Kreta: Happy Hours für Höhlenmenschen

(c) Günter Spreitzhofer
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In der Hippie-Ära war die Bucht von Matala der meistbesuchte Strand der Insel. Was ist aus dem einstigen Dörfchen geworden? Nein, kein Massenziel.

„Welcome to Matala, George“ ist an die weiße Hafenmauer gepinselt, „Today is Life. Tomorrow never comes“. Ältere Ortsbewohner schwören, dass damit der Beatle gemeint war. Bob Dylan und Cat Stevens waren jedenfalls sicher da. Die kanadische Rock-Ikone Joni Mitchell auch. Ihr Song „Carey“ soll 1969 in Matala entstanden sein. In einer Höhle – einer der vielen in den mächtigen Sandsteinfelsen, die die kleine Bucht in Südkreta begrenzen. Bewohnt waren die Höhlen schon in der Jungsteinzeit. Von dort begab sich das bezaubernde Paar Zeus und Europa nach Gortis in der Messara-Ebene, wo unter einer immergrünen Platane Minos, der Stammvater der Minoer, gezeugt worden sein soll. Später war Gortis die Hauptstadt der Römer, die Bucht von Matala ihr Haupthafen. Auch die ersten Christen nutzten die Höhlen, sogar in den Fels gehauene Sarkophage wurden gefunden, Steinbetten, Feuerstellen und Durchlässe zu anderen Höhlen, alles wind- und wetterfest.

Dass man dort gratis nächtigen kann, hatte sich bald herumgesprochen, ganz ohne Twitterei. Der Traveller-Geheimtipp blieb nicht lang geheim: Das winzige Fischerdorf wurde in den 1960ern zuerst zum Hippiezentrum und zum Traumziel sonnenhungriger Backpacker, die sich am Strand und in den Höhlen behaglich einrichteten, liebten und Joints bauten. Die ersten Tavernen öffneten, doch bald wurde rigoros durchgegriffen: Denkmalschutz, Zäune, Eintritt für die Höhlen, Übernachtungsverbot an den Stränden – die ersten Charterflieger waren unterwegs, und Paradiese dürfen nicht gratis sein.

Aber ein wenig Kokettieren mit dem alten Image kann nicht schaden, auch wenn die Kinder der Blumenkinder von damals heute im klimatisierten Bus anreisen, Heraklion und die All-inclusive-Strände der kretischen Nordküste sind gerade 80 Kilometer weg. Am Strand lässt sich's jedenfalls gut flanieren, mit ein wenig Abstand zur Brandung. Die See ist nicht selten rau, die Gischt schaumig weiß, das Geschäft mit Surfboards geht nicht übel. Die Flotte des Spartanerkönigs Menelaos soll hier nach der Rückkehr aus Troja zerschellt sein, schrieb Homer. Grigorios, der Homer Simpson wahrscheinlich besser kennt, reibt sich nicht nur die Hände: Er ist Strandmasseur und knetet in einer Bude zwischen zehn und 17 Uhr. Täglich. Wenn nicht, begutachtet er blanke Busen beim Beachvolleyball hinter dem gebührenpflichtigen Parkplatz. Dann ist Dienstschluss, denn das Schauspiel der splitternackten Touristin, die sich an der öffentlichen Stranddusche allabendlich einer ausgiebigen Ganzkörperreinigung hingibt, fasziniert alle, auch die Strandliegenvermieter, die zufällig immer dann in der Nähe auftauchen.

Hippiefest-Revivals

Seit 2011 setzt man wieder auf Hippiefest-Revivals, erfolgreich, obwohl fast keiner mehr da haust. Oder lassen sie sich nur nicht blicken? Ein paar verfilzte, ausgezehrte Langbärte sitzen weit hinter den Sonnenschirmen im Schatten der Tamarisken, einer sogar im Designerbadehöschen, etliche in Gesellschaft von adretten Aphroditen in Blond. Dort, wo der Bus aus Heraklion mühsam wenden muss, steht ein bunt bemalter VW-Bus ohne Nummernschild – aber ein Wahrzeichen braucht keinen Boxermotor mehr. „LOVE“ ist auf die staubige Rückscheibe gesprayt – und Werbung für die Bunga-Bunga-Bar am Kommos-Beach ein paar Kilometer nordwärts. Davor ein Stand der nationalen Schildkrötenschutzbehörde, mit Tour-Angeboten ins Tal der Eremiten. Ein wuchernder Langbart, Kategorie Landstreicher, würde gern fotografiert werden, für eine kleine Spende, die den Raki erschwinglicher machen soll oder eine Portion Folienkartoffel und Spargel mit Pepper Steak in der Taverne Skoukvouliano.

Hinter dem VW-Bus beginnt die einzige Straße, die alljährlich zu Saisonbeginn von Straßenmalern verschönert wird und bei den Bars beim Sunset Point endet, wo ein paar Motorräder, Tretroller und Bierkisten in Höhlen geparkt werden. Ab und zu ein geblümter VW-Käfer vor der orthodoxen Kapelle, in den Shops viel Volkskunst, Olivenholz und Bioprodukte. Und Swarovski-Steine, in Blumenform gebracht. Erst abends bietet ein versprengtes Indienfahrer-Pärchen selbst gemachten Schmuck feil und spielt nebenbei ein wenig Flöte. Sie trägt Ethno-Latzhose, er wallendes oranges Beinkleid. Sie offeriert auf Flugblättern Thai-Massage, jeder soll zahlen, was er will.

Na bitte, da ist es ja doch, das alte, jungfräuliche Matala, völlig unkommerziell. Wenngleich Flower Power in der griechischen Mittagshitze ein wenig kraftlos wirkt. Tagsüber bewohnen die beiden ein Zelt am Talschluss Richtung Roter Strand. Dort draußen, vorbei an der Pension Die zwei Brüder, beherbergen ein paar Kastenwägen die letzten Freigeister ihrer Art, die Matala zu bieten hat. Und dabei wird es wohl noch eine Weile bleiben, denn die meisten Reifen haben schon lang so wenig Luft, dass weder Hermes noch ein Autofahrerschutzbrief helfen könnten. Die Höhleneingänge hinter den römischen Ausgrabungen bei der alten Hafenanlage, oben auf halber Hanghöhe, sind mit rotem Vorhang verhängt. Wohnraum auf Abruf? Ob es dort hinten je so laut wird wie in der Beach-Bar Akuna Matata zu Mitternacht, ist ungewiss: Die frühere Hippie-Höhlenstadt gegenüber, in den Klippen auf der anderen Seite der Bucht, ist magisch beleuchtet, wenn die DJs Gas geben.
Beim Zeus, Höhlenmenschen brauchen keine Happy Hour. Tomorrow comes, das steht heute schon fest.

Matala revisited

Informationen über Unterkünfte, Tavernen und Festivals: www.matala-kreta.eu
Sea Turtle Protection Society of Greece (Meeresschildkröte Caretta Caretta, Kommos Beach): www.archelon.gr

Buchtipp:
Arn Strohmeyer (2011): „Mythos Matala/The myth of Matala. Ein Fotoband aus den 60ern und 70ern/Photographs from the sixties and seventies“. Verlag Thomas Balistier, Mähringen

Matala Beach Festival: 19.–21. Juni 2015

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2015)

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