Sandhamn: Beschaulich, idyllisch, mörderisch

(C) Pia Volk
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Warum es bei Krimiautorin Viveca Sten keine anderen Verbrechen auf ihrer Heimatinsel gibt als Morde.

Es ist nicht laut. Unter den Füßen knistert der Waldboden, die trockenen Kiefernnadeln vom vergangenen Jahr zerfallen zu Staub. Im Wald von Sandhamn, einer kleinen Insel vor den Toren Stockholms, stehen die Häuser wie achtlos hingeworfenes Spielzeug im Wald, bunt durcheinandergewürfelt in allen Formen und Farben. Das Brummen der Autos – es fehlt. Auf Sandhamn gibt es keine. Nur der Wind verfängt sich in den Ohrmuscheln, die Wellen schwappen leise an den Strand. Irgendwo knallt eine Tür zu. Kein Hund bellt, kein Mensch hustet. Nichts. Es ist wie diese idyllische Stille in Filmen, bevor das Unglück geschieht.

Auf Sandhamn sind schon viele Verbrechen begangenen worden – zumindest in der Vorstellung von Viveca Sten. Die Schwedin hat bereits sieben Krimis geschrieben, die in ihrer Heimat einen festen Platz auf den Bestsellerlisten haben. Im April erschien ihr fünfter Roman auf Deutsch. „Das Besondere an meinen Büchern ist, dass sie eben auf dieser beschaulichen Insel spielen, nicht im plusierenden Stockholm“, sagt Sten. Leichen werden im Wald verscharrt, am Strand angespült, im Hotelzimmer entdeckt. In ihrem ersten Roman geht ein Tourist mit seinem Hund spazieren und findet einen Toten im Wasser. Sandhamn ist klein und liegt am Rand von Stockholms Schärengarten, einer Insellandschaft mit rund 24.000 Eilanden, die während der Eiszeiten entstand. Sandhamn ist eine der letzten Felsglatzen, dahinter ist nur noch die offene Ostsee.

Nur Wind, Wellen und Fisch

Früher legten die großen Schiffe hier an, um Lotsen an Bord zu nehmen, die sie sicher durch das Labyrinth der Schären brachten. Im 17.Jahrhundert wollte niemand auf Sandhamn leben. Es gab ja nichts. Nur Wind, Wellen und Fischfang. Erst 1860 ließ der König ein Zollhaus errichten, wenige Jahre später legten die ersten Dampfboote an. Mit ihnen dauerte es nur noch sieben Stunden nach Stockholm. Mit den Fähren kamen die ersten Sommergäste, auch der schwedische Jachtklub baute ein Klubhaus auf Sandhamn. Heute ist es ein hübsches Hotel, das Seglerhotel, das Einzige, das ganzjährig geöffnet hat. In Stens sechstem Krimi liegt genau neben diesem eine Tote unter Bergen von Schnee begraben.

Auch ihr Urgroßvater hat seine Segelleidenschaft auf die Insel geführt. „Von einem Lotsen hat er vor mehr als 100 Jahren ein Haus gekauft. Es ist noch heute in Familienbesitz“, sagt Sten. Auf Sandhamn sind die Häuser dicht an dicht gebaut, als würden sie zusammenrücken, um sich vor den Naturgewalten zu schützen. Straßennamen gibt es keine. Aber wenn man Stens Bücher gelesen hat, kennt man die Insel ohnehin schon.

In ihrem neuen Buch folgt man Jonas auf der Suche nach seiner Tochter durch das Dorf, kommt vorbei am Hafengelände am Café Strindbergsgården, das am Zaun über dem Eingang einen Rettungsring hängen hat. Das kleine Gartencafé ist benannt nach August Strindberg. „Das naturschöne Sandhamn, an drei Seiten von Wasser umgeben und an der vierten vom Meer“, schrieb er 1873 über die Insel, auf der er zeitweise mit seiner Frau Siri von Essen lebte.

Man geht mit Jonas weiter durch die engen Gassen, vorbei an den geduckten Häusern, viele von ihnen falunrot gestrichen, weiter zum Missionshaus, einer Pension, in dessen Zimmer Nummer vier mal eine Leiche entdeckt wurde, über den Friedhof zum Strand vom Fläksberget. Man erinnert sich an den alten Eisenanker, der auf einer Klippe liegt, von dem aus man nach Körso rüberschauen kann, der Nachbarinsel.

Nur die grauen Häuser hinter der großen Erle, die sie in ihrem neuen Buch beschreibt, die gibt es nicht. Auch nicht die Brand'sche Villa, in der die Hauptfigur Nora lebt. Dort, wo das Haus steht, findet sich nur ein nackter Fels. „Ich wollte nicht, dass an die Tür von irgendjemandem Menschen klopfen, weil sie denken, es wäre die Brand'sche Villa“, erklärt Sten.

Wieso eigentlich immer Mord, denkt man sich, wenn man ihre Bücher liest. Aber kaum ist man auf Sandhamn wird es einem klar. Welche anderen Verbrechen sollte man hier begehen? Die Grundstücke sind nicht abgezäunt, Hausfriedensbruch fällt aus. Autos gibt es keine, die kann man nicht klauen, Einbruch – nur bedingt, im Winter vielleicht, wenn nur 100 Menschen auf Sandhamn leben. Allerdings wäre dann schnell klar, wer es gewesen sein könnte. Jeder Fremde fällt auf. Im Sommer, wenn 3000 Gäste Sandhamn bevölkern, stehen die Sommerhäuser meist offen, denn Schweden halten nichts vom Absperren, wenn man ohnehin zu Hause ist. Das komme Einsperren gleich – und wer ist gern eingeschlossen? Es bleibt also nur Mord.

„In Wahrheit gab es auf dieser Insel nur einen Mord. Vor vielen Jahren wurde einmal ein totes Baby gefunden. Aber es war schnell klar, wer es getan hatte, denn es gab nur eine Schwangere auf der Insel, die nicht verheiratet war“, erzählt Sten. Das Leben auf Sandhamn ist überschaubar – so wie derzeit Stens Werk. Noch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2014)

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