Wetterfrösche am Himmel über dem See

Men stand next to dummy horses in Atitlan, in the Solola region, early morning
Men stand next to dummy horses in Atitlan, in the Solola region, early morning(c) REUTERS (JORGE DAN LOPEZ)
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Guatemala. Der Atitlán-See ist der größte Tourismusmagnet des kleinen mittelamerikanischen Landes und seit Jahrhunderten Heimat der Maya.

Die ersten Sonnenstrahlen färben die Gipfel der Vulkane orange. Der See hingegen glänzt in mattem Silber. Einsam treibt ein Fischerboot auf dem Wasser. Juan Sumoza spießt einen Köder auf den Haken und schaut zu, wie er langsam in der Tiefe versinkt. Da und dort leckt das Einbaum-Kanu, als sei es das ewige Warten leid. Becher für Becher schöpft Juan das Wasser zurück in den See.
Wenn Juan Sumoza lächelt, graben sich Furchen in sein Gesicht, über die Jahre hat die Sonne Canyons in sein Gesicht gebrannt. Jeden Morgen, jeden Abend hofft Juan auf den großen Fang im Atitlán-See. „Zum Fischen brauchst du vor allem eines“, Juan durchbricht mit dem leichten Singsang seiner Stimme die Stille des Morgengrauens, „Geduld“, erklärt er einer jungen Rucksackreisenden, die ihm gegenübersitzt, um etwas über das traditionelle Fischen zu lernen.
Juan und viele andere Indigene rund um den See haben sich dem ersten indianischen Touranbieter der Region, Viva Atitlán, angeschlossen. Der Verbund besteht aus neun lokalen Vereinen, die Mitglieder gehören alle zu einem der drei Mayavölker der Seeregion. Sie alle haben bis heute ihre Dialekte und Traditionen bewahrt. Damit dies auch weiterhin so bleibt, haben die Fischer, Kaffeebauern und Kunsthandwerker aus ihren Bräuchen ein Geschäft gemacht: Sie nehmen Touristen mit auf eine Reise in den Alltag der Maya.
Der Atitlán-See zählt zu den Topattraktionen Guatemalas. Sein Anblick ist mindestens so spektakulär wie seine Geschichte. Vor 85.000 Jahren kam es zur einer gigantischen Eruption der Magmakammer Los Chocoyos unter den drei Vulkanen der Region. Magma und Asche wurden bis in 60 Kilometer Höhe geschleudert. Als der Feuerfluss versiegte, blieb die Atitlán-III-Caldera übrig, gefüllt mit Wasser, dem heutigen Atitlán-See, und drei Schichtenvulkane – der Atitlán ist der schönste und mit 3535 Metern der höchste. Die Topografie ist idyllisch: Hügel, an deren Rockfalten sich Dörfer schmiegen. Wasser so blau und Berge so grün, die Farben paradiesisch.
Das war aber nicht immer so: 2009 verursachten Abwässer eine Algenplage und färbten den See schlammig braun. „Der See war traurig und verlor seine Schönheit“, sagt Juan Sumoza. Also fuhren er und die anderen Fischer der zwölf Atitlán-Dörfer hinaus aufs Wasser, um Algen statt Fische zu fangen. Sack um Sack schafften sie die Algen von den Booten in die Berge, wo sie den Unrat vergruben. „Der See ist unser Bruder“, sagt Juan Sumoza und fasst sich ans Herz, „er ernährt uns, dafür beschützen wir ihn.“

Avocadogrün, pfefferbraun

Heute ist der Algenbestand auf einen normalen Stand zurückgegangen, doch von der Fischerei allein können Juan Sumoza und die anderen nicht mehr leben. Viva Atitlán hat ihnen eine neue Aufgabe gegeben. Juan rudert die Reisenden zurück ans Ufer von San Juan la Laguna. Wie schon sein Großvater und Urgroßvater lebt auch Juan Sumoza in dem Dorf am Westufer des Sees. Am Flussufer steht eine Frau bis zur Hüfte im Wasser und wiegt mit ihren rauen Händen die Wäsche sanft hin und her. Um sie herum schäumen Seifenblasen. Vom Bootsanleger schlängelt sich eine schmale Straße steil den Berg hinauf ins Zentrum.
In einer der Hütten von San Juan ist der Verein Ixoq Ajkeem zu Hause. Hinter den grauen Betonwänden scheint es, als hätte sich die Farbpalette eines Malers ergossen. Auf Seilen strahlen Tücher und Teppiche selbst im Schatten avocadogrün, pfefferbraun und guavengelb. „Wir sammeln die Blätter, Rinden und Samen selbst“, erzählt die Vereinsverwalterin Catarina Mendéz und deutet auf einen riesigen Topf, in dem grüne Blätter brodeln. „Damit färben wir die Wolle, wie wir Maya-Frauen es seit jeher tun.“ Ein Strang Naturwolle versinkt in der hitzigen Brühe und steigt olivgrün wieder auf. Catarina lächelt zufrieden und hängt ihn zum Trocknen über ein Astgestell. Ein paar Stunden später fädeln Catarinas Finger den grünen Strang flink ins Fadenkreuz, während sie auf Tz'utujil, dem Dialekt der Maya von San Juan, mit den anderen Frauen spricht. Es klingt, als würden sie nicht nur die Fäden, sondern auch ihre Zungen verknoten.
Domingo Javier huscht am Haus der Weberinnen vorbei, ruft einen Gruß durch die Tür und zieht sich seine F.-C.-Barcelona-Kappe tiefer ins Gesicht. Die Sonne brennt vom Himmel, seit anderthalb Monaten hat es nicht mehr geregnet, obwohl eigentlich Regenzeit ist. Domingo arbeitet als Wanderführer und Zeremonienmeister für Viva Atitlán – heute hat sich eine Reisegruppe aus Frankreich für ein Baumritual angekündigt.
Er überholt eine Gruppe Frauen in kunterbunten Blusen und Wickelröcken, die auf ihren Köpfen Körbe voller Obst und Gemüse balancieren und hält erst am Fuß des Kreuzhügels. Steine markieren einen Kreis. „Der stellt die Erde dar“, erklärt Domingo und fischt aus einer Plastiktüte ein Bündel bunter Kerzen, Zucker und Kopalharzpfropfen, die er zu einer Miniaturpyramide aufschichtet. Als das Echo der Schritte die Gruppe ankündigt, reißt sich Domingo noch schnell die Kappe vom Kopf, windet ein rotes Tuch zum Turban und begrüßt die Reisegruppe. Mit roten Köpfen lassen sich die Franzosen auf die Bänke um den Steinzirkel fallen.
„Mit der Zeremonie bitten wir Gott um Erlaubnis, diese Bäume zu pflanzen und ihre Früchte zu ernten“, sagt er und zündet die Kerzenpyramide an. Dann kniet er nieder, beugt die Stirn zur Erde, breitet die Arme zum Segensgruß und beginnt melodisch zu beten. Das Wachs schmilzt, der aromatische Kopalnebel zieht über die Köpfe der Franzosen.
Ein paar Minuten später öffnet Domingo die Augen, küsst die Erde und lächelt in die Runde. „Erfüllt euch euer Gott eure Wünsche?“, fragt eine Touristin mit Haarband und Birkenstockschlapfen. Domingo sieht sie verständnislos an. „Selbstverständlich“, sagt er dann und greift zur Schaufel.
Als der Setzling gepflanzt und das Feuer erloschen ist, traben die Franzosen ihrem Führer nach zum nächsten Punkt der Tagesordnung. „Alles muss schnell, schnell gehen“, seufzt Domingo, „dabei haben die doch Urlaub.“ Er tauscht den Turban wieder gegen seine Kappe, packt sein Plastiksackerl und geht zurück ins Dorf. Ein Schwarm Vögel kreischt und kreist über den Dächern von San Juan. „Azacuanes, die Wetterfrösche unserer Vorfahren“, sagt Domingo und deutet auf die dunklen Punkte am hellen Himmel, „heute wird es Regen geben.“ Am Abend grollt Donner aus den Bergen. Die Wolken senken sich ins Tal, wabern über dem Wasser und verschlucken schließlich das andere Ufer. Der See versinkt im Schwarz der Nacht. Und mit leisem Prasseln beginnen die Tropfen zu tanzen.

Von Dorf zu Dorf rund um den See

Aktivität: Viva Atitlán organisiert maßgeschneiderte Touren durch die Dörfer des Sees. vivaatitlan.com

Panajachel ist das größte der zwölf Dörfer rund um den See und dank seiner guten Verkehrsanbindung ein idealer Ausgangsort. Wer sparen will, nimmt eines der öffentlichen Boote vom Bootssteg Tzanjuyu und fährt für 25 Quetzales (etwa 2,60 Euro) einmal quer über den See.
Unterkunft: Larry's Place, schöne, einfache und saubere Zimmer für zehn USD pro Person. +502/776 207 67
Essen: Deli Llama de Fuego, geführt von einer Deutschen, köstliche landestypische und internationale Küche in entspanntem Ambiente. Calle Santander. +502/776 225 86.

San Pedro La Laguna: Wer Lust auf lange Partynächte und entspanntes Hippie-Feeling hat, ist in San Pedro genau richtig. Unterkunft: Hotel Mikaso. Nirgends kann man die Sonne so schön genießen wie im Whirlpool auf der riesigen Dachterrasse des Hotels Mikaso. Reservieren, vor allem am Wochenende: hotelmikaso@gmail.com oder +502/772 182 32. mikasohotel.com
Essen: Hummus-Ya. Wer etwas Abwechslung vom guatemaltekischen Essen sucht, ist hier richtig. Zu günstigen Preisen (ab zwei Euro) bietet das ruhig gelegene Restaurant vorzügliche israelische Kost. http://hummusya.com/hummus/index.html.
Aktivität: Thermalbäder. Die Seele baumeln lassen kann man in einem der Steinpools von Los Termales. Direkt am See kann man dort mitgebrachte Getränke bei einem heißen Bad und einzigartigem Ausblick genießen. Reservierungen unter +502/547 121 47. Preis: 40 GTQ pro Person.

San Marcos La Laguna: Dieses kleine Dörfchen ist ein Paradies der Ruhe und Erholung. Unterkunft: Hotel La Paz. Vor allem für Verliebte bieten die großen Bungalows inmitten riesiger Gärten den idealen Rückzugsort (250 GTQ pro Bungalow). Reservierung unter: lapazcolection@hotmail.com und +502/482 703 71.
Essen: Straßenstände. Nur ein paar Schritte vom Hotel La Paz entfernt stellt tagsüber eine alte Frau ihren Stand auf. Für nur zehn GTQ kann man dort traditionell und gut essen.
Restaurante La Fé: Für Traveller mit mehr Budget, feine Pasta und exotische Curry-Gerichte. Adresse: vom Bootssteg aus etwa 100 Meter der Straße folgend auf der rechten Seite.

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