Bayern: Wenn das Schweinsbratl ruft

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COLD WEATHER(c) EPA (Arno Balzarini)
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Im Verdauungskoma per Pferdeschlitten in den Nationalpark: eine Winterreise im Berchtesgadener Land.

Berchtesgaden und Bad Reichenhall sind die einzigen Orte Deutschlands, die sich den Kriterien der Marketinggesellschaft Alpine Pearls verpflichtet haben. Derzeit gibt es 30 derartige Orte im europäischen Alpenraum. Sanfte Mobilität, Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind hier angesagt, beide Städte sind umweltfreundlich mit der Bahn erreichbar und alle Ausflugziele in der Umgebung mit dem Bus.

In Schönau am Königssee, wo Romy Schneider bei ihrer Großmutter aufgewachsen ist, strahlt die Wintersonne. Keine Busse, keine Menschenmassen wie im Sommer und Herbst. Der See glitzert und strahlt. Am Steg liegt das Elektroboot, das regelmäßig zum Kircherl San Bartholomä am südlichen Ufer tuckert, das wegen seiner roten Kuppeldächern mit Abstand beliebteste Fotomotiv am Königssee. Falls die Bootstour wegen Eises ins Wasser fällt, bleibt der Waldweg oberhalb des Ostufers für einen längeren Hatscher.

An Deutschlands höchster Panoramastraße, die bis auf 1600 Höhenmeter führt, erstreckt sich ein kleines Familienskigebiet mit drei Schleppliften und zwei Übungsliften. Zwischen Tannen, Fichten und Föhren geht es fünf Kilometer bis hinunter ins Tal nach Oberau nahe der österreichischen Grenze. Von dort bringt ein Pendelbus die Skifahrer wieder nach oben. Für die kulinarische Pause empfiehlt sich die urige Rossfeldhütte von Julia und Jürgen: Schweinsbratl von der Schulter mit knuspriger Schwarte und Berchtesgadener Weihnachtsbock oder Kaiserschmarren. Selbst bei Schneetreiben lohnt ein Besuch in der Ramsau. Bei der Nationalpark-Informationsstelle Klausbachhaus das Auto parken und per Bus wieder in die Gegenrichtung zurück bis zur Marxenbrücke. Von dort schlängelt sich über zehn Kilometer ein Wanderweg entlang der Ramsauer Ache und weiter in die Marxenklamm, die sich im Hochwinter in eine märchenhafte Welt aus bizarren Eisgebilden verwandelt, bis zum Hintersee. Gleich am Beginn macht der hölzerne Wunschthron mit seinem Schneepolster darauf aufmerksam, dass jetzt ein Zauberwald beginnt. Die Radlertankstelle des Wirtshauses am Zauberwald ist verwaist. Kein Wunder bei dem vielen Schnee.

Süddeutsche Kaltblütler

Verstreut im Wald und im Flüsschen liegen zahlreiche riesige Steinbrocken, die von einem mächtigen Bergsturz vor 4000 Jahren stammen. Das Geröll staute damals die Ramsauer Ache zum jetzigen Hintersee auf. Der Nationalpark Berchtesgaden hält es wie die meisten Nationalparks: Wenn Bäume umstürzen, bleiben sie liegen und tragen so zur Urwaldatmosphäre bei. Am Hintersee sorgen Staffeleien mit Bildern für Überrraschung: Man sieht das Motiv in der Natur vor Ort und dazu das entstandene Bild, außerdem erfährt man etwas von den Künstlern selbst – im 19. Jahrhundert pilgerten viele Landschaftsmaler hierher.

Wie damals die Naturalisten stärkt man sich im Gasthof Auzinger, einem traditionsreichen, denkmalgeschützten Haus mit langer Geschichte: 1389 erstmals erwähnt, dann 1610 Taverne am historischen Salzhandelsweg und von 1850 bis 1900 Herberge der Münchener und Wiener Malerschule. Im Jahr 1874 übernahm die Witwe Babette Auzinger das Haus, ihr Porträt hängt auf einer dunklen Holztafel in der Gaststube. Sie ist die Urgroßmutter des jetzigen Wirtes Anton Hillebrand.

Nur wenige Gehminuten sind es von hier bis zum Klausbachhaus. Wen der Schweinsbraten aus dem Holzofen der Auzingers ins Verdauungskoma befördert hat, der erklimmt den Pferdeschlitten, der zur Wildfütterung führt. Werner Zeininger lässt seine süddeutschen Kaltblutpferde Sofie und Pia gemächlich zwischen Reiteralpe und dem Hochkalter Richtung Futterstelle zuckeln. Langläufer und Fußgänger überholen das Gespann. Zeininger beruhigt: „Das Wild stört sich nicht an den Besuchern. Die wissen, dass hinter dem Gatter bleifreie Zone ist.“ Von dem elf Meter hohen Beobachtungsturm mit seinen zwei Plattformen schauen die Besucher zu, wie in dem idyllischen Hochtal des Nationalparks an die 60 Rothirsche und Hirschkühe mit ihren Kälbern Heu, Gras und Rüben futtern. Jäger Christian Willeiter weiß, dass Hirsch Hansi schon 17 Jahre auf dem Buckel hat. „Ein Methusalem.“ Außerdem sind in dem 210 Quadratkilometer großen Revier rund um den Watzmann fünf Steinadlerpaare heimisch. In der Ramsau noch zum Abschied ein Blick auf die kleine Pfarrkirche oberhalb der Ramsauer Ache: Hier war der Dichter Josef Mohr, von dem das Weihnachtslied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ stammt, Hilfspfarrer.

Mit einem Untertage-Abenteuer wartet das Salzbergwerk Berchtesgaden auf, das älteste Bergwerk Europas. Außergewöhnliche Installationen und fantasievolle Inszenierungen um die Tradition und den Abbau des Salzes warten auf die jährlich 400.000 Besucher. Für die Salz-Zeit-Reise muss man sich in einen Overall zwängen, wie ihn auch heute noch die Bergleute in Berchtesgaden tragen. Mit dem alten Bergmannsgruß „Glück auf!“ geht's mit der Grubenbahn in die Tiefe. Unter Tag herrscht das ganze Jahr über eine Temperatur von zwölf Grad. Von der in Licht und Farbe getauchten Salzkathedrale aus gleiten die Besucher über eine 36 Meter lange Holzrutsche in die Salzstollen. Nach einer weiteren Rutschpartie erreicht man einen Salzsee, eine Floßfahrt bezaubert mit eindrucksvoll inszenierten Licht- und Klangspielen. Der Salzgehalt des Sees ist fast so hoch wie der des Toten Meeres. Nach eineinhalb Stunden endet das Erlebnis Salz-Zeit-Reise, bei der man viel über die 4000-jährige Geschichte des Salzabbaus erfährt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2014)

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