Die Rückkehr der Löwen

Wildes Afrika:
Wildes Afrika:(c) ORF (Richard Kirby)
  • Drucken

Malawi träumt von einer Zukunft als Safariland mit den Big Five. Das kleine Land hat in den vergangenen Jahrzehnten vor allem durch Wilderei fast alle großen Wildtiere verloren. Im Majete-Schutzgebiet werden nun sukzessive Löwen, Leoparden, Elefanten, Nashörner und Büffel wieder angesiedelt.

Reifenpanne im Löwenrevier. Schweigen liegt über der Savanne. Der Safari-Guide schraubt am Rad mit dem platten Reifen. Eben noch hat Samuel Chihana erzählt, dass vor Kurzem genau hier Löwen einen Büffel erlegt haben. Er hat sie vor ein paar Stunden ganz in der Nähe geortet. Eines der Tiere trägt einen Sender.

Die Sonne versinkt goldrot im Dickicht. Über den Wipfeln der Marulabäume verfärbt sich der Himmel in ein milchiges Rosé. Wir warten auf einen zweiten Ersatzreifen, ohne fünftes Rad ist eine Safari zu riskant. Mit der Dämmerung kriecht ein leichter Schauer über die verschwitzten Schulterblätter. Die Löwen. Der lahmgelegte offene Geländewagen. Einbruch der Dunkelheit. Wieder kein Funksignal. Warum schweigen die Steppenvögel? Bewegt sich da etwas hinter den Büschen? Der Guide lächelt: „Keine Sorge, Raubkatzen greifen nie wahllos Menschen an. Sie haben hier genug Beutetiere.“

Die Antilopen wittern nichts

Noch vor zwei Jahren galten Löwen in ganz Malawi bis auf wenige Einzeltiere als ausgerottet. Malawi hatte sein Wappentier verloren. Genauso wie seine Nashörner und eine Reihe anderer Großtiere, die einst in dem kleinen Land zwischen Tansania, Sambia und Mozambique häufig waren. Das Majete-Schutzgebiet südlich des Malawisees war bei seiner Gründung 1955 noch berühmt für seine großen Büffel- und Elefantenherden. Durch Wilderei wurden die Bestände völlig dezimiert. Um das Jahr 2000 waren in Majete fast alle Großwildarten ausgerottet, Wildhunde, Löwen und Nashörner waren bereits vor Jahrzehnten verschwunden. Leoparden wurden zuletzt 1986 gesichtet. Die letzten Elefanten fielen Anfang der 1990er-Jahre Wilderern zum Opfer.

Big Five ziehen Touristen an

Endlich, Scheinwerfer in der Ferne. Mitarbeiter der Lodge bringen den neuen Ersatzreifen. Die Pirschfahrt kann weitergehen. Mit einem Starklichtstrahler tastet Chihana die umliegenden Buschgruppen ab. In der Nacht wird Majete erst richtig lebendig. Eine Ginsterkatze huscht durch den Lichtkegel. Ein Stachelschwein verschwindet im Unterholz. Am Wegrand ist eine Elefantenfamilie laut schmatzend beim Nachtmahl. Der Guide möchte sie nicht blenden. Überall sind Antilopen unterwegs. Sie scheinen die nahen Löwen nicht zu wittern.

„Die meisten Tiere, die wir hier sehen, wurden vor Jahren wiedereingeführt“, erzählt Chihana. „Bevor das Schutzgebiet wiedereröffnet hat, waren nur noch ein paar Kudus, Buschböcke und Ducker übrig.“ 2003 entschied die Regierung, das einstige Naturparadies wiederzubeleben. African Parks, eine von multinationalen Naturschützern und Geschäftsleuten gegründete Non-Profit-Organisation, wurde zu ihrem wichtigsten Partner für ein 25-jähriges Projekt. Sie ließ 142 Quadratkilometer zum Schutz vor Wilderern einzäunen und mehr als 2500 Großtiere auswildern: vor allem Elefanten, Zebras und verschiedene Antilopenarten. Die Tiere wurden aus Sambia, Südafrika und dem malawischen Liwonde-Nationalpark hergebracht. Die Umsiedlung kostete mehr als zwei Millionen Euro.

Seit 2012 hat Majete wieder seine Big Five zurück. Über 200 Elefanten, 300 Büffel und sieben Spitzmaulnashörner wurden per Lastwagen angekarrt. 2011 waren vier Leoparden ausgesetzt worden, zwei weitere kamen später hinzu. 2012 wurden drei Löwen aus dem Pilanesberg-Nationalpark in Südafrika ausgesetzt.

„Die Big Five ziehen mehr Touristen an“, sagt Chihana, „Vor allem Ausländer, aber auch Einheimische. Die meisten Menschen in Malawi haben noch nie einen Löwen oder Leoparden gesehen. Löwen haben mehr als 75 Prozent ihres Lebensraums eingebüßt“, sagt Luke Hunter. „Viel davon ist wahrscheinlich für immer verloren.“ Als Vorsitzender der Tierschutzorganisation Panthera setzt sich der Südafrikaner für den Schutz und die Wiedereinführung von Großkatzen weltweit ein.

„Malawi hat wie viele Länder Afrikas ein zu großes Bevölkerungswachstum und einen enormen Viehbestand. Es wird wohl nicht mehr als Lebensraum für Löwen infrage kommen. Schutzgebiete wie Majete sind die Ausnahme.“ Wenn Majete wieder zum Raubkatzenrevier werden will, muss die Bevölkerung für den Naturschutz gewonnen werden. „Wesentlich ist, die Wilderei zu bekämpfen und den Konflikt mit Viehbesitzern einzudämmen“, sagt Hunter. African Parks hat für mehr als 150 Einheimische Arbeitsplätze geschaffen. Mit Schulungsprogrammen und medizinischer Versorgung sollen die 19 umliegenden Gemeinden davon überzeugt werden, dass sich Artenschutz lohnt und Tourismus im Gegensatz zur Wilderei langfristig Einnahmen schafft. Inzwischen wurden 250 Kilometer Straßen für Pirschfahrten, Campingplatz, Restaurant und die luxuriöse Mkulumadzi-Lodge am Shire-Fluss eröffnet. Die Touristen ließen nicht lange auf sich warten.

Sandbuchten und Mini-Inseln

Malawi hat das Potenzial, sich zu einem Geheimtipp in Afrika zu entwickeln. Mit dem Malawisee hat das Land eines der schönsten Badeziele des Kontinents. Der drittgrößte See Afrikas kann es mit seiner wilden Bergkulisse, den versteckten Sandbuchten und verstreuten Felseninseln an natürlicher Schönheit durchaus mit den Stranddestinationen im Indischen Ozean aufnehmen. Massentourismus gibt es hier nicht. Taucher schwärmen von der farbenprächtigen Unterwasserwelt. Mehr als 450 Fischarten machen den See zu einem der artenreichsten Süßwasserbiotope der Erde. Unter Aquarianern sind besonders die endemischen maulbrütenden Buntbarsche bekannt. Überfischung und Verschmutzung bedrohen jedoch zunehmend die Artenvielfalt. Seit 2012 reiche Öl- und Gasvorkommen unter dem See entdeckt wurden, fürchten Naturschützer um die Zukunft des Biotops. Ökotourismus könnte eine echte Alternative zu Fischfang und Plünderung der Rohstoffe für die bitterarme Landbevölkerung sein.

Naturschutzinitiativen wie das Majete-Projekt zeigen, dass nur eine intakte Umwelt auch Touristen anlockt. „Einige Gebiete Malawis könnten sogar noch mehr Löwen aufnehmen als Majete“, sagt Hunter, „es wird allerdings darauf ankommen, die Regionen langfristig vor Wilderern zu schützen.“ Wiederansiedlungen von Raubkatzen in Südafrika zeigen, dass diese sehr erfolgreich sein können. „Es gibt dort nun mehr als 40 Populationen, die auf ausgesetzte Löwen zurückgehen“, sagt Hunter, „wichtiger als die Wiedereinführungen ist es allerdings, den noch existierenden Lebensraum zu erhalten.“

Samuel Chihana leuchtet weiter in die Dunkelheit. Er will, dass wir die Löwen von Majete zu Gesicht bekommen, vielleicht auch eines der Nashörner, die sich in der Nacht aus ihrem Versteck trauen. Heute haben wir aber einfach kein Glück. „Die Löwen haben sich wohl an dem Büffel sattgefressen und liegen unbewegt im Busch“, mutmaßt der Guide sichtlich enttäuscht. Plötzlich leuchten zwei rötliche Augenpaare am Wegesrand. Aufgeregt fuchtelt der Guide ins Dickicht. Zwei doggengroße Schatten huschen durchs Scheinwerferlicht. „Tüpfelhyänen!“, flüstert Chihana, „Der Büffelkadaver und die Löwen sind nicht weit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.