Segelrevier mit Flussdelta

Chiemsee
Chiemsee(c) Rainer Heubeck
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Chiemsee. Baden ist nur ein Thema unter vielen am Bayerischen Meer: Besucher wollen mit der Jacht über das leuchtend grüne Wasser düsen. Oder mit der Barkasse auf Ökotour gehen und erfahren, wohin sich der See entwickelt.

Im Segelboot allein um die Welt: Wenn Alexandra Heistracher von diesem Traum spricht, ist er durchaus ernst zu nehmen. Die 21-jährige gelernte Hotelfachfrau ist bereits mit sechs Jahren das erste Mal gesegelt. Und als sie per Boot zu ihrer Segelprüfung wollte, ging ihr bei der Anfahrt unterwegs der Sprit aus – sie musste noch vor ihrer eigentlichen Prüfung am Ufer des Chiemsees segelnd anlanden. Natürlich hat sie mit Bravour bestanden.
Heistracher segelte bereits mit der „Alexander von Humboldt“, dem legendären Großsegler aus der Bierwerbung, auf der Nordsee und dem Atlantik, doch ihre Hauptreviere sind Slowenien, Kroatien und das Bayerische Meer: der Chiemsee in Oberbayern. An seinen Ufern ist die Sportlerin zu Hause, ihr Großvater und ihr Vater waren Kapitäne auf einem der Passagierboote, die die Gemeinde Gstadt mit der Fraueninsel verbinden. Der Chiemsee ist für sie ein ideales Segelgebiet, denn Motorsport ist auf dem drittgrößten Binnensee Deutschlands untersagt. Nur Fischer oder Chiemsee-Inselbewohner dürfen leicht motorisiert unterwegs sein.

Segel und Sundowner

Am schönsten, meint Heistracher, wirkt der See am Abend: Jahrelang fuhr sie mit ihrem Hund, Muffin, der wie eine Kreuzung aus einem Schaf und einem Teddybären aussieht, abends hinaus und genoss die goldgelben Sonnenuntergänge. Inzwischen hat sie daraus ein kleines Event gezaubert: abendliche Sonnenuntergangs- und nächtliche Sternenfahrten auf der familieneigenen Jacht Oasis. Etwa zehn Meter misst die Luxusjacht – wer Lust hat, kann beim Segelsetzen selbst mit Hand anlegen – zum Beispiel die 34 Quadratmeter Großsegel am zehn Meter hohen Hauptmast hochziehen oder das 20 Quadratmeter große Foksegel aufspannen. Die wichtigste erste Lektion für Segelanfänger ist jedenfalls, die Vorfahrtsregeln auf dem See zu kennen – und zu beachten: „Lee vor Luv“, so erklärt Heistracher, die an Bord meist eine blaue Fantasieuniform trägt. Die Regel bedeutet, dass das Boot, das sich näher am Wind befindet, auszuweichen hat. Ob das allerdings jeder Segler auf dem Chiemsee weiß, ist nicht überprüft, denn auf dem rund achtzig Quadratkilometer großen Gewässer darf jeder segeln, der sich das zutraut – auch ohne Segelschein.
Auf alle Fälle empfiehlt es sich, einen Besuch am Bayerischen Meer gemütlich anzugehen. Wer nur ankommt, zur Herreninsel fährt, dort das Königsschloss von Ludwig II. bewundert und wieder das Weite sucht, der verpasst leicht die schönsten Ecken im und um den See. Beispielsweise die Beach-Bars in Prien, in Bernau und in Übersee. Oder die Fraueninsel, auf der ein paar gemütliche Biergärten warten, sowie das Benediktinerinnenkloster Frauenwörth. Dieses älteste Nonnenkloster Deutschlands wird immer noch beziehungsweise wieder von rund dreißig Nonnen bewohnt. Frauenwörth soll im Jahr 782 von Herzog Tassilo gegründet worden sein. Im Jahr 866 starb die erste namentlich bekannte Äbtissin, die selige Irmengard, deren Gebeine heute in der Irmengard-Kapelle aufbewahrt sind – sie ist die bedeutendste Sehenswürdigkeit der Abtei. Umsehen sollte man sich aber auch im Klosterladen, dort werden Kräuterliköre, Lebkuchen und Marzipanspezialitäten verkauft. Und auch eine Runde um die Insel lohnt sich – die rund zwölf Hektar sind in zwanzig bis dreißig Minuten umwandert.

Verlandet der See?

Der Chiemsee als Ganzes ist natürlich noch viel viel älter als das Kloster auf der Fraueninsel. Christina Erl und Christine Haslbeck, zwei Chiemsee-Naturführerinnen, fahren mit ihren Gästen regelmäßig auf Barkasse „Birgit“ an das Delta der Tiroler Achen. Sie berichten dort von den Ursprüngen des Chiemsees, der entstanden ist, als sich die Gletscher nach der letzten Eiszeit langsam zurückgezogen haben – und sich in den von dem Eis hinterlassenen Ausschürfungen ein gewaltiger See gebildet hat. Ein Gewässer, das anfangs deutlich größer war und auch heute noch von Jahr zu Jahr ein bisschen schrumpft: Die Prien und die Tiroler Achen, die wichtigsten der rund 60 Zuflüsse des Chiemsees, schwemmen Sedimente und Geschiebe an, deshalb wächst die Landfläche und wird der See kleiner.
In etwa 8000 bis 9000 Jahren, so vermuten die beiden Naturexpertinnen, könnte der Chiemsee Geschichte sein – so wie heute schon der Rosenheimer See und der Salzburger See, die beide längst komplett verlandet sind. Gut, dass für die nächsten Jahre noch keine Gefahr droht. Und so kann man mit Erl und Haslbeck sowie ihren Kollegen beim Hinausfahren die Wassertemperatur in verschiedenen Tiefen messen und Kleinstlebewesen im Wasser mit dem Mikroskop beobachten – zum Beispiel Hüpferlinge oder Zooplankton.
Eine wichtige Rolle im Ökosystem des Gewässers spielen Schwebealgen. Sie geben dem Chiemsee sein beeindruckend grünes Aussehen und bilden gleichzeitig die wichtigste Nahrungsgrundlage für das Zooplankton. Doch das fragile Ökosystems des Sees ist bedroht – die Krebspest greift um sich und eingeschleppte Dreikantmuscheln verdrängen die einst dominierenden Malermuscheln.

Flach ins Badewasser

Eine Sternenfahrt mit Alexandra Heistracher, eine Ökotour mit Christina Erl und Christine Haslbeck, die mit ihrem Schiff regelmäßig nah ans Mündungsdelta der Tiroler Achen fahren, oder ein Besuch der Fraueninsel zeigt, dass der Chiemsee weit mehr als ein reiner Badesee für die Oberbayern ist, wobei am Südostufer bei Übersee ein sehr langer Sandstrand liegt und es an etlichen Stellen Strandbäder gibt.
Solange der Chiemsee noch existiert, lohnt sich ein Ausflug an das Bayerische Meer auf alle Fälle. Falls, was gelegentlich vorkommt, am Nachmittag ein Gewitter aufzieht, sollte man in dieser Zeit natürlich nicht in einem Boot sitzen. Aber anschließend, meint Heistracher, wird es auf dem See meistens noch einmal ganz besonders schön. „Wenn nach einem Gewitter oder Regenschauer die Sonne wieder herauskommt, dann scheint alles zu strahlen“, schwärmt die passionierte Seglerin von dem See, den sie so gut kennt wie wenige andere Wassersportler.

CHIEMSEE-INFO

Übernachten: Ferienresidenz Chiemseestern in Gstadt, DZ und Ferienwohnungen, www.chiemseestern.de. Gästehaus Heistracher in Gstadt, familiär geführte Frühstückspension, www.heistracher-chiemsee.de. Jachthotel Chiemsee in Prien, 4-Sterne-Haus am Westufer, www.yachthotel.de. Essen, trinken, abhängen: Hotel Zur Linde, Traditioneller Biergarten auf der Fraueninsel, www.inselhotelzurlinde.de. Badehaus Chiemsee in Bernau, Restaurant mit Terrasse, großer Biergarten, regionale Fisch- und Fleischgerichte, www.badehaus-chiemsee.de. Sundownerbar in Übersee, www.sundownerbar.de. Ausprobieren: Sternenfahrten, Sunset-Sailing, Jachtcharter, www.chiemseeyacht.de. Naturkundliche Fahrten und Führungen: www.naturerlebnis-chiemsee.de, Kajakverleih und Surfschule, www.chiemsee-kaufmann.de. Anschauen: Neues Schloss Herrenchiemsee: Innenräume und Gartenanlagen. Im Südflügel des Schlosses: König-Ludwig-II.-Museum. Im Nordflügel: Ausstellung „Königsklasse II“ – zeitgenössische Kunstwerke (von der Pinakothek der Moderne), bis 28. 9., www.herrenchiemsee.de. Abtei Frauenwörth: Im Herz der Fraueninsel, Abtei der Benediktinerinnen, www.frauenworth.de. Unterwegs auf dem Chiemsee: Chiemsee-Schifffahrt: Linienschiffe von Prien/Stock und Gstadt auf die Frauen- und Herreninsel sowie rund um den See. Im Sommer auch Seebruck, Chieming, Übersee/Feldwies und Bernau/Felden, www.chiemsee-schifffahrt.de. Fahrradtouren: Chiemsee-Uferweg rund um den See, 70 km gut ausgebaute Strecke. Leihräder: www.chiemsee-kaufmann.de. Info: Chiemsee-Alpenland-Info in Bernau, www.chiemsee-alpenland.de.

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