San Sebastián: Mit Hans im Nudelholz-Asyl

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Der spannendste kulinarische Abenteuertrip der Stadt ist ein Abend im Männer-Kochklub – mit einem kernigen Friesen.

„Zwanzig Uhr, Altstadt, neben der Marienkirche.“ Mehr stand nicht in Hans‘ SMS. Also hier? Die braune Tür steht einen Spalt offen, gibt den Blick frei auf eine Felssteinwand, massive Holztische und -schemel. Einmal nach Hans fragen. „No, no– Juan María“, stellt sich der Mann mit weißer Kochschürze vor. Sein Kugelbäuchlein signalisiert: Hier sind Genießer zu Hause. „Cerveza? Vino? Sidra?“, bietet er sogleich an und schnippelt weiter Krabben in einen Edelstahltopf mit dampfendem Wasser.

Die Tür fliegt auf – das muss nun Hans Harms sein: Vollbart, Fischerhemd, Holzfällerstatur. Und mit Klischee-Auswanderervita, wie er beim Kennenlernen erzählt: Sozialwissenschaftler mit VW-Bus fährt von Jever nach San Sebastián und bleibt hängen – vor über 30 Jahren. Zunächst als Organisator von Sozialprojekten, längst auch als Reiseleiter und einziger deutscher Türöffner in die geheime Welt der Männer-Kochklubs. „Willste mit anpacken?“, fragt er unkompliziert.

Hans hat heute Vorspeisenschicht – und sich Feige mit Bananenscheibe im Speckmantel ausgedacht, arretiert am Zahnstocher. Dafür braucht der mithelfende Gast keinen Michelin-Stern, nur eine ruhige Hand. Und lernt: Pintxos, die baskische Tapasvariante darf auch in San Sebastiáns Männer-Kochklubs nicht fehlen.

Mehr als 100 dieser Sociedads gebe es hier, die ältesten länger als 130 Jahre, erzählt Hans. Ihren Frauen entfliehen wollten offenbar schwer unter dem Nudelholz stehende Kerle damals und gründeten geheime Abendasyle mit Töpfen, Tellern und reichlich Txakoli, dem großartigen trockenen Weißen dieser Gegend. Vielleicht auch deshalb heißt Hans‘ Klub Aitzaki – zu deutsch: Ausrede.

Eine solche hatten Frauen lang nicht für das Betreten, sie hatten schlicht Hausverbot. Heute dürfen sie mittags und am Wochenende kommen, begleitet von einem der 120 Mitglieder. Nur so kommen auch andere Gäste rein. Hans bietet ihnen vorher noch einen Marktbummel an – fangfrischen Thunfisch kaufen und saftiges Gemüse.

Unter Stammtischbrüdern

Der Klub füllt sich nun zügig. Mit 14 überwiegend grauhaarigen Stammtischbrüdern und allen ihnen möglichen Tonlagen: scheppernd lachend, dröhnend diskutierend, verschwörerisch raunend. Juan María, Hans und drei, vier weitere wuseln in der engen Küche herum, verstehen sich bei Laufwegen und der Menüvorbereitung so blind wie das Mittelfeld des FC Barcelona.

Unter anerkennenden Ahs und Hhms genießt die lange Tafel zuerst Juan Marías Fischsuppe. „Er hat früher Spaniens Olympia-Ruderer massiert“, erzählt Hans, und stellt noch ein paar andere Mitesser vor: Elektriker, Unternehmer, Ärzte. Beruf und Herkunft spielen im Klub keine Rolle. Ebensowenig wie mangelnde Spanischkenntnisse des Gastes. Hans übersetzt, was rundherum gerufen und gestikuliert wird. Meist geht es um Fußball und Familiengeschichten. Politik ist tabu, in allen Kochklubs. Im Aitzaki hält sich heute abend nicht jeder dran – wegen der Eurokrise. „Sie sind sauer auf unsere eiserne Kanzlerin“, erzählt der 61-Jährige, „lassen das an mir aus und nennen mich derzeit Angela.“ Heute ausnahmsweise lobend, denn Harms‘ neue Pintxos-Kreation kommt gut an.

Die Küche der Ausreden-Kerle ist einfach, aber deftig: Über gedünstete Lammfüße (Geschmackssache), Seehecht mit angebratenen, milden Paprikaschoten (her mit dem Rezept!) und baskischen Apfelkuchen geht es in Richtung Mitternacht und Flüssignahrung: Pacharán heißt der würzige Absacker, ein Schlehenschnaps und Magenputzer. Weil Deutsche da sind, schmettert der Klub „Ein Prosit der Gemütlichkeit“, amüsiert über das verdutzte Gesicht des Gastes. Es ist nicht der letzte Moment der Verwunderung an diesem Abend. Denn das Angebot, beim Abwasch zu helfen, wiegelt Hans lachend ab: „Das macht morgen früh eine Frau.“

MIT MÄNNERN IM KOCHKLUB

Buchtipp:Drouwe, Andreas: Nordspanien, Reise-Know-How-Verlag, 19,90 Euro.

Anreise: Sofern man nicht im Baskenland ist, am besten per Flugzeug. Wien–Bilbao–Wien am günstigsten via Brüssel mit Brussels Airlines oder Air France via Paris. Der Bus Bilbao–San Sebastián verkehrt alle 30 Minuten ab Busbahnhof und braucht eine Stunde. Ein Mietwagen lohnt nicht, es gibt in San Sebastián kaum Parkplätze, Kochklub-Besuche: +34/943/27 13 99, drhansharms@yahoo.es, 15bis 20 €.

Übernachten:

Hotel Record, ruhige Pension (20 helle Zimmer) beim Zurriola-Strand. (Calzada Vieja 35, Tel. 0034 -943-27 12 55, hotelrecord.com, DZ/F ab 79 €).

Das Hotel Astoria 7 hat jedes Zimmer nach einem Filmstar benannt und DVDs mit reichlich Kinoklassikern. Hitchcock sitzt als Plastikdouble im Foyer. (Calle Sagrada Familia 1, Tel. 0034 943 445000, astoria7hotel.com, DZ/F ab 140 €)

Infos: Der Autor wurde vom Spanischen Fremdenverkehrsamt in Deutschland unterstützt.
Tourspain Wien, Walfischgasse 8/14, 1010 Wien, 01/512 95 800; spain.info

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2015)

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