Ecuador: Schwarzes Wasser

Glücklich. Naturführer Bolivar Cerda vom Stamm der Kachwa, dem die Napo Wildlife Lodge gehört.
Glücklich. Naturführer Bolivar Cerda vom Stamm der Kachwa, dem die Napo Wildlife Lodge gehört.(c) Markus Kirchgessner
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Im artenreichen Yasuní-Nationalpark in Ecuador betreiben
die indigenen Kachwa von Anangu eine eigene Öko-Lodge.

Wackelig. Alles Lebensnotwendige kommt per Boot in die
Wackelig. Alles Lebensnotwendige kommt per Boot in die (c) Markus Kirchgessner
Pittoresk. Die 16 Bungalows der Lodge liegen direkt am Wasser.
Pittoresk. Die 16 Bungalows der Lodge liegen direkt am Wasser. (c) Markus Kirchgessner
Erfrischend. Die Kachwa pressen aus Guaven Fruchtsaft.
Erfrischend. Die Kachwa pressen aus Guaven Fruchtsaft. (c) Markus Kirchgessner

Aufruhr liegt in der Luft. Ein unheilvolles, donnerndes Grollen zieht aus den Tiefen der Wälder heran, es braust über die Lagune, die im Dunst liegt, steigert sich zum mächtigen Sturm und will und will nicht enden: Die Brüllaffen begrüßen gutgelaunt den Morgen. Die Napo Wildlife Lodge liegt eine halbe Flug- und drei Bootsstunden östlich der Hauptstadt Quito im Yasuní-Nationalpark im Dschungel. Wie große, graue Pilze ragen die Palmstrohdächer der Bungalows aus dem Grün. Die Anlage gehört der Gemeinde Anangu vom Stamm der Kachwa. Gegründet wurde sie 1998 von sechs Männern, die nach einer Existenzform suchten, von der das Dorf leben konnte. Nachhaltiger Tourismus schien eine Möglichkeit. Während zweier harter Jahre errichteten sie 16 Bungalows und ein großes Zentralgebäude. Bäume für Bretter und Palmblätter für die Dächer fanden sie vor Ort. Badezimmerarmaturen, Generator, Kühlschränke und Geschirr aber mussten per Kanu den Fluss heraufgebracht werden. Und auch heute noch kommen alle Vorräte übers Wasser – Motorboote sind nach wie vor nicht erlaubt.

Per Kanu geht es auch jeden Morgen hinaus auf einen der vielen Wasserarme, hinein ins große Labyrinth namens Dschungel. Überhängende Bäume spiegeln sich im tiefschwarzen Wasser, Helikonien blühen, eine Süßwassermangrove steht schräg im Morast, als wäre sie im Begriff, abzuwandern. Schon hinter der ersten Biegung lebt der Wald auf und schüttelt sich: 50, 60 Totenkopfäffchen plündern einen Guavenbaum. Wie Kamikazeakrobaten toben sie zwischen den Ästen hindurch, springen schräg hoch, fliegen tief hinunter, und wieder und wieder fängt einer sich erst am allerletzten dünnen Zweig und schaut blasiert herüber: Cool, was? 

In einem Seitenarm legt Natur-Guide Bolivar Cerda plötzlich den Finger auf den Mund. Schon taucht ein schwarz-weißer Kopf aus dem Wasser, ein glitschiger Körper, länger als einen Meter, folgt. Und plötzlich prusten und planschen gleich fünf Riesenotter wie Schuljungen durcheinander. Sie jagen sich, kämpfen spielerisch, doch als einer einen Fisch erwischt, wird aus dem fröhlichem Schnaufen ein erbittertes Knurren, alle reißen sie Fetzen aus der Beute, dass die Gräten nur so krachen. Anderntags führt Bolivar seine Gäste in den Wald auf den sogenannten Tiputini-Pfad. Ringsum erhebt sich eine Säulenhalle aus grün-weißen Pfeilern, die mit mächtigen Dreieckswurzeln im Grund verankert sind. Die Kapokbäume leben auf großem Fuß. „Wenn ihr einmal im Dschungel übernachten müsst, wäre es keine gute Idee, sich in die Höhlen zwischen den Wurzeln zu legen“, sagt der Führer. „Jaguare haben oft die gleiche Idee.“ Ameisennester hängen wie braune Ballons von den Ästen, im Moos wachsen winzige Pilze mit weißen Stecknadelköpfen und Bolivar, der Augen und Ohren überall hat, greift sich blitzschnell einen millimetergroßen, türkis-bronzenen Giftfrosch. Fühlt der sich in Gefahr, wirft er sich auf den Rücken und spielt tote Amphibie.

Bolivar findet kastaniengroße Taguanüsse, „pflanzliches Elfenbein“, aus dem die Kichwa Knöpfe und Anhänger schnitzen. Im Innern einer Palme wachsen die Maiones heran, vier Zentimeter lange Maden, die gegrillt nach angebranntem Gummi schmecken, aber ein wichtiger Eiweißlieferant sind. Etwas entfernt befindet sich eine sogenannte Salzlecke. Man hört den Lärm schon geraume Zeit, bevor man ankommt. Dann traut man seinen Augen kaum: Dutzende Papageien und Sittiche drängen sich in einer braunen Kuhle am Fuß einer Lehmwand.
Neuankömmlinge suchen sich flügelschlagend einen Platz in dem Gewirr, andere heben wasserstiebend wieder ab. Die Luft flirrt von Grün und Gelb und Türkis, und manchmal leuchtet es Tieforange dazwischen auf. Der Grund für diese tägliche Versammlung ist ein medizinischer: Einmal am Tag kommen die Aras aus bis zu 30 Kilometern Entfernung, um mit dem Lehm Salze und Mineralien aufzunehmen. Die brauchen sie dringend zur Verdauung mancher Samen und Früchte.

Gefährlich. Für die Kachwa ist der Dschungel Lebensmittellager, Schmuckboutique und Apotheke zugleich. Wie schnell er aber auch zur grünen Hölle und zum Grab werden kann, verrät Bolivar bei der Rast. Vor Jahren lief ihm mitten im Wald unvermutet eine Herde Pekaris, Nabelschweine, über den Weg. Ein Eber schlitzte ihm mit seinen Hauern die Wade auf, fünf Stunden schleppte er sich blutend zurück zum Dorf. Die tiefen Narben an seinem Bein lassen keinen Zweifel. Am letzten Tag geht es hoch hinauf. Mitten im Dschungel haben Spezialisten neben einem Kapok-Baum ein stählernes Turmgestell errichtet. Treppen führen 38 Meter hoch und hinüber auf eine Plattform im Wipfel des Riesen. Orchideen blühen im Moos, Eidechsen sonnen sich, die ausladenden Äste tragen keine Blätter, sondern nur die dicken, baumwollähnlichen Flocken der Früchte. Rundum erstreckt sich das grün-graue Meer des Waldes bis zum Horizont, die Sonne glitzert metallisch auf Milliarden von Blättern.
Bolivar baut das Spektiv auf und wieder gelingt es ihm, im grünen Einerlei farbige Abweichungen auszumachen: Da sitzt ein Tukan, einer jener bunten Vertreter, bei denen man sich immer fragt, wie sie es mit ihrem mächtigen Schnabel fertigbringen, nicht vornüber zu kippen. Drei Aras ziehen vorüber, schillernde Geschöpfe, die nur auf der Welt zu sein scheinen, um bewundert zu werden. Und ein Fledermausfalke wartet geduldig auf Libellen, unvorsichtige Vögel und den Einbruch der Dunkelheit.

Von einem Moment zum anderen setzt der Abend ein. Es geht zurück aus der klaren, moskitofreien Luft hinunter ins dumpf-modrig Süße, anschließend mit dem Kanu durch den Sumpf. Der schwarze Spiegel des Wassers verdoppelt Palmen, Helikonien und Mangroven. Große Fledermäuse sind jetzt unterwegs, die Frösche huldigen den ersten Sternen. Rundum ein Glucksen und Gurgeln, immer wieder hört man ein Wälzen im Wasser, einen Schwall, ein zu Tode erschrockenes Fiepen. Und während das Kanu der Lodge zugleitet, erfüllen zwei Arten von Gefühlen den Besucher: Dankbarkeit, dass er dieses grüne Universum kennenlernen durfte. Und eine vage Hoffnung, dass die Welt irgendwann doch versteht, welchen Verlust sie erlitte, sollte ihr diese Kostbarkeit eines Tages abhandenkommen.

Tipp

Bitter. Askinosie-Schokolade aus ecuadorianischen Kakaobohnen.

Bequem. Trekkingschuh Men‘s Grand Traverse von Vasque.

Ubiquitär. Vor allem bei Männern: Taschenmesser.

Anreise: Wien–Quito–Wien mit Iberia über Madrid (circa 1600 Euro), günstiger mit American Airlines über Madrid und Miami (circa 1300 Euro).

Napo Wildlife Center: Um nach Anangu zu gelangen, fliegt man von Quito nach Coca (circa 170 US-Dollar). Dort holen die Betreiber der Lodge ihre Gäste per Boot ab. Vier Tage zu zweit oder dritt in einem der Bungalows kosten ab 820 US-Dollar p. P. Enthalten sind der Transport ab und bis Coca, Übernachtungen mit Vollpension und alle Aktivitäten und Führungen. napowildlifecenter.com

Veranstalter: Windrose Finest Travel. Die Napo-Lodge kann zu einer Ecuador- & Galapagos-Rundreise dazugebucht werden. windrose.at

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