Rügen: Warten, bis der Apfelbaum spricht

Vom höchsten Punkt des Baumwipfelpfades im Naturerbezentrum Rügen schaut man über die ganze Insel, ihre Lagunen und das Meer.
Vom höchsten Punkt des Baumwipfelpfades im Naturerbezentrum Rügen schaut man über die ganze Insel, ihre Lagunen und das Meer.Sascha Rettig
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Im Naturerbezentrum Prora spechtelt man auf einem Baumwipfelpfad in die Höhle von Familie Specht und verkostet in einem veritablen Naturparadies biologischen Apfelsaft.

Als der Buntspecht einst in sicherer Höhe seine kleine Wohnhöhle in den Baumstamm gepeckt hatte, konnte er noch nicht ahnen, dass es irgendwann einmal mit der Ruhe vorbei sein würde. Mittlerweile latschen Tag für Tag Touristen vorbei – und schauen auf Augenhöhe in das Spechtloch. Möglich wird diese ungewöhnliche Perspektive durch den Baumwipfelpfad im Naturerbezentrum Prora, das im vergangenen Jahr auf Rügen eröffnet wurde.
Ein 1250 Meter langer Weg schlängelt sich dort in bis zu 15 Metern Höhe durch den Buchenmischwald und das ehemalige DDR-Militärgelände, auf dem bei einigen Zwischenstopps die umliegende Natur mit spielerischer Didaktik erklärt wird.
An einer Stelle kann man beispielsweise Wasser in einer Säule hochkurbeln, um ein Gefühl zu bekommen, welche Kraft die Buche beim Hochziehen von täglich rund 500 Litern Wasser aufbringen muss. Und ein paar Meter weiter macht ein sogenannter Hörthron die Geräusche in der Umgebung hörbar – zumindest sofern man den Trichter nicht wie manch einer zum Durchblöken zweckentfremdet, sondern das Ohr daranhält.

Über der Baumkronengrenze


Zum großen Finale legt sich der Pfad schließlich in einer großen Spirale um eine einzelne Buche und windet sich hinauf in 40 Meter Höhe. Vor allem ganz oben in diesem Adlerhorst über der Baumkronengrenze schweift der Blick in die Ferne: über die ehemaligen Militärbaracken Proras, die schimmernde Ostsee, die vom Meer abgetrennten Küstengewässer und fast die gesamte grüne Insel, die für diejenigen, die sich vom Strand wegbewegen, einen abwechslungsreichen Natururlaub bietet.
Was das Essen anbelangt, stößt man zudem auch gern einmal trendgemäß auf regionale Produkte mit Bio-Einschlag – so im MeerSinn-Hotel im mondänen Seebad Binz, dem einzigen Bio-Designhotel auf der Insel. Früher war man dort auf Gäste spezialisiert, die bei einer F.-X.-Mayr-Kur entschlacken wollten. Das ist zwar immer noch möglich, das Konzept hat sich aber erweitert aufs ganzheitliche Wohlbefinden. Bei der gesunden Ernährung im hauseigenen Restaurant ist nach dem Prinzip der sogenannten Gustogenese die Verträglichkeit ein wichtiger Aspekt: „Auf Schweinefleisch wird von den Köchen ebenso verzichtet wie auf Kohl, Zwiebeln, Lauch, Chili und Pfeffer“, erklärt Jessica Schäfers vom Meer-Sinn die magen- und darmschonende Küche.

Rotwein gegen Herzinfarkt


Und wie lang dauert es, bis sich das Wohlbefinden steigert? Nach zwei Tagen ist in dieser Hinsicht zwar kaum etwas zu spüren. Dafür landen trotz dieser Einschränkungen Gerichte auf dem Teller, die nicht nur ambitioniert klingen, sondern auch ziemlich gut schmecken – und bis in die letzte kleine Zutat bio sind. Zum jungen Rotwein, der laut Schäfers durch den Resveratrolgehalt helfen soll, Schlaganfälle und Herzinfarkte zu vermeiden, gibt es ein Schinkenduett an Paprika-Mango-Salat mit Kräuter-Dip vorweg. Dann ein mit Sesamkruste überbackener Feta an Tomaten-Ruccola-Gemüse im Crêpe-Mantel als Hauptgang. Und schließlich ein Safran-Biskuit mit Mohn-Eis und Minz-Espuma.
Das Hotel in Binz ist dann auch ein feiner, weil auch zentraler Ausgangsort für weitere Naturerkundungen auf Deutschlands größter Insel und einem über rund 800 Kilometer ausgebauten Wanderstreckennetz. Fährt man in Richtung Nordosten, landet man auf der Halbinsel Jasmund und im Nationalpark-Zentrum mit einer großen Ausstellung. Sehr interaktiv, mit viel Anfassen und Ausprobieren wird die Natur der Insel dort erklärt – und die Entstehung der 118 Meter hohen, weißen Kreidefelsen mit ihrer berühmtesten Klippe, dem Königsstuhl.
Bevor der Badetourismus kam, wurden diese Felsen bereits durch Künstler entdeckt. Auch der Maler Caspar David Friedrich verewigte sie wild-romantisch um 1818 in einem Gemälde. Heute gehören die schönen Klippen zu den größten Attraktionen der Insel. „Entstanden sind sie aus Ablagerungen während der Kreidezeit vor 67 bis 70 Millionen Jahren“, erklärt Biologin Claudia Reese, die am Nationalpark-Zentrum Königsstuhl für die Umweltbildung zuständig ist. „Die Eiszeit formte dann die Klippen.“ Und um die rankt sich manche Legende. „Eine besagt, dass die Rüganer ihren König in einem Wettstreit wählten und derjenige gekrönt wurde, der am schnellsten die Felsen erklimmen konnte.“
Mittlerweile kann man vom steinigen Strand aus über 400 Stufen einer Treppe nach oben stiefeln, wo man zwar keine Krone, aber immerhin eine schöne Aussicht über die majestätischen Kreideschichten und die Ostsee bekommt. Außerdem landet man in den Buchenwäldern, die sich bis ganz vorn an die Kreideklippen klammern und eine märchenhafte Atmosphäre schaffen: Wenn sich das Sonnenlicht durch die dichten Äste und Zweige vorarbeitet und den Buchen diesen schönen, geheimnisvollen Schimmer verleiht.
„Die Buche ist unser Urwaldbaum in Europa“, sagt Reese. „Da wir kulturell mit ihr aufgewachsen sind, ist sie für uns normal – dabei ist sie etwas ganz Besonderes.“ So besonders, dass die Wälder seit 2011 zum Unesco-Naturerbe zählen.
Die Radtour am nächsten Tag führt in die entgegengesetzte Richtung, in den Südosten, wo mit dem Biosphärenreservat ein weiteres geschütztes Gebiet liegt. Einst wurde es von Gletschern geformt und von Wetter und Meer bearbeitet. Das daraus entstandene vielseitige Landschaftskonzentrat aus Buchen und Buchten, Steilküsten, Sandstränden und Wiesen lässt sich angenehm durchradeln. Auf dem Weg liegt Gut Rosengarten, einer der Bio-Hofläden der Insel. Vor 800 Jahren wurde das von einem Landschaftspark umgebene Gut erstmals erwähnt. Seit 2010 wird dort Öko-Anbau von Obst, Gemüse und Kräutern betrieben und Fleisch und Wurst werden produziert. Außerdem gehört ein Café dazu, wo es ein Stück hausgemachten Kuchen gibt, bevor die Exkursion im kleinen Hafen von Lauterbach auf dem Wasser weitergeht.

300 Kilo schwere Robben


Bei ruhigem Seegang legt das Ausflugsboot zur Kegelrobben-Expedition auf dem großen Stubber ab. Meeresbiologin Carmen Kamlah erklärt die Teilnehmer kurzerhand zu „Urlaubs-Rangern“ und lässt Zettel herumgehen, auf denen sie die „wichtigsten Beobachtungen vermerken können“.
Dafür muss man die Viecherln allerdings erst einmal zu Gesicht bekommen. Doch die Freizeit-Urlaubs-Ranger haben Glück: Auf halbem Weg entdeckt Kamlah gleich drei Kegelrobben. Lange Zeit waren die Tiere, die zweieinhalb Meter lang und bis 300 Kilo schwer werden können, rund um Rügen ausgerottet. Vor ein paar Jahren jedoch kamen sie zurück. „Erst hielt man sie für Verirrte, bis sich ihre Population erhöhte“, erklärt die Biologin. Um die Robben nicht zu stören, hält das Schiff einen so großen Abstand, dass sie durch das Fernglas gerade noch zu erkennen sind. Ohne dieses erscheinen sie nur wie größere, schwarze Punkte auf der Wasseroberfläche, die irgendwann wieder abtauchen, als das Boot zurück nach Lauterbach fährt und sich dort die Radtour durch den Südosten bis zum „Naturparadies Teutenberg“ auf der Halbinsel Mönchgut fortsetzt.
Dabei handelt es sich um den ruhig und idyllisch gelegenen Obsthof von Doris Teutenberg. Früher lebte sie in Berlin, in jenem Haus in Mitte, wo sie heute unter anderem Angela Merkel als Nachbarin hätte. Doch dann erbte sie den Obstgarten im Süden Rügens und hatte immer wieder den Satz ihrer Mutter im Ohr. „Denk an die Äppel“, gab ihr diese mit auf den Weg.
Und Teutenberg dachte an die Äppel: Sie übernahm den mit über 100 Jahren „ältesten Erwerbs- und Sortengarten Rügens“, wie sie betont, und produziert unter anderem ihren naturtrüben Bio-Apfelsaft. Den kann man gleich mit Rundum-Naturaussicht auf der großen Terrasse des Hofs trinken, den sie im Grunde allein betreibt, obwohl ihr die Arbeit alles andere als leicht fällt. Bei der Ernte sucht sie sich jedoch Helfer, die mit ihr die Äpfel einsammeln. „Ich warte nämlich so lange, bis der Baum sagt, dass die Frucht reif ist und sie fallen lässt“, sagt sie und deutet auf die wunderbar wild von Gras umwucherten Apfelbäume. „Bei mir fallen sie weich!“ Alles ganz natürlich eben.

WOHLBEFINDLICHKEITSOPTIONEN AUF RÜGEN

Übernachten: Das Bio-Designhotel Meer-Sinn in Binz ist nah am Strand und bietet komfortable Zimmer und ein reichhaltiges Frühstücksbüffet. Die Wohlbefindlichkeitsoptionen werden auch noch durch ein Gesundheitszentrum und einen kleinen Spa-Bereich mit Pool und Saunen erweitert. Ein Standardzimmer zur Hauptsaison ab 199 Euro/Nacht. meersinn.de

Übernachten auf der Halbinsel Jasmund im Hofgut Bisdamitz: Entweder in den rustikal-bäuerlich eingerichteten Zimmern des Gutshauses oder in der dazugehörigen Ferienwohnung. Zum Hofgut gehören auch ein Kräutergarten, zahlreiche Spielgeräte für Kinder und ein kleiner Streichelzoo. Erwachsene zahlen 20 Euro für eine Übernachtung. Kinder ab drei Jahren 15 Euro. Frühstück gibt es auf Anfrage für vier Euro, ist aber nicht bio. naturhof-ruegen.de

Naturerbezentrum Rügen: nezr.de

Nationalpark-Zentrum: koenigsstuhl.com

Gut Rosengarten: gut-rosengarten.de

Den Obsthof von Doris Teutenberg findet man bei Alt Reddevitz, wo im Hofladen unter anderem der Bio-Apfelsaft und Bio-Apfelweinbrand verkauft werden. Auch hier kann man übernachten. natur-paradies.de

Die Dampflok „Der rasende Roland“ fährt bis heute auf einem kleinen Streckennetz im Südosten und nimmt auch Fahrräder mit. ruegensche-baederbahn.de

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