Norwegen: Lillehammers Gespür für Kunst

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Galerie(c) Elin Rossing
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Pinsel oder Piste? In Lillehammer muss sich niemand entscheiden. Seit den Olympischen Winterspielen 1994 haben sich in der Kleinstadt Kunst, Sport und Natur vereint. Eine Stippvisite anlässlich des Weltcupskispringens.

Voller Zuneigung drückt der Hundertjährige seiner Frau ein Küsschen auf die Wange, daneben schaut ein blondes Teenagermädchen verträumt aus dem Fenster und ein älterer Typ im Wollpulli läuft durch die Landschaft: Eine Stadt wie Lillehammer hat viele Gesichter.

Über 80 von ihnen sind in der Galerie Zink, am Ende der kurzen Fußgängerzone, zu sehen. Die Porträts spiegeln wider, warum Künstler und Sportler die Stadt gleichermaßen mögen. „Lillehammer ist ein guter Platz zum Leben. Wir haben alles, was wir brauchen, und sind mitten in der Natur“, erklärt Galerist Johan Maeholm. Er muss es wissen, schließlich unterrichtet er auch an der Universität Oslo und kennt das Leben in der Großstadt.

Wenige Kilometer von Maeholms Galerie entfernt trainiert der Skispringernachwuchs auf der berühmten Schanze, während weiter unten in der Håkon-Halle die Volleybälle übers Netz fliegen und Läufer ihre Runden durch die Olympia-Ausstellung drehen. Eine Etage tiefer erfahren Besucher, dass es von 1912 bis 1956 Medaillen für Architekten, Maler, Dichter, Komponisten und Bildhauer gab. 66 Kunstwettbewerbe wurden in der olympischen Geschichte ausgetragen. Sogar für die Medaillenkunst gab es eine Medaille. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg interessierte sich niemand mehr für Kunst.

Sportlich zum Motiv

Schade, findet der Olympia-Fan Egil Sorgendal. Der Architekt baute ein Bauernhaus aus dem Jahr 1850 zu einer Pension um. Bei den Olympischen Winterspielen quartierten sich einige prominente Gäste bei ihm ein, von denen er noch heute voller Stolz erzählt. Ins haltlose Schwärmen bringt ihn auch sein Hobby, die Fotografie. Seit 1970 hält Egil Sorgendal besondere Lichtstimmungen in Lillehammer fest – am liebsten am frühen Morgen oder in den Abendstunden. „Dann verfärbt sich der Himmel zuckerstangenrosarot, die Wolken leuchten dotterblumengelb und Nadelbäume im Vordergrund bilden einen schönen Kontrast dazu“, erzählt er und vergrößert eine Winterlandschaft auf seinem Bildschirm.

Malertradition lebt weiter

Von 1885 bis 1960 war das Städtchen ein beliebter Treffpunkt für Künstler. Rund zwanzig von ihnen sind als Lillehammers Maler bekannt. Ihrem Schaffen ist noch bis Ende April 2015 eine Sonderausstellung im Freilichtmuseum Maihaugen gewidmet. Eiszapfen, die wegen des Windes waagrecht von den Ästen abstehen, eine romantische Flusslandschaft, in der eine Wasseramsel von Stein zu Stein hüpft. Stundenlang beschäftigten sich die Maler mit derlei Szenerie. Pinselstrich für Pinselstrich. Egil Sorgendal braucht nur einen Moment, um den Auslöser zu drücken. Das geht natürlich auch beim Langlaufen.

Der Ort, an dem ein Künstler lebt, hat einen großen Einfluss auf sein Werk. Davon ist auch Malerin Elin Rossing überzeugt. „Du kannst im Bild sehen, wo die Leute leben.“ Deshalb sind Lillehammer und Olympia Bestandteil jedes ihrer Kunstwerke. Selbst wenn diese abstrakt sind, erinnern das Grün an die Sprungschanze und die zarten weißen Schwünge an Ritzen, die Schlittschuhläufer im Eis hinterlassen. Es ist Elin Rossings Art, sich mit ihrer Umgebung künstlerisch auseinanderzusetzen. Dabei lässt sie sich Zeit. Manchmal liegt die Leinwand monatelang auf dem Boden. „Ich weiß nicht, was ich tue. Ich improvisiere. Erst wenn ich eine innere Zufriedenheit und Ruhe spüre, weiß ich, dass ich fertig bin“, erzählt Elin. Für sie ist alles mit allem verbunden: Der Sport mit der Kunst. Die Kunst mit dem Betrachter. Der Betrachter mit der Natur und die Natur mit dem Sport.

Während woanders die olympische Begeisterung derzeit rasch erlischt, flackert sie in Lillehammer auch nach 20 Jahren noch immer in den Herzen der Menschen. Spätestens 2016 soll aus der kleinen Flamme wieder ein richtig großes Feuer werden: bei den Olympischen Winterspielen der Jugend. Dafür bereitet Linn Cecilie Maehlum, Freeriderin und Tochter des Kunstprofessors, für die familieneigene Galerie mit jungen Künstlern eine umfassende Ausstellung rund um Ski- und Snowboards vor. „Kunst und Sport gehören zusammen“, sagt Linn Cecilie Maehlum bestimmt. Beides sei in Lillehammer Teil der Alltagskultur – ganz im Sinn von Olympia.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2014)

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