Lächeln mit dem Dalai-Lama

INDIA TIBETAN PARLIAMENT
INDIA TIBETAN PARLIAMENT (c) APA/EPA/SANJAY BAID
  • Drucken

Unten, in Lower Dharamsala, auf 1220 Metern Seehöhe, ist die spirituelle Erleuchtung zumeist noch recht mäßig: Der kleine Marktflecken liegt nicht selten im Nebeldunst der Ebene und lebt von einem Busbahnhof mit Busbahnhof-Bar.

Unten, in Lower Dharamsala, auf 1220 Metern Seehöhe, ist die spirituelle Erleuchtung zumeist noch recht mäßig: Der kleine Marktflecken liegt nicht selten im Nebeldunst der Ebene und lebt von einem Busbahnhof mit Busbahnhof-Bar, wo auch frühmorgens schon Chai und Aloo Paratha gereicht werden, wem danach ist: Milchtee mit Kartoffelfladenbrot, viel mehr gibt es da nicht. Heizung auch keine, man kauert sich draußen um kleine Feuerchen, bei denen feuchter Müll und frisch getrocknete Kuhfladen ein wenig Wärme liefern. Das Hotel Paradise dahinter ist nur wenig kuscheliger. Hier bleibt keiner länger als nötig, bis auf ein paar dunkle Schemen mit Horn und Huf, die sich auf dem Kotwali-Basar Styroporkartons einverleiben und recht zufrieden wirken.

Kein Wunder, dass alle anderen nach oben wollen: Upper Dharamsala, auch als McLeod Ganj bekannt, liegt 600 Meter höher und ist mit unten längst zusammengewachsen. Der Jeep-Trail braucht dafür mit atemberaubenden Steigungen und einspurigen Serpentinen nicht einmal vier Kilometer, die Umfahrung für Busse mehr als zehn. Asphaltiert bis oben sind sie beide, wenn man die Schlaglöcher wegdenkt. Dahinter beginnen ein paar Allradpisten hinauf zu den Gletschern hinter den Waldkuppen, die irgendwann zu Fußwegen werden: Rechtzeitig vorher umdrehen kann nicht schaden.

Die frühere britische Garnisonsstadt wurde 1905 durch ein Erdbeben dem Erdboden gleichgemacht und dämmerte der Vergessenheit entgegen, bis der 14. Dalai Lama – damals blutjung – 1960 um indisches Asyl ansuchte und sich hier niederließ. Und dann ging's los: Dieses Dharamsala, das oben am Berg nämlich, ist zu einem der wichtigsten Touristenorte Nordindiens geworden, tibetisches Kulturzentrum, Traveller-Enklave und Trekking-Mekka gleichermaßen. Und eines der schicksten Stelldicheins für indische Honeymooner, die an lauschigen Plätzchen wie dem verwachsenen alten Friedhof hinter der Kirche St. John in the Wilderness nicht nur Affen füttern, sondern ein wenig Zeit zu zweit finden wollen. Und das ist in Indien nicht immer leicht, nicht einmal hoch oben.

Kuh sein ist schwer

Ja, es regnet oft dort oben, nicht nur in der Monsunzeit: Kein Wunder, dass der Ruhesitz für verheiratete Offiziere Cloud's End heißt. Richtig, es gibt schönere Orte im Himalaja, mit Aussicht auf nahe Gipfel und Gletscher. Korrekt, es wird viel zu viel gebaut – denn ebene Flecken gibt es nur ein paar hundert Meter entlang der Jogbara Road und der Temple Road, hinunter zum Allerheiligsten, wo im Tsuglagkhang Complex der Photang zu finden ist, die offizielle Residenz des Dalai-Lama, die Namgyal Gompa (Tempel) und das Tibet-Museum.

Zwischen den beiden Straßen, die gerade breit genug für zwei Kälber und einen Tata Nano sind, den Kleinstwagen des indischen Autoherstellers Tata, steht noch eine dritte Häuserzeile, gerade drei Meter breit: Durch die Scheiben des Pilgerfrisiersalons taucht schemenhaft die nächste Kuh auf, die gerade eine ältliche Royal Enfield gegen einen Bananenkarren wirft, was weder dem Motorrad, den Bananen noch dem wackeligen Rinderbaby daneben besonders guttut. Vom Dachgarten des tibetischen Restaurants Tsongkha dazwischen, wo die Momos noch fetter sind und die Nudelsuppen in noch tieferen Schüsseln kommen als sonst wo, überblickt man die ganze Stadt – zumindest die heroben am Grat, fast bis hinüber zur tibetischen Flüchtlingsschule am heiligen Dal-See, wo die Götterfiguren auf den Tretbooten allerdings dringend ein bisschen neue Farbe brauchten.

Ein Tata Nano hat ein Lenkrad, einen Scheibenwischer, vier Räder, zwei Türen und ein Dach. Das war's auch schon, doch um rund 1000 Euro bekommt man auch in Indien nicht mehr als zwei Meter Auto. Und das ist gut hier, denn der Hauptplatz des Pilgerstädtchens am Ortsende ist höchstens siebzig Quadratmeter groß. Wendemanöver enden nicht selten fast im Pastry Palace an der Ecke, wo ein farbenprächtiges Stück Schwarzwälder Kirschtorte um 60 Cent im Angebot ist. Gelegentlich beschließt die Tante der jungen Kuh von vorhin zu kosten, nachdem sie von einem orangefarbenen Pulk Pilger verscheucht wurde, weil sie sich an den kübelgroßen Gebetsmühlen reiben wollte. Kuh sein ist nirgends leicht hier.

Kein Zweifel, dies ist der Hotspot des Städtchens: „We celebrate life daily“, steht da vor dem X-Cite-Nachtklub im ersten Stock, wo es Wasserpfeifen und so manchen Drink gibt, um die Mühsal des Tages zu vergessen: die Wanderungen zum Bhagsu-Wasserfall etwa, oder die Kora (Pilgerweg) durch den Fahnenwald um den tibetischen Kultplatz. In der Dämmerung, abends um 17.30 Uhr, wenn die Tatas allmählich Fernlicht einschalten sollten, hätten sie denn eines, läuft im Hinterstubenkino nämlich „Machete kills“ an, auf Großbildschirm, wie auf handgeschriebenen Plakaten verlautete, bevor der Regen die Schrift verwischt hat. Ein paar deutsche Studenten sitzen da, mit Free-Tibet-Shirts, was sonst. Und dem alten Sadhu, einem der struppigen heiligen Männer hier heroben, ist der Titel ohnedies egal, solange es drinnen trocken ist.

Gegenüber, vor dem Tibetan Career Center, parkt ein Mahindra der örtlichen Tierrettung, wer immer den finanzieren mag. Das Heart Rock Cafe, ein Kellerlokal, hat zwar laut Eingangsschild ganzjährig ganztägig offen, aber heute eben nicht. Volunteers, Freiwillige und Sympathisanten der tibetischen Sache, gibt es offenbar genug: Bis der Dalai-Lama wieder seine öffentlichen Teachings macht, kann man sich auch mit Yoga, Malen und Kochkursen vergnügen, sagen die Traveller im Snow Lion Restaurant bei einer Tasse Mokka Madness, während sie via WLAN nachsehen, wo heute Abend die nächste Yoga-Selbsterfahrung losgehen soll, weil Sangye's Kitchen erst morgen wieder öffnet. Ob der Haufen Schlagobers dazu mit irgendeiner Kuh von vorhin zu tun hat, wissen nur die Götter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.