Die Sägen sind weg, die Schaluppe fährt noch

Umeå, seen from Hamrinsberget
Umeå, seen from HamrinsbergetMikael Lindmark/Wikipedia
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Vor der Kulturhauptstadt Umeå liegt die Stille: die flachen Felseninseln des Archipels von Norrbyskär und Holmön. Doch die Ruhe am Bottnischen Meerbusen währt noch keine 100 Jahre.

Ganz ruhig liegt die Küstenlandschaft der historischen Provinz Västerbotten da. Segel- und Fischerboote, Fähren und Ausflugsdampfer prägen den Verkehr auf dem Meer. Die Uferzone ist ein waldiges Ferienidyll. Heute erscheint dieser Teil der nordschwedischen Küste wieder in ihrer ursprünglichen Gestalt – wie vor dem 19. Jahrhundert, bevor die gewaltigen Bretterhöfe der Holzindustrie das Gesicht der Ufer bestimmt haben. Und Hafenanlagen, Teermeiler, Eisen- und Stahlwerke hinzugekommen sind.

Unweit der Einmündung des Ume-Flusses in den Bottnischen Meerbusen liegt die Inselgruppe Norrbyskär, früher Heimatort des vielleicht größten Dampfkraftsägewerks Europas, der Firma „Mo och Domsjö Aktiebolaget“. Die Arbeitersiedlung ist heute ein Museum.

Letzte Zeichen der Blüte

Auf der Fähre ist auch Maria aus Umeå unterwegs. Die Lehrerin will sich in ihrem Sommerhaus erholen, das sie vor 40 Jahren gekauft und hergerichtet hat. Schon damals seien die arg renovierungsbedürftigen Häuser keine Schnäppchen gewesen, meint sie, und zeigt auf ein paar Objekte, an denen der Zahn der Zeit stark genagt hat. Dennoch kann man die Blüte der Siedlung und der Anlage erahnen: Die frühere Schule ist mit hübschen Zwiebeltürmen verziert. Und wie man im Museum erfährt, waren die Arbeitsbedingungen auf Norrbyskär geradezu vorbildlich für das 19. Jahrhundert. Die Bewohner hatten einen Laden, einen Schuster, einen Fleischhauer, einen Bäcker, einen Tischler, einen Maler, sogar eine Hebamme und eine Damenschneiderin für ihre täglichen Bedürfnisse zur Verfügung. Die Arbeiter auf der Insel waren auch gut versichert. Ende der 1920er-Jahre erreichte der Sägewerksbetrieb seinen Höhepunkt, bewirkt vor allem durch die Umstellung vom Dampfbetrieb auf Elektromotoren. Mehr als 1400 Menschen wohnten und arbeiteten dort. Manche stehen als lebensgroße Pappfiguren im Museum.

Ihre Geister scheinen noch zu existieren. Wenn man auf der Insel herumwandert, federt der Boden unter den Füßen, dafür sorgen die immer noch sichtbaren Holzspäne. Fliesen aus verfallenen Häusern sind zwischen Moosflechten und Eisenbahngleisen zu finden. Holzkähne liegen am Ufer, flache Schiffe, die Holz von der Insel zum Festland brachten, von wo es mit Segelschiffen nach Westeuropa transportiert wurde. Ihre Planken sind bleich und rissig. Die Ankerketten rosten vor sich hin, hauchen langsam ihre Seele aus. Von 20 Ankerplätzen an der Küste Västerbottens brachten die Segelschiffe um 1900 noch jährlich 400.000 bis 500.000 Kubikmeter Schnittholz nach England, Frankreich, Holland, Belgien und Deutschland. Der Hafen, die Transportbänder, Werkshallen und Wohnhäuser von Norrbyskär existieren nur mehr als Modell, denn 1952 wurde das Werk stillgelegt, ein neuer Standort im Süden Schwedens aufgebaut.

Holz, Gold und Energie sind bis heute die wichtigsten Ressourcen Västerbottens. An die Stelle der Dampfkraft ist die Wasserkraft getreten. Wald bedeckt über 60 Prozent der Provinz, sodass Papier heute ein Hauptprodukt ist.

Trotz der holzwirtschaftlichen Entwicklung blieb Västerbotten dünn und dörflich besiedelt. Unter den wenigen Städten nahm nur Umeå eine rasante Entwicklung – zuerst zur Industriestadt, nunmehr zur Dienstleistungs- und Touristenmetropole. Und schließlich zur Europäischen Kulturhauptstadt 2014 („Die Presse“ berichtete).

Ferieninsel mit 60 Bewohnern

Draußen im Meer vor der Stadt merkt man nichts von dem Trubel. Auf der kleinen Inselgruppe Holmöarna leben gerade einmal 60 Menschen, meist Bauern und Pensionisten. Im Sommer aber beleben Touristen die Szenerie, denn Holmö ist die sonnigste Insel Schwedens. Zwei Schwestern aus Stockholm und Umeå verbringen hier jährlich ihren Urlaub. Um etwas Miete zu sparen, helfen die Schwestern den Hausbesitzern, den wurzeldurchzogenen Garten des alten Hauses umzugraben. Mithilfe ist gern gesehen, denn die wenigen Menschen hier schaffen es oft nicht mehr, sich um ihren Besitz zu kümmern. Entweder wohnen sie zu weit weg von ihrem Sommerdomizil oder sind einfach zu alt. Vor Ort zeigt sich ein für Nordschweden typisches Problem: die Landflucht vom Norden in den Süden und in die nahe Stadt Umeå, die einen der schnellsten Einwohnerzuwächse in Skandinavien verzeichnet. Diese Veränderungen wirken sich auch auf die wenigen verbliebenen Kinder aus, die täglich einen Schulweg von zweimal 60 Kilometern mit dem Bus zurücklegen müssen, weil ihre Schule geschlossen wurde.

Vögel und Fichten

Im Hafen liegt eine Schaluppe, um die Besucher weiter in dieses Inselreich zu bringen. Mit ihrem hochgezogenen Bug und Heck erinnert sie an ein Wikingerschiff. Jan, der langhaarige Skipper, träumt davon, nach Schulabschluss den Beruf des Naturführers zu ergreifen, was unter den Jugendlichen in Nordschweden begehrt und vom Ausbildungsangebot her schwierig ist. Schnell zieht Jan die Rahsegel hoch, nach den ersten Metern Fahrt steigt schon ein Seeadler empor. Drei Stunden dauert es bis zur Insel Stora Fjäderägg (Großes Federei). „Im Winter ist die See hier zugefroren“, erzählt Jan. „Wir sind dann mit Langlaufski unterwegs.“

Man mag es kaum glauben, aber in dieser Gegend wurden nicht nur Heringe und Lachse gefischt, sondern von der Steinzeit bis in die 1960er-Jahre Robben gejagt. Heute ist die Robbenjagd verboten – und der Archipel Teil eines Naturreservats mit mehr als 130 nistenden Vogelarten: Auer- und Birkhühner leben in den Wäldern und Mooren, Samtenten und Schmarotzerraubmöwen sind auf dem Meer und auf den Seen häufig zu sichten.

Flach ist die Felseninsel von Stora Fjäderägg, da lohnt sich eine kleine Wanderung durch die niedrigen und nach ätherischen Ölen duftenden Fichten. Ein schmaler, von Krähenbeeren- und Wacholdersträuchen flankierter Weg führt zu einer Beobachtungsstation, die Ornithologen eingerichtet haben. Und wenn man ganz konzentriert ist, hört man auch den Zeisig, den Fitis und das Blaukehlchen. (Kristen Benning/red.)

NATUR-KONTRASTPROGRAMM: WAS TUN IN UMEÅ

Umeå. Die Haupstadt der Provinz Västerbotten nennt sich „Stadt der Birken“. Für eine Stadt mit 76.000 Einwohnern und vielen Studenten im Zentrum hat sie viel zu bieten.

Bildmuseet. Das Museum wurde vom bekannten dänische Architekten Henning Larsen entworfen: ein 36 Meter hoher Turm mit einer Außenhaut aus sibirischer Lärche. Die Gestalter ließen sich von den Birkenalleen und der Wasserspiegelung des Ume inspirieren. Gezeigt wird moderne Kunst.
www.bildmuseet.umu.se

Galerie Anderson Sandström. Der aus Umeå stammende Galerist Stefan Andersson ist so mutig, weit im Norden Europas eine auf internationale Kunst spezialisierte Galerie zu führen. Er organisiert auch den Skulpturenpark Umedalen. www.umedalenskulptur.se

Lilla Galleriet. Eine ambitionierte Galerie mit kleineren Ausstellungen. www.lillagalleriet.se

Galleri Verkligheten. Kunstverein, der Werke ausstellt, aber nicht verkauft, www.verkligheten.net

Västerbottens Museum. Zeigt gerade eine Ausstellung über die Samen. Zudem ist hier einer der ältesten Ski zu sehen – über 5000 Jahre alt. Schön ist das Freilichtmuseum, in dem man viel über die Tradition der historischen Provinz Västerbotten erfährt. www.vbm.se

Aboretum. Am Rand der Stadt pflegen Gärtner einen botanischen Garten mit über 5000 Baumarten. Selbst so nah am Polarkreis ist es möglich, einen botanischen Garten zu unterhalten. www.aboretum-norr.se

Hotel Aveny. Schön designtes Hotel im Stadtzentrum. Viele Ziele von hier aus leicht erreichbar. DZ ab 99 Euro. www.profilhotels.se/hotelaveny/kontakta-oss

Hotell Dragonen. Ebenfalls im Zentrum. DZ ab 167 Euro. www.hotelldragonen.se

Lottas Krug. Günstig sind die Preise in der Gastronomie Umeås durchwegs nicht. Aber gemütlich, etwa wie dieses im englischen Stil eingerichtete Pub, www.lottas.nu

Invito. Gute Pizza und Menüs zu fairen Preisen. Im Sommer ist hier viel Leben. Man sitzt schön draußen auf einem Platz. www.invitobar.se/umea

Allstar. Sportbar im Zentrum. Preise für Speisen sind saftig. www.allstar.se

Restaurant Hotell Forsen. Einige Kilometer außerhalb Umeås in schöner Lage am Vindel älv, einem der wenigen Naturflüsse. www.hotellforsen.se

Elchfarm Älgens hus. Elche treffen in Bjurholm vor den Toren der Stadt. www.algenshus.se

Wilderness Adventure. Natur und Abenteuer erleben beim Wildwasser-Rafting auf dem Vindel älv beim Dorf Vindel einige Kilometer außerhalb Umeås. Der Betreiber ist auf Anfänger eingestellt. www.forsranning.com

Infos: Visit Umeå www.visitumea.se/de, Visit Sweden, www.visitsweden.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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