Prestige und den Preis der Wohnungen in den Häusern mit.

Achtundvierzig Stunden alla Bolognese

1.Franco Rossi. Dinieren „alla bolognese“ heißt, im Gourmettempel Franco Rossi einkehren. Der Inhaber, mit emilianischem Savoir-vivre die Seele des Hauses, empfiehlt hausgemachte Tortellini in brodo und Tagliata con funghi porcini, tranchiertes Rinderfilet mit Steinpilzen. Mittleres/gehobenes Preisniveau. Reservierung angeraten. Via Goito 3, Tel.: 051-238818
ristorantefrancorossi.it


2.Ristorante Diana. Ungebrochener Beliebtheit erfreut sich das 1937 gegründete Ristorante in Bolognas quirliger Shoppingmeile mit einem Dutzend Kellnern und Köchen und einer angenehmen Terrasse im Freien. Meistgefragtes Gericht: Lasagne verdi und das klassische Bollito misto, gemischter Fleischtopf mit „grüner Sauce“. Ab und zu lässt sich hier Gianni Morandi, gebürtiger Bolognese und einer der bekanntesten italienischen Sänger und Liedermacher, blicken. Mittlere Preislage. Via Indipendenza 24, Tel.: 051/22 81 62
ristorante-diana.it


3.Eataly. Für ein Slow-Food-Ragù alla bolognese, ein saftiges Steak und innovative Speisen bietet sich das Eataly im ersten Stock eines bis 22 Uhr geöffneten Buchladens an. Gut bestückte Wurst-Schinken-Käse-Teller werden in der Osteria del Vino e della Birra im zweiten Stock serviert. Moderate Preise. Via degli Orefici 19, Tel.: 051/095 2820
bologna.eataly.it


4.Teresina. Für kleine Gerichte ebenso wie für ein komplettes Menü ist man im einfachen, modernen Ristorante Teresina gut aufgehoben. Spezialitäten: Lamm, Kaninchen, Perlhuhn mit gegrilltem Gemüse. Interessante Fischangebote. Im nur mittags geöffneten Bistro nebenan kann man mittags zwischen vier ersten Gängen zu je acht Euro wählen. Via Oberdan 4,
Tel.: 051-228985


5.Osteria del Sole. Ein Heuriger in Bologna? Ja: In der Osteria del Sole speist man ausgezeichnet – das Essen muss man aber selbst mitbringen. In der 1465 gegründeten, sehr geerdeten Gaststube kann man seine Semmeln oder Würste auf robusten Holztischen auspacken, am Notebook arbeiten und dazu eine Karaffe Pinot Grigio, Sangiovese oder Lambrusco bestellen. Oder man macht es sich an der Theke bei einem Aperitif und Small Talk mit Einheimischen gemütlich.
Via Ranocchi 1

6.Grand HotelMajestic. Im zentral gelegenen, ältesten und luxuriösesten Fünfsternehotel der Stadt mit elegantem Restaurant, Enoteca und exklusiver Lounge erlebt man Bologna vom Feinsten. Die große, gemütliche und gut beschattete Dachterrasse bietet einen sensationellen Blick über das Stadtzentrum. DZ ab 290 Euro (je nach Saison). Via Indipendenza 8, bookingghmajestic@duetorrihotels.com


7.IPortici Hotel. Cool-minimalistisches Haus, das Jugendstilarchitektur mit einem minimalistischen Einrichtungsstil in Grau-Weiß-Tönen kombiniert und dem Objekte internationaler Künstler einen kreativen Spin verleihen. Renommiertes und einziges Restaurant der Stadt mit einem Michelin-Stern. DZ ab 130 Euro. Via Indipendenza 69,
iporticihotel.com

8.Milennhotel. Eines der meistgefragten Dreisternehotels ist das unweit des Bahnhofs, aber in unmittelbarer Nähe des Montagnola-Parks ruhig gelegene Milennhotel mit sympathischem Frühstücksraum, kleiner Bar und freundlichem Personal. DZ ab 90 Euro. Oft günstige Angebote. Via Boldrini 4,
info@millennhotelbologna.it

9.Tamburini. In dem bekanntesten Feinkostgeschäft der Stadt gibt es alles, was die Emilia Romagna an Delikatessen zu bieten hat, von feinwürzigen Schinkenwürsten über milden Parma-Schinken, Culatello (eine Art handgearbeitete Schinkenwurst aus Zibello bei Parma, begehrt und nicht ganz billig), Parmesan im Stück, Pecorino bis zu kostbaren Ölen und Aceti Balsamici. Probieren kann man die Delikatessen auch in den kleinen, integrierten Imbissstuben. Via Clavature 1.


10.Enoteca Italiana. In der am sortenreichsten ausgestatteten Weinhandlung der Stadt sind mehr als 2000 Kreszenzen aus ganz Italien bis unter die Decke gestapelt. Ein Sommelier berät fachkundig. Der Önothek ist eine kleine Weinbar mit Verkostung und interessanten Snacks angeschlossen. Versand in ganz Europa. Via Marsala 2/B.

11.Schuhmacher. Das unscheinbare Geschäft La Calzoleria i Max e Gio gehört zu den wenigen in Italien, die noch individuelle Herrenschuhe aus edlem Leder nach Maß herstellen. Preis ab ca. 750 Euro, Lieferzeit ungefähr 6 Wochen.
Via dell'Inferno 22.
12.Schuhmanufaktur. Vom Überangebot an globalen Schuhmarken differenziert sich das edel eingerichtete Geschäft Calzature Tessanari mit exklusivem Design in Sachen Damenschuhe – von Sandalen über Stiefeletten bis hin zu Abendschuhen. Via Farini 33.


13.Einrichtungshaus. Il Borgo delle Tovaglie ist eine wahre Fundgrube für – teils von Hand – gefertigte Tisch- und Bettdecken, Deko-Kissen, Handtücher, Lampen, Bilderrahmen und Glas, farblich perfekt aufeinander abgestimmt und leicht kombinierbar. Via Farini 10.

14.Mode. Wer neueste Designermode nach italienischem Geschmack sucht, wird im zweistöckigen Modehaus L'Inde le Palais fündig. Das gut geschulte Personal berät auch in Sachen Taschen und Gürtel dazu.
Via de'Musei 6.
15.Kunst. Nicht verpassen sollte man den Besuch des Palazzo del Podestá, des Rathauses mit der städtischen Kunstsammlung, in der Werke der berühmten Malerschule von Bologna aus dem 14.–19. Jahrhundert ausgestellt sind, und des ebenfalls dort untergebrachten Museo Morandi mit bedeutenden Werken des Künstlers. Die dem Stadtpatron geweihte Basilica San Petronia, ebenfalls auf der Piazza Maggiore, in der 1530 KarlV. zum Kaiser gekrönt wurde, gehört zu den größten Kirchen der Christenheit.

16.Panorama. Der Aufstieg auf den Torre Asinelli, mit dem Torre Garisenda eines der Wahrzeichen der Stadt, lohnt sich: Nach 500 Stufen hat man einen Ausblick über Bologna bis an die adriatische Küste.
Sigrid Mölck-Del Giudice

www.Weitere Infos: bolognawelcome.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2014)

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