Aha, schöner Strand, aber kein Mensch da

Ohope
Ohope(c) Wikipedia
  • Drucken

Neuseeland. Auch an einem Traumstrand kann die Zeit lang werden, besonders, wenn er sich in einem schlecht erreichbaren Kaff befindet. Unser Autor ist schließlich geflüchtet.

Jahre bevor Wim Wenders mit seinem verwirrend betitelten Film „Paris, Texas“ aufwartete, gab es in Australien bereits die Horrorkomödie „The Cars That Ate Paris“ (1974) von Peter Weir. Meines Wissens gibt es keine Stadt in Australien, die Paris heißt, während man in Texas in der Hinsicht durchaus fündig werden kann. Jedenfalls ist das spezielle Paris in Weirs Film fiktiv. Irgendwo im australischen Outback angesiedelt, ist es das Besondere dieser Kleinstadt, dass ihre Bewohner davon leben, dass sie Autounfälle inszenieren. Und das rächt sich natürlich irgendwann einmal.

Nun lebe ich in Neuseeland, nicht in Australien. Das vergangene Jahr habe ich eine Minute vom Pazifischen Ozean entfernt in Ohope verbracht, ein Maori-Wort, es bedeutet so viel wie „große Umwälzung“, vielleicht gab es hier dermal einst einen Tsunami oder ein Erdbeben. In einem wunderschönen alten Haus, das mir alte Freunde extrem günstig zur Verfügung gestellt haben, mit Veranda und Garten und allem Drum und Dran. Der Strand von Ohope liegt keine Minute entfernt. Steht man dann am Strand, im Sand, blickt man nach links, nach rechts. Nirgendwo eine Menschenseele zu sehen, 13 Kilometer Sonnenschein, Sand und Meer. Und das von Anfang November bis Ende April. Es ist der wahrscheinlich schönste Strand von Neuseeland. Ich hatte regelrecht Mühe, ein monsterähnliches Stück Treibgut am Strand zu erwischen, damit das Foto nicht gar so fad wirkt, mit nix als Strand, Meer, blauem Himmel.

Baden und grillen am Strand

Nun werden Sie vielleicht denken, aha, schöner Strand, aber keiner da. Den Bewohnern dieses Kaffs müssen irgendwie à la Peter Weir ein paar Sicherungen durchgezwitschert sein. Aber nein. Die 3000 Bewohner vermehren sich von November bis Neujahr auf ca 30.000, und am Strand ist heiteres Getümmel. Es haben sich auch viele Reiche ihre protzigen Strandtempel hierhersetzen lassen. Dann fahren sie zu Weihnachten, da herrscht in Neuseeland bekanntlich Hochsommer, die 250 Kilometer von Auckland bis hierher nach Ohope, futtern ihr Barbecue-Grillfleisch, baden einmal im Meer, und dann sind sie wieder weg.

Der Strand wird erst im Januar schön. Das Wasser ist warm, der Sonnenschein dauerhaft, und so bleibt es jetzt, Tag für Tag, den Januar, Februar, März hindurch bis Ende April – aber die Strandgäste fehlen.

Mir ist das zuerst gar nicht aufgefallen, denn ich liebe diesen Robinson-Crusoe-Lifestyle. Ich habe mir für gutes Geld einen Tretroller gekauft, einen Scooter, mit dicken Reifen vorn und hinten, mit soliden Scheibenbremsen und dergleichen mehr. Damit gurke ich am Strand entlang, an der Grenze zwischen Wasser und Sand, da ist der Sand kompakt und doch weich genug für den Fall, dass man mal stürzen sollte. Und wenn ich dann zwei oder drei Kilometer gegen den Wind gestrampelt bin, mache ich kehrt und halte meine Hemdzipfel in den ausgebreiteten Armen wie ein Segel. Den Lenker halte ich mit der Hüfte gerade. So düse ich am Strand entlang. Fragen mich die Leute, wie der Sport heißt, sage ich: „Tomming, nach dem Erfinder.“ „Und wer ist dieser Erfinder?“ „Ich bin es. Ich bin es selbst. Haha.“

Also, da freut man sich, wenn man niemanden überfährt und wenn kein Gegenverkehr kommt. Dann bin ich aber doch einmal mit dem Bus in die Hauptstadt Wellington gefahren. Bus deshalb, weil ich den Wagen in die Werkstatt gegeben hatte. Und dabei fiel mir auf, dass es unglaublich mühsam war, aus Ohope mit dem Bus überhaupt rauszukommen. Zwischen dem einen und dem anderen Bus lange Wartezeiten oder supereiliges Wechseln zwischen den einzelnen Umsteigestationen und zu allem Überfluss keine Möglichkeit, im Bus einmal auszutreten. Was nach etlichen Stunden Fahrzeit echt unangenehm werden kann.

Wieso es keine Züge gibt? Oh, es gibt sie schon noch, die gute alte Eisenbahn. Aber aus unerfindlichen Gründen ist sie doppelt so teuer wie ein Flieger. Der Bus ist die billigste Option, besonders, wenn man schon Wochen vorher gebucht hat. Natürlich verfällt das Ticket, wenn man an diesem Tag gerade nicht fahren kann. Umgekehrt, von Wellington nach Ohope, ist die Busreise die totale Qual, es fährt auch kein Bus mehr am Abend, man kommt also bis auf 100 Kilometer heran, und dann muss man sich in Rotorua oder Tauranga ein Zimmer suchen, was die Reise dann noch etwas strapaziöser macht.

In Rotorua und Tauranga herrscht rund um die Busse herum munteres Treiben. Blondinen noch und nöcher, jeweils immer zu zweit. Es sind fast alles deutsche Touristinnen, Mädels, die eben ihr Abitur gemacht oder irgendeine Ausbildung hinter sich haben und vor dem Arbeitsbeginn zwei oder drei Monate freie Zeit zur Verfügung haben. Da machen sie nun die Reise nach Neuseeland. Ich wunderte mich eh schon immer, wieso die jungen Frauen aus Deutschland auf einmal alle blond sind. Als ich in jungen Jahren in Deutschland lebte, waren Blondinen eine Seltenheit. Hier stellen Blondinen 90 Prozent der Anwesenden. Österreicherinnen sind keine darunter. Wie kommt das? Ich fragte zwei junge Damen, die auf mich zukamen. Ich sprach sie direkt auf Deutsch an, ich erwartete nicht, dass sie vielleicht aus Norwegen kämen oder aus Schweden. „Viele von denen sind ja gar nicht echt blond“, meinte die eine. „Die haben sich ja nur blond gefärbt.“ Ich bedankte mich innerlich für diese Antwort.

Nur die Blondinen fehlen

Der eher wurmfortsatzartige Schlussteil der Reise von Tauranga nach Ohope – wie gesagt, 100 Kilometer, nach den bereits geschafften 550 von Wellington nach Tauranga, – dauerte dann noch einmal geschlagene zehn Stunden. Ich saß in dem miesen kleinen Bus neben allen möglichen einheimischen Schülern, Arbeitern und sonstigen Heimkehrern, die blonden Touristinnen fehlten aber. Sie ließen sich den schönsten Strand Neuseelands entgehen.

Warum? Nun, erstens gibt's keine vernünftige Busverbindung. Und zweitens keine vernünftigen lokalen Verkehrsmittel. Ein Strand von 13 Kilometern Länge ist toll, aber wer will 97 Kilometer zu Fuß gehen müssen? Auch wenn man erst 20 ist? Es gibt außer Strand auch nichts zu tun. Und schließlich gibt's keine vernünftigen Rucksack-Hotels.

Ein junges Paar, das 2013 zu Weihnachten, also im Hochsommer, in dieser Gegend zelten wollte, sie war 18, er 19, Deutsche natürlich, wurde von fünf Jugendlichen in der Nacht überfallen. Die Täter, vier von ihnen unter 18, und daher „nur“ ein Fall fürs Jugendgericht, beraubten die jungen Touristen und droschen mit Baseball-Schlägern auf sie ein. Der junge Mann, dem alle Vorderzähne fehlten, war kaum noch wiederzuerkennen. Ja, gewiss, es kamen Entschuldigungen und Wiedergutmachungsbemühungen von überallher. Ein netter Mensch in Auckland fuhr die beiden in seinem klassischen Cadillac durch die Stadt spazieren. Aber es ist klar, dass sich so schnell keine jungen Touristen mehr aus Europa nach Ohope und in das nahe Whakatane verlaufen werden. Dem neuseeländischen Tourismus entgehen Millionen und die kleinen Horrorstorys werden auf Jahre hinaus den Blondinen-Strom im Lande versiegen lassen.

Das ändert wenig daran, dass der Strand in Ohope der vielleicht schönste im ganzen Land ist. Aber so lange der neuseeländische Staat in dieser Gegend keine gezielte Tourismusförderung ausstreut, mit Verkehrserschließung, ausreichender polizeilicher Sicherung für Leib und Leben gerade der jungen Frauen, die in Neuseeland überall selbstständig umherreisen, und mit sicheren, angenehmen Rucksack-Hotels und einem interessanten Angebot an abenteuerlichen Freizeitaktivitäten, kann der Neuseeland-Tourismus bald auf sein wichtiges europäisches Standbein vergessen.

Ich selbst verlasse Ohope, weil mir die 650-Kilometer-Reisen mit dem eigenen Wagen – und mehr noch mit dem Bus – einfach zu strapaziös sind. Ich ziehe wieder nach Wellington, um näher bei meinen Verwandten und Freunden zu sein. Der Strand, das Sonnenbaden und das lustige „Tomming“ werden mir fehlen. Tom Appleton lebt als Autor und Übersetzer in Wien und Wellington.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wellington
Reise

Schnitzel am Pazifik

Wellington. Wind, Kaffee, Kultur und Gemütlichkeit: Die Hauptstadt Neuseelands ist die perfekte Gegenstadt zu Wien.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.