Zürich: Das Freibad auf dem Galgenhügel

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Max Frisch war ursprünglich Architekt. In der Stadt an der Limmat steht denn auch sein bedeutendstes Bauwerk: ein Freibad, das im Sommer täglich bis zu 5000 Zürcher besuchen.

Als Max Frisch Mitte August 1943, im Alter von 32 Jahren, das Gelände am Zürcher Letzigraben besichtigt, ist er noch kein berühmter Schriftsteller, sondern Architekt. Vor drei Jahren hatte er sein Architekturstudium an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich abgeschlossen. Und eben hat er erfahren, dass sein Entwurf einen städtischen Wettbewerb gewonnen hat: Frisch darf das Freibad Letzigraben in Zürich-Albisrieden bauen! In idyllischer Lage – mit Blick auf den Uetliberg, den Hausberg der Zürcher. „Es erscheint mir als ein dermaßen voluminöses Schwein“, schreibt er überglücklich an einen Freund, „dass ich es in der Wohnung meines Alltags vorerst kaum unterbringe.“

Architektur als zweite Wahl

Noch im selben Jahr kündigt er seinen Job als Angestellter bei einem Architekten in Baden und gründet in Zürich sein eigenes Büro. Dabei ist der Architektenberuf, den schon sein Vater ausübte, für Frisch nur zweite Wahl. Schon als Mittelschüler will er Schriftsteller werden. Die Eltern bestehen jedoch darauf, dass er etwa Solideres lerne. Frisch beginnt ein Germanistikstudium. Als sein Vater 1932 stirbt, bricht er es wieder ab.

Um sich finanziell über Wasser zu halten, verfasst er Reportagen und Reiseberichte für die „Neue Zürcher Zeitung“. Doch insgeheim verachtet er den Journalismus, „wo man auch zu Zeiten, wo man nichts zu sagen hat, ins Öffentliche schreibt, um leben zu können“. Und an sein Potenzial als Literat glaubt er noch nicht so recht. Eines Tages verbrennt er alle seine Prosaskizzen in einem Wäldchen. Im Herbst 1936 beginnt er an der ETH Zürich ein Architekturstudium. Das Handfeste an diesem Beruf gefalle ihm, notiert er: „das Unpapierne, Greifbare, Handwerkliche, die stoffliche Gestalt.“

„Die Sieger werden nie klüger“

1942, zwei Jahre nach Max Frischs Studienabschluss an der ETH, schreibt die Stadt Zürich den Architekturwettbewerb für die Freibadanlage Letzigraben aus. 83 Entwürfe werden eingereicht. Mitte August 1943 entscheidet sich die Jury für seinen Vorschlag. Dann aber geschieht lange nichts mehr. Zwar ist die Schweiz nicht unmittelbar vom Zweiten Weltkrieg betroffen. Doch wegen der politischen Unsicherheiten verschiebt sich der Baubeginn immer wieder. „Wenn es doch Frieden würde“, klagt Frisch in einem Brief an seine Mutter. „Dass man getrost arbeiten könnte, es gäbe so viel Schönes zu arbeiten. Je länger der Krieg geht, umso schlimmer wird der Friede. Die Sieger werden nie klüger.“

Was er befürchtete, scheint sich nach Kriegsende zu bewahrheiten: Das Wettrüsten der neuen Supermächte USA und UdSSR, der Kalte Krieg, spaltet Europa und die Welt erneut. Frisch ist verzweifelt. „Abende lang sitze ich da, ohne zu arbeiten, da ich, nachdem ich die Zeitung gelesen habe, nicht sehe, was meine Arbeit für einen Sinn hätte, selbst dann, wenn sie gänzlich gelänge“, schreibt er an einen Freund. Als Autor leidet er unter einer Schaffenskrise. Das Schwimmbad-Projekt ist ein wichtiger Hoffnungsanker – aber es besteht lange nur auf dem Papier. Vier Jahre nach Frischs Triumph bei der Ausschreibung beginnen die Bauarbeiten im August 1947 schließlich doch noch. „Die ersten Arbeiter sind auf dem Platz; ihre braunen Rücken glänzen vor Schweiß“, notiert Frisch voll Begeisterung in sein Tagebuch. „Irgendwo werfen sie Bretter aufeinander, dass es hallt; die ersten Lastwagen sind da. Weiter drüben ist es das alte Pulverhaus, das sie eben abbrechen; fast lautlos stürzen die alten Mauern, verschwinden in einer Wolke von steigendem Staub – wären es die Pulverhäuser aller Welt!“

Städtische Hinrichtungsstätte

Seit dem 14. Jahrhundert stand auf einem Hügel am Letzigraben auch der städtische Galgen. Und noch bis ins Jahr 1810 wurden hier Verurteilte hingerichtet und hinterher im Boden verscharrt. Wohl auch deshalb wird der Bau des Schwimmbads für Frisch zum Symbol für eine neue, friedlichere, freiere Zeit. Vielleicht lässt sich die Welt ja doch verändern? Wenn schon nicht durchs Schreiben, dann durch eine neue Art der Architektur? „Überall die Zimmerarbeit“, schwärmt er. „Darüber der blaue Himmel, tagelang die hallenden Schläge, wenn sie die Schalungen nageln. Backsteine und Holz, lauter Räume voll Himmel.“

Als die Arbeiter den imposanten Zehn-Meter-Sprungturm errichten, führt Frisch, in Anzug und Krawatte, seinen Schriftstellerkollegen Berthold Brecht, der unlängst aus dem Exil in den USA nach Europa zurückgekehrt ist, als Besucher über die Baustelle. Und beschwingt durch das Bauprojekt wendet sich Frisch in jener Zeit parallel auch wieder literarischen Herausforderungen zu. Unter anderem entsteht das Theaterstück „Als der Krieg zu Ende war“.

Kennzeichnend für Frischs Freibad ist seine ultraleichte, nüchterne und funktionale Bauweise – als deutlicher Gegensatz zur monumentalen Architektur totalitärer Regime. Vier Schwimmbecken lässt er auf dem 3,5 Hektar großen Baugrundstück ausheben und dazwischen Blumenbeete und Rasenflächen anlegen. Die Umkleiden, die im Eingangsbereich und an den beiden Seiten des Schwimmbads liegen, werden weiß verputzt. In der Bauweise und der großzügigen Anlage ähnelt das Letzibad dem 1950 völlig neu errichteten Wiener Gänsehäufel (Architekten Max Fellerer und Eugen Wörle). Im eleganten, achteckigen Pavillon entsteht ein ebenfalls weiß verputzter hölzerner Kiosk. „Heute Samstag ist die Anlage eröffnet worden“, notiert Frisch am 18. Juni 1949, nach zweijähriger Bauzeit. „Sonniges Wetter und viel Volk. Sie schwimmen, springen von den Türmen. Die Rasen sind voll von Menschen, halb nackt und halb bunt, und es ist etwas wie ein wirkliches Fest.“

Doch der Beruf des Architekten macht Frisch nicht längerfristig glücklich. Insgesamt entwirft er rund ein Dutzend Bauwerke. Neben dem Freibad werden aber nur zwei Einfamilienhäuser sowie ein Landhaus realisiert. Alle drei Projekte sind eine Quälerei. „Sein Geld ist knapp“, notiert er über ein Bauprojekt für seinen Bruder Franz. „Je simpler mein Plan, umso besser wäre es. Und es wird ein dummes Haus, aber es wird gebaut.“

Rache eines Schriftstellers

Ein weiterer Auftraggeber fordert schließlich gar Schadenersatz, weil Frisch aus einer Laune heraus die abgesprochenen Maße des Treppenhauses verändert hat. Frisch rächt sich auf seine Weise: 1953 parodiert er den Auftraggeber in Gestalt des abstoßenden Hauptprotagonisten Gottlieb Biedermann in seinem neuen Hörspiel „Biedermann und die Brandstifter“.

Nur noch bis Mitte der 1950er-Jahre führt er seine Doppelexistenz als Schriftsteller und Architekt weiter. 1955, ein Jahr zuvor ist sein Erfolgsroman „Stiller“ erschienen, löst er sein Architekturbüro auf. Das Freibad in Zürich-Albisrieden aber, das bald offiziell „Max-Frisch-Bad Letzigraben“ heißt und unter Denkmalschutz steht, und in dem sich an heißen Sommertagen bis zu 5000 Badegäste vergnügen, zeugt bis heute vom ersten Beruf des Autors.

Max-Frisch-Bad Letzigraben, Edelweissstrasse 5, CH-8048 Zürich, Öffnungszeiten: 10. Mai bis 15. Sept., 7 – 20 Uhr, +41/44/492 10 50

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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