Tempo, ihr Hunde!

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Eisberge, Walfischsteaks und Hundeschlitten: auf Grönland ist die urbane Zivilisation und ihre Potthässlichkeiten sozusagen nur als Idee vertreten. wie schön, dass man sich hier schnell in die totale Menschenleere retten kann.

Fünfzig Hunde auf dem Startplatzdes härtesten Langlauf-Rennens der Welt, und keiner davon bellt! Grönländische Schlittenhunde sind eine eigene Spezies – ruhig und beherrscht, und wenn sie wirklich mal Töne von sich geben, dann ein lang gezogenes Jaulen, das eher an Wölfe als an Hunde erinnert.

So wie bei binneneuropäischen Familien ein Auto vor dem Haus steht, so selbstverständlich halten sich viele grönländische Familien ihre Schlittenhunde. Zum Beispiel Julias Jeremiasson. Bis vor zwei Jahren fuhr Jeremiasson, 52, mit seinen Hunden nur auf die Jagd oder zum Fischen. Heute bietet er auch Hundeschlittenfahrten für Touristen an. Mit der Verständigung freilich ist es schwierig, denn der 52-jährige Inuk, der beleidigt wäre, wenn man ihn einen Eskimo nennt, spricht nur Grönländisch. Selbst der dänischen Sprache, die in Grönland als zweite Sprache an allen Schulen gelehrt wird, ist er nicht mächtig.

Dafür beherrscht er eine andere Kunst: Er kann die gel-ben, grünen und blauen Leinen, mit denen seine zwölf Schlittenhunde an seinem Holzschlitten, auf dem gut und gerne drei Personen Platz finden, befestigt sind, scheinbar mühelos sortieren und entwirren. Hat sich doch mal ein Hund verheddert, befreit ihn Jeremiasson meist sogar während der Fahrt. Dazu zieht er sämtliche Hunde, die aufgefächert vor den Schlitten gespannt sind, ein Stück an den Holzschlitten heran, bevor er das Tier, das ein Problem hat, aus der Gruppe herausholt.

Schon wenige Minuten, nachdem Jeremiasson mit seinem Gespann die Stadt Sisimiut verlassen haben, scheint die Zivilisation vergessen. Statt Holz- und Steinhäusern, darunter auch etliche unansehnliche Plattenbauten, sind nur noch schneebedeckte Hänge zu sehen. Die Hundeschlittenspur zieht sich durch das unbewohnte Nivarfik-Tal, in dem sich nur erahnen lässt, ob sich unter der Eisschicht eine Wiese oder ein kleiner See befindet.

„Iu“, ruft Jeremiasson mehrmals, als die Hunde zu weit nach rechts ausscheren. Iu steht für links, „ili“ steht für rechts, und „unigiit“ bedeutet stehen bleiben. Eigentlich recht einfach, dennoch kann es bei Gegenverkehr zu Komplikationen kommen. Wenn die Tiere schneller laufen sollen, kommt zuweilen auch die Peitsche zum Einsatz – doch damit schlägt Jeremiasson seine Hunde nicht wirklich, er wirbelt den Lederriemen lediglich gekonnt durch die Luft.

Zwei Gäste aus Deutschland, die Jacken und Hosen aus flauschigem Robbenfell übergezogen haben, genießen die flotte Fahrt auf Jeremiassons Hundeschlitten. Nach gut einer Stunde ist ein Pausenplatz erreicht. Mit hängenden Zungen hecheln die zwölf Hunde etliche Minuten lang, bevor sie langsam abgekühlt sind und sich gemütlich in den Schnee kuscheln.

Sisimiut, der Ausgangspunkt der abenteuerlichen Fahrt durch die Schnee- und Eislandschaft Westgrönlands, ist mit rund 6000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Grönland. Eine Stadt, in der sich die älteste Kirche des Landes befindet, aber auch die hässlichste Plattenbausiedlung. Keine Frage, in Sisimiut, was übersetzt soviel heißt wie die Siedlung an den Fuchslöchern, ist die Zivilisation längst angekommen. Es gibt ein modernes Krankenhaus und ein Chinarestaurant, viele der Bewohner arbeiten in einer Garnelen- und Krabbenfabrik, die zu den modernsten Fischfabriken der Welt gehört. Blaue Linienbusse fahren in verschiedene Ortsteile – und als Beitrag zur Kunst am Bau hat die Gemeindeverwaltung einen kleinen Springbrunnen aufstellen lassen. In den Wintermonaten wird dieser allerdings abgestellt, damit er nicht einfriert. Doch die Grönländer sind praktisch veranlagt – während der Brunnen verwaist ist, nutzt ihn die Gemeinde kurzerhand als Christbaumständer.

Das ursprünglichere Grönland findet sich in kleineren Siedlungen, etwa in dem ehemaligen Walfängerdorf Rodebay, wo weniger als 50 Menschen leben. Hier gibt‘s weder Autos noch Plattenbauten, die wenigen öffentlichen Gebäude werden alle mehrfach genutzt. Die Kirche dient an den Werktagen als Schule, und im Wohnhaus der örtlichen Krankenschwester findet sich auch gleich der Waschsalon des Ortes – Fließwasser in sämtliche Häuser zu legen, wäre bei winterlichen Temperaturen von bis zu minus 40 Grad so einfach nicht. Hier haben Uta und Ingo Wolff vor knapp zehn Jahren das einzige Gasthaus des Ortes eröffnet. Das Ehepaar aus Ostdeutschland, das lange Zeit ein Ausflugsrestaurant im Elstertal betrieb, war fasziniert von der Arktis und nutzte die Gelegenheit, hier eine Existenz aufzubauen. „Die meisten unserer Bekannten haben uns anfangs für verrückt erklärt“, sagt der 52-jährige Ingo Wolff, der in seiner Gaststätte „H8“ statt Thüringer Bratwürste nun Robben- und Walfleisch sowie Heilbutt und Dorschleber anbietet. „Mein Schwiegervater war hier, und es hat ihm so gut gefallen, dass er gesagt hat, wenn er zwanzig Jahre jünger wäre, würde er auch hierher auswandern“. Mit dem Namen seiner Gaststätte hat es eine eigene Bewandtnis: Nachdem Nazideutschland Dänemark besetzt hatte, stand Grönland unter US-amerikanischem Schutz. Um die Insel aus der Luft versorgen zu können, wurde das Land in Planquadrate eingeteilt. Damit die Piloten sehen konnten, wo sie sich befanden, prangte am Dach des roten Holzhauses, in dem Uta und Ingo Wolff heute ihr Restaurant betreiben, in großen Lettern die Bezeichnung „H 8“.

Heute versorgt sich Rodebay wieder ohne US-Hilfe. Zum Einkaufen fährt Ingo Wolff nach Ilulissat – per Boot oder mit dem Schneemobil. „Manchmal brauche ich 45 Minuten, manchmal drei Stunden, je nach Witterung und Schneelage“, berichtet Ingo Wolff.
Ilulissat ist so etwas wie die Tourismushochburg Grönlands. Zwar ist der Kanga-Gletscher, der in den Kanga-Eisfjord kalbt, mittlerweile kleiner geworden – er wirft deutlich weniger Eisberge ab als früher. Dafür steht der Eisfjord, der die touristische Hauptattraktion des 4000-Einwohner-Ortes darstellt, seit 2004 auf der Unesco-Liste des Weltnaturerbes. Das macht Ilulissat nicht nur für Besucher, die sich längere Zeit in Grönland aufhalten, zu einem Muss, sondern lockt auch Kreuzfahrt-Passagiere. 

Elke Meissner, die seit Jahren als deutsche Honorarkonsulin und als Reiserveranstalterin in Ilulissat lebt, kann und will sich ein Leben ohne Eisberge gar nicht mehr vorstellen. „Eisberge gehören hier einfach dazu, so wie in Deutschland der Wald und die Mittelgebirge.“ Wer in Ilulissat lebt, hat Respekt vor den gigantischen, oft 200.000 bis 300.0000 Tonnen schweren Eisbergen, die, wenn sie von der Sonne angelacht werden, in den unterschiedlichsten Weiß- und Blautönen schimmern.

Weitere Information

„Kein Einheimischer würde auf die Idee kommen, auf einen Eisberg zu klettern, denn die Menschen hier wissen ganz genau, wie schnell sie kippen können“, erläutert Elke Meissner, die ein Privatvideo besitzt, das zeigt, wie ein zusammenfallender Eisberg einen regelrechten Mini-Tsunami auslöst. Dennoch gehören Bootsfahrten in die Nähe der Eisberge zu den Attraktionen eines Besuchs in Ilulissat. Da der Eisfjord vor der Mündung in das offene Meer besonders seicht ist, stauen sich die Eisberge regelrecht in der Bucht – ein Anblick, den kein Grönlandbesucher so schnell wieder vergessen wird. Grönländisches Fremden- verkehrsamt in Kopenhagen
Tel: 0045/328 338 80
Fax: 0045/328 338 89
E-Mail: info@greenland.com
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