Russlands Kriege am Kaukasus: Die verunglückte Zähmung der »Wilden«

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An der Schwarzmeerküste siedelten einst Tscherkessen. Mit der Ankunft der Russen im 19. Jahrhundert brach ein Konflikt aus, der in Vertreibung mündete. 1864 mussten sich die Verbände in Krasnaja Poljana geschlagen geben.

Besucher des Städtischen Geschichtsmuseums Sotschi betreten einen hölzernen Kahn, der sie in die Geschichte zurückführt: Das in den Raum gebaute Boot soll die maritimen Wurzeln der Stadtgründung veranschaulichen. Eine freundliche Dame ruft bei jedem neuen Passagier die Worte: „Betreten Sie unser Schiff. Mit dem Jahr 1838 beginnt die Geschichte der Stadt Sotschi.“

Bevor Sotschi zum Kurort wurde, war es eine Wehrsiedlung. Im Jahr 1838 legten russische Schiffe hier an. Sotschi wurde eines von 17 Forts an der Schwarzmeerküste. Im Frieden von Adrianopel hatte das Zarenreich Zugang zu den Schwarzmeergewässern erhalten, und sein Einfluss sollte ausgebaut werden. Es waren unruhige Zeiten für die hier stationierten Soldaten. Immer wieder kam es zu Angriffen aus dem gebirgigen Hinterland, denn die Russen waren in ein Gebiet eingedrungen, das schon besiedelt war.

Sotschis Geschichte beginnt nicht erst 1838 – doch was davor war, darüber schweigt das Stadtmuseum. Seit Jahrhunderten lebten Kaukasusvölker auf dem Küstenstreifen und im Gebirge. Auf alten russischen Karten aber ist der Name des Gebiets im westlichen Nordkaukasus verzeichnet: Tscherkessia, das Land der Tscherkessen.

Mit dem Vordringen der russischen Kolonialmacht wurden die Tscherkessen in die Enge getrieben. Kosaken siedelten in der Ebene auf ihren einstigen Weiden, auch der Zugang zum Meer wurde durch die russische Kontrolle zusehends abgeschnitten. In den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts lieferten sich Aufständische und Zarenarmee einen aufreibenden Kampf. Die zahlenstärkeren Russen gewannen die Oberhand. Graf Jewdokimow, Befehlshaber der Kuban-Region, soll schon 1861 den Plan gefasst haben, die Tscherkessen aus ihren Siedlungsgebieten zu verjagen. „Ich werde sie in die Türkei vertreiben, wie alle die übrigen Bergler“, wird er zitiert.

Am 21. Mai 1864 mussten sich die tscherkessischen Verbände in Krasnaja Poljana geschlagen geben. Jewdokimows Vision wurde Realität: „Nach dem Ende des Kaukasuskrieges begann die Umsiedlung der Adyger (Tscherkessen) in die Türkei, den Nahen Osten und die Kuban-Ebene“, steht lapidar im Museum. Bei der gewaltsamen Vertreibung kamen mindestens 100.000 Menschen ums Leben.

Heute erinnert in der Urlaubsregion nicht mehr viel an die Ureinwohner – außer tscherkessischen Toponymen wie Sotschi, Anapa, Tuapse. Am 21. Mai gedenken die Nachkommen der Überlebenden der Deportation: Sie geschah vor genau 150 Jahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2014)

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