Norwegen einmal anders

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Kurz oberhalb und unterhalb des Polarkreises findet sich eine von Fjorden, Felsen, Hügeln und einer faszinierenden Inselwelt geprägte Küstenlandschaft. Die Helgelandküste bereist man am besten auf dem Kystriksveien, einer 650 Kilometer langen Panoramastraße.

Soeben noch war der Himmel dunkel und düster, fette Regenwolken schwebten über dem Melfjord. Diese haben sich zwar noch nicht ganz verzogen, doch das Polarkreisdenkmal auf Vikingen, einer kleinen Insel in der Nähe unserer Fähre, wird plötzlich durch einige Sonnenstrahlen erhellt. Eine Stunde später, wir haben die Autofähre, die zwischen Kilbogman und Jektvik verkehrt, bereits verlassen, halten wir an einem Aussichtspunkt an. Vor uns wölbt sich ein dicker Regenbogen über grau-weiße Felsen und grünes Buschland.

Norwegen bietet keine Schönwettergarantie – vor allem nicht im Norden des Landes, auch wenn es in diesem Juli die heißesten Wochen seit Menschengedenken gab. Nordnorwegen ist für viele gleichbedeutend mit dem Nordkap oder den Lofoten. Doch auch ein Stück weiter südlich, auf der Höhe des Polarkreises, lockt eine grandiose Küstenlandschaft. Der Kystriksveien (FV. 17) ermöglicht nicht nur den Weg nach Bodø, dem Tor zu den Lofoten, sondern bietet sich auch als eigenes Urlaubsziel an.

Vorausgesetzt, man bringt Zeit mit. Denn zwischen Steinkjer und Bodø finden sich insgesamt sechs Fährüberfahrten, die einzukalkulieren sind. Manche von ihnen dauern zehn Minuten, andere eine ganze Stunde. Und weil die Westküste Norwegens zerklüftet und hügelig ist, führt die Strecke oft kilometerweit durch Tunnels. Eine weitere Besonderheit der FV. 17 sind die oft spektakulären Brückenbauten. Besonders beeindruckend ist die über einen Kilometer lange Helgelandbrücke bei Sandnessjøen.

Wer stur durchfährt, könnte den Kystriksveien durchaus innerhalb von zwei Tagen schaffen. Doch das wäre ein Fehler. Denn auf dem Weg Richtung Norden lohnt es, immer wieder abzuzweigen. Etwa, um das Oscar-Brygga-Restaurant in Tonnes zu besuchen, das seine Besucher direkt an einem Bootsanleger mit frischen Fischspezialitäten verwöhnt. Oder um im 6000-Einwohner-Ort Nesna haltzumachen und sich dort auf dem Campingplatz von Nina Friis einzuquartieren. Nina bietet Stellplätze für Wohnwagen und Wohnmobile, vermietet aber auch komfortabel ausgestattete Campinghütten. Ihr Havblikk Nesna ist ein idealer Ausgangspunkt für Wandertouren, zum Beispiel zum Aussichtspunkt Utsikten. Von dort aus schaut man fast aus der Vogelperspektive auf die Küstenlandschaft und auf die nahe Inselwelt. Gelegentlich führt Nina Friis ihre Gäste sogar selbst dorthin.

Ihr Mann Bjørn Arne nimmt Touristen auf Angeltouren in seinem Motorboot mit. Sein Boot ist mit einem Echolot ausgestattet, wenn Fischschwärme in der Nähe sind, werden diese auf einem kleinen Monitor angezeigt. Trotz dieser technischen Unterstützung brauchen wir 45 Minuten, bis der erste Dorsch anbeißt. Den Fang kann man sich abends im Campingplatz-Restaurant gleich frisch zubereiten lassen. Und Gästen, die nichts gefangen haben, bietet Nina Friis frische Krabben an.

Daunen von Eiderenten

Der beschauliche Ort Nesna liegt in Helgeland, einem Areal zweimal so groß wie Zypern, aber mit nicht einmal 80.000 Einwohnern. 14.000 Inseln, Holmen und Schären gehören zu der Region. Darunter auch der Vega-Archipel, das seit dem Jahr 2004 zum Unesco-Weltnaturerbe zählt. Der Archipel, das bereits vor 10.000 Jahren besiedelt wurde, ist ein Paradies für Ornithologen und bekannt für die Daunengewinnung und für die Zucht von Eiderenten.

Ein Stück nördlich des Polarkreises liegt die Insel Støtt, eine idyllisch gelegene Fischerinsel. Früher war Støtt wegen ihres geschützten Hafens eine wichtige Handelsstation, heute leben auf der Insel nur noch etwa dreißig Menschen. Um deren Versorgung kümmert sich der 87-jährige Karl Henry Sørensen mit seinem kleinen Supermarkt. Dieser ist nicht nur bei den Einheimischen beliebt, auch Einkäufer von den Nachbarinseln und Bootsfahrer, die in der Region unterwegs sind, kaufen bei ihm ein. An Ruhestand denkt der 87-Jährige nicht. „Dafür habe ich keine Zeit“, versichert er.

Karls Tochter, Eva Ann Andersen, ist nach Oslo gegangen, hat dort Karriere gemacht – um nach 25 Jahren in der Stadt mit ihren drei Kindern nach Støtt zurückzukehren. „Ich stellte mir die Frage, was wirklich wichtig in meinem Leben ist, was ich später bereuen würde, hätte ich es nicht gemacht.“ Seither ist sie dabei, die verschlafenen Fischerinsel sanft für den Tourismus zu öffnen, ließ Fischerhütten zu Ferienwohnungen für Urlauber umbauen und eröffnete ein kleines, aber feines Restaurant. „Støtt ist zu allen Jahreszeiten faszinierend, im Winter haben wir Stürme hier, aber sie können bei gutem Wetter auch das Nordlicht sehen. Im Sommer haben wir die Mitternachtssonne, wer mit einem der Fischer hinausfährt, kann mit einem fünfzig Kilo schweren Heilbutt zurückkommen“, schwärmt sie. Das Leben auf Støtt, so sagt sie, ist zwar ganz anders als in Oslo, aber es ist ein gutes Leben.

Eine Schifffahrtsstunde weiter nördlich liegt die alte Heringsfängerstadt Bodø. Die zweitgrößte Stadt Nordnorwegens ist der Endpunkt des Kystriksveien. Sie wurde im Mai 1940 von der deutschen Luftwaffe fast vollständig zerstört. Ein Spiegel im Hotel Grand, der während des Bombardements nur einen Sprung bekommen hat, hängt noch heute im Speisesaal des Hotels. Die nach dem Krieg wieder- bzw. neu aufgebauten Stadtteile wirken zum Teil gesichtslos. Doch wer am Hafen entlangspaziert und die salzige Luft riecht, der bereut seinen Besuch in Bodø nicht. Mit etwas Glück trifft er den Krabbenfischer Nicolei, einen gebürtigen Letten, der vom Boot aus fangfrische Krabben verkauft, die er an Bord seines Kutters bereits gekocht hat. Man isst sie mit Weißbrot, Zitronen und Mayonnaise.

Unbedingt zu empfehlen ist eine Bootstour von Bodø aus. Bevor wir mit Henry Johnsen mit der Stella Polaris ablegen, erhalten wir Trockenanzüge, Schutzbrillen und Mützen. Denn mit seinem Festrumpfschlauchboot (RIB) fährt Johnsen zuweilen recht schnell. Und durch den Fahrtwind wird es auf dem Atlantik auch im norwegischen Sommer kühl. Henry Johnsen zeigt uns die schönsten Flecken der Region: eine Insel mit schneeweißem Sandstrand, die von kristallklarem Wasser umgeben ist – wären nicht die frischen Temperaturen, man wähnte sich in der Karibik. Eine halbe Stunde später tuckern wir durch den Skjerstadfjord, einen Seitenarm des Saltfjorden. Plötzlich reduziert Henry Johnsen das Tempo und zeigt nach oben. Ein Seeadler gleitet über uns hinweg. Später, fast direkt unter einer Brücke, über die die Kystriksveien verläuft, ist das Meerwasser extrem unruhig. An einer Stelle dreht es sich kreisförmig. Wir sind beim Saltstraumen, dem stärksten Gezeitenstrom der Welt. Der Bootsausflug zu dem Strudel ist übrigens auch bei den Passagieren der Hurtigruten-Schiffe, die in Bodø täglich haltmachen, beliebt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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