Tacos und Tamales: Das mexikanische Vitamin T

MEXICO HUICHOLES
MEXICO HUICHOLES(c) EPA (Mario Guzm�)
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Mexiko-Stadt. „Wenn der Bauch voll ist, ist das Herz glücklich“, sagt ein mexikanisches Sprichwort. In der Megacity ist der Weg zum Glück nie weit: An jeder Ecke lockt eine Straßenküche.

Verträumt bemalt die Sonne die Wolkenkratzer goldgelb. Auf dem Prachtboulevard Paseo de la Reforma im Herzen der Hauptstadt rennen Geschäftsleute im Anzug um die Wette, wie Ameisen, während die Autos auf der verstopften Straße in das allmorgendliche Hupkonzert einstimmen. An einer Straßenecke steht ein Bub mit einem riesigen Topf, aus dem er Tamales aus seinem Maisblatt schält und in ein Brötchen hebt. Tamales sind gefüllte, gedämpfte Maisteigröllchen in Pflanzenschalen, ein Gericht, das schon die Tolteken, Olmeken, Mayas und Azteken kannten. Bienvenido im Megamoloch – rund 20 Millionen Menschen leben im Ballungsraum der mexikanischen Hauptstadt, täglich strömen tausende Menschen in das Hochtal, in dem sich die nomadisierenden Azteken 1325 niederließen, und haben dann vor allem eines: Hunger. Nirgends sind die Einflüsse der präkolumbianischen Hochkulturen so präsent wie beim Essen. „Die mexikanische Küche“, sagt die Fernsehköchin Mónica Partiño, „ist das Erbe unserer Vorfahren.“

Tlacoyos, Tamales, Tacos – die nächste Gelegenheit, sich den Bauch vollzuschlagen, ist in der Hauptstadt nur selten mehr als ein paar Meter entfernt. Was Würstel und Döner für Wien sind, ist die Taco für Mexiko. Mitternachtssnack und Allzeitmahlzeit, so einfach wie vielfältig: Maisfladen gefüllt mit Gemüse, Rindfleisch, Fisch, Rinderzunge und allem, was sich der gemeine Europäer lieber nicht vorstellen mag. Gewürzt mit scharfer Sauce, rohen Zwiebeln und gehacktem Koriander. Gegessen im Sitzen, Stehen und Gehen. In schicken Restaurants, einfachen Bistros, an Straßenständen oder auf Plätzen (taco placero).

Essen der Götter

„Die Tortilla ist das Essen der Götter. Ein Essen ohne Tortilla ist kein mexikanisches Essen“, sagt die Köchin und Restaurantbesitzerin Mónica Patiño. 2010 nahm die Unesco die mexikanische Küche in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes auf. Den in Mexiko eigentlich verhassten Spaniern sei es zu verdanken, dass die Gastronomie des Landes so vielfältig ist, meint Patiño. Nach der Eroberung 1521 machten die Spanier Tenochtitlán dem Erdboden gleich und errichteten aus den Steinen der Tempel ihre Kirchen und Kolonialbauten. Die ehemalige Hauptstadt Neuspaniens ist das heutige historische Zentrum von Mexiko-Stadt. Ihr Herz schlägt am Zócalo, dem drittgrößten Platz der Welt, dessen Mitte die mexikanische Flagge ziert. Hier stampfen indigene Tänzer zu den Schlägen der Trommeln, die langen Federn ihres Kopfschmucks wiegen sich weich im Takt. Weiß gekleidete Schamanen treiben ihren Kunden mit räuchernden Kräuterbüscheln die bösen Geister aus, Frauen reihen Perle um Perle zu neuen Kunstwerken. An der Nordseite wacht die Kathedrale über das Geschehen – nur wenige Meter entfernt liegen die freigelegten Teile des Templo Mayor, des wichtigsten Tempels der Azteken. Mit nur wenigen Schritten wandelt man zwischen den Kulturen, die zu einer neuen mexikanischen Kultur verschmolzen sind.

Quesilladas und Pulque

Mittagszeit, die Sonne brennt vom Himmel, nur von Süden her schiebt sich bedrohlich schwarz eine Regenwolkenwand in Richtung der verwinkelten Straßen des historischen Zentrums. Dort zieht aus einem Essensstand am Gehsteig Rauch spiralförmig in den Himmel. Auf runden Comales, Metallplatten, backen, braten und brutzeln die Tortillas und Fleischeintöpfe. Rundherum sitzen auf Plastikhockern Bauarbeiter, Anwälte und Schulmädchen und kauen auf ihren Quesadillas mit Kürbisblüte, Maispilz oder Schweineschwarte. „Informelle Restaurants“ wie dieses finden sich überall im Land und stammen noch aus den Zeiten der Revolution, erklärt Patiño, als die Frauen der Revolutionäre den Soldaten ein schnelles Essen zauberten. Heute sind die Straßenstände aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken – und für Millionen von Mexikanern die einzig bezahlbare warme Mahlzeit.

Zehn Gehminuten vom Zócalo entfernt wacht das Hochhaus Torre Latinamericana über das Zentrum, von der Aussichtsplattform schweift der Blick an einem smogfreien Tag über das Häusermeer der Megacity. Die Stadt frisst sich immer weiter die Hügel hinauf und verschlingt die umliegenden Dörfer, von denen sich aber manche ihren Charme bewahrt haben. Während die Viertel Colonia Roma und Condesa in Sachen Bars und Restaurants locker mit East Village mithalten können und zwischen Künstlerviertel und Hipstermagnet schwanken, gleicht ein Sonntag im südlichen Coyoacán eher einem Ausflug aufs Land: deftiges Essen unter schattigen Bäumen, Spaziergänge über Kopfsteinpflaster in engen Gassen.

Abends dröhnt Donner, Regenwolken hängen dicht und dunkel über der Stadt. Nur einen Augenblick blinzelt die Sonne – Regenzeit. Von Mai bis September ist dies ein tägliches Schauspiel. Ein Auto rauscht durch eine Pfütze und biegt in eine verlassene Nebenstraße des Viertels Doctores ab. Dieses verrufene Viertel sollte man bei Dunkelheit besser nicht mehr besuchen, außer man hat ein Ziel: die traditionsreiche Pulquería La Hija de los Apaches. Salsa-Musik dröhnt durch den Saal, in dem sich Tanzpaare drehen. Auf der Theke stehen drei Metallbottiche, in denen eine milchige Brühe schwappt. Seit über fünfzig Jahren schenkt Epifanio Leyva, den alle nur Pifas nennen, in der Hija de los Apaches Pulque aus.

„Pulque ist ein kultureller Schatz“, sagt Pifas, während seine Tochter María Luisa Leyva den Saft in einen Bierkrug schöpft. Schon die Azteken wussten, wie sie aus der Agavenart Maguey das Elixier der Götter gewinnen konnten. Damals war der Pulque den Priestern vorbehalten. Heute, so schätzt Pifas, gibt es nur noch 70 Pulquerías in der Hauptstadt, während Bier in jedem noch so kleinen Tante-Emma-Laden zu finden ist. Trotzdem: „Der Pulque ist wieder im Kommen“, sagt Pifas, „gerade die Mädels mögen die süß-säuerlichen Curados (Pulque mit Geschmack) lieber als das bittere Bier.“

Ein paar Meter weiter hat an den Tacoständen bei der Metro-Haltestelle Cuauhtémoc das Tagesgeschäft begonnen. Permanent säbeln die Taqueros Fleisch von den Spießen. Fünf Spieße für 15 Pesos, nicht einmal ein Euro. Weniger isst hier keiner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2014)

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