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Harry Potter und der Orden des Ph�nix
Harry Potter und der Orden des Ph�nix(c) ORF
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Der Hogwarts Express ist jetzt auch in den Londoner Harry-Potter- Studios zu bewundern. Besuch in einer Traumwelt...

Mr. und Mrs. Dursley im Ligusterweg Nummer 4 waren stolz darauf, ganz und gar normal zu sein, sehr stolz sogar. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sie könnten sich in eine merkwürdige und geheimnisvolle Geschichte verstricken, denn mit solchem Unsinn wollten sie nichts zu tun haben.“ Als die Schriftstellerin J.K. Rowling mit diesen Worten die Geschichte „Harry Potter und der Stein der Weisen“ beginnen ließ, konnte auch sie nicht ahnen, welche weltweite Begeisterung ihre „merkwürdige und geheimnisvolle Geschichte“ finden würde.

Die in den Jahren 1997–2007 erschienenen sieben Bände der Harry-Potter-Geschichte wurden bis heute mehr als 450 Millionen Mal verkauft. Die acht darauf beruhenden Filme spielten bisher mehr als 7,7 Milliarden Dollar ein und sind damit die erfolgreichste Serie der Kinogeschichte. Nachdem der letzte Film 2011 in die Kinos kam, wurden die Studios Leavesden, im Nordwesten Londons, 32 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, für Besucher adaptiert.

Die Filmfirma Warner Brothers hat hier ab dem Jahr 2000 einen Großteil der Aufnahmen für die Harry-Potter-Filme gedreht. Auf dem Gelände eines ehemaligen Kleinflughafens, wo während des Zweiten Weltkriegs Kampfflugzeuge hergestellt wurden, entstand nun eine gigantische Fantasiewelt, an deren Entstehung mehr als 300 Menschen beteiligt waren. Dazu kamen Außenaufnahmen in Schottland und eingespielte Bilder.

Lange im Voraus ausgebucht

Die Idee, nach dem letzten Film die Kulisse gleichsam zum Hauptdarsteller zu machen, war ein weiterer durchschlagender Erfolg. Auch wenn der Betreiber, Warner Brothers, keine Zahlen veröffentlicht, lässt Sarah Roots, Vice President der Studiotour, durchblicken, dass man die Millionengrenze an Besuchern längst überschritten habe. Die Besichtigung ist lang im Voraus ausgebucht und nur gegen Voranmeldung zugänglich. „Unsere Besucher sind acht bis 80 Jahre“ meint Roots. Neben Briten kommen besonders viele Franzosen, Deutsche, Amerikaner und Chinesen.

Mit dem Hogwarts Express ist die Ausstellung nun um eine weitere Attraktion reicher, die ab Donnerstag (19. März) dem Publikum offensteht. Der Dampfzug, mit dem Harry und seine Freunde vom legendären Bahnsteig 9 ¾ in ihr Internat in Schottland reisten, steht nun für Besucher zur Besichtigung bereit – in einer eigens errichteten Halle, die einen detailgetreuen Nachbau des Londoner Bahnhofs King's Cross darstellt. Der Zug in der Ausstellung ist jener aus den Filmen, eine alte walisische Kohlenlok mit Baujahr 1937 und mehr als einer Million Meilen auf dem Buckel.

Nun steht sie frisch renoviert da, trägt stolz das Wappen mit der Aufschrift „Draco Dormiens Nunquam Titillandus“ (Kitzle niemals einen schlafenden Drachen) und pufft alle Augenblicke zufrieden Wasserdampf aus. Besucher können nicht nur die Abteile sehen, in denen Harry, Ron und Hermione gesessen sind. Sie können auch neben Gepäckswagen, die in der Wand verschwinden, für Fotos posieren. Oder lernen, wie die Filmarbeiten aus dem Zug gemacht wurden. Während der staunende Betrachter erfährt, wie im Stillstand überzeugend Bewegung vorgetäuscht werden kann, steht plötzlich Mr. Dursley persönlich neben uns.

Da muss man sich doch kräftig die Augen reiben, um zu erkennen, dass es der Schauspieler Mark Williams ist, der Harrys bösen Onkel in den Filmen spielte. Über seine Teilnahme an den Filmen sagt Williams: „Der Zauber der Bücher wirkte auch auf uns. Für mein Leben hätte ich diese Erfahrung nicht versäumen wollen.“ Und ist ebenso schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war.

Storys sehen und erleben

Das ist nur einer von vielen magischen Momenten, die den Besucher der Studiotour erwarten. J.K. Rowling sagt: „Eine Geschichte lebt nur, wenn jemand sie hören möchte.“ Hier kann man sie sehen und erleben. Von der Großen Halle von Hogwarts, für die ein echter Steinboden verlegt wurde, und ihren 131 Sitzplätzen über den Aufenthaltsraum der Zöglinge in Gryffindor hin zum Arbeitszimmer von Professor Dumbledore – die Ausstellung bietet viele Momente des Staunens. Zu viel sei hier nicht verraten. Aber es sind die ungeheure Fülle an Details sowie die Präzision, mit der an die allerkleinsten Kleinigkeiten gedacht wurde, die Staunen und Bewunderung hervorrufen. Die Filmwelt, sie wird irgendwann die wirkliche Welt, so authentisch ist alles gemacht. Oder ist es genau umgekehrt?

Das Spiel mit der Illusion reicht von ganz groß bis ganz klein: Zeitungsausgaben des „Daily Prophet“, des Zentralorgans der Zauberer, wurden ebenso sorgfältig produziert wie ein riesiges Teleskop in Dumbledores Arbeitszimmer. Dass es eines der teuersten Utensilien des Filmes war und dennoch kaum jemals zu sehen ist, beweist nur, welche Rolle die Detailtreue in den Filmen spielte. Ein Buch mit Rezepten für das Klassenzimmer für Zaubertränke, dem Reich von Professor Snape, hat tatsächlich vollgeschriebene Seiten, und in Dumbledores Schreibtischladen liegen wirkliche Briefe.

Mindestens ebenso beeindruckend wie die Handwerkskunst, die in die Filme eingeflossen ist, sind die Animationsarbeiten und die Nachbildungen von Schauplätzen wie der Winkelgasse oder ein riesiges Modell von Hogwarts selbst, das für Außenaufnahmen verwendet und dafür mit 2500 Glasfaserlampen ausgestattet wurde. Gemeinsam mit der Verwendung modernster Computeranwendungen entstanden jene einzigartigen Aufnahmen, die den besonderen Reiz der Harry-Potter-Filme ausmachen.

Die Besucher können daran auch selbst teilhaben. Man kann sich nicht nur in dem fliegenden Ford Anglia fotografieren lassen, in dem die Weasley-Brüder im zweiten Buch Harry von den Dursleys befreien. Man darf auch auf einem fliegenden Besen über die Themse bei London reiten und dann triumphierend über Hogwarts einfliegen. Während einem der Luftwind durch das Haar braust, zaubern die Aufnahmen des fiktiven Flugs selbst dem hartgesottensten Skeptiker ein Lächeln auf die Lippen. Dass man reichlich unbequem vor grünem Hintergrund – green screen – auf einer Art Topf sitzt und ein Stück Holz umklammert, illustriert nur die Magie des Ortes.

Ferngesteuerter Monsterkopf

Nicht nur staunen lässt sich hier vortrefflich, sondern auch lernen. Schulklassen werden regelmäßig in Grundlagen des Filmemachens eingeführt. Auch der Besucher ohne Vorkenntnisse kann erkennen, welche Wirkung mit Kameraführung, Perspektive und Positionierung erzielt werden können.

Um etwa den Halbriesen Hagrid entsprechend groß erscheinen zu lassen, wurde nicht nur ein ferngesteuerter Monsterkopf geschaffen, sondern wurde auch Darsteller Robbie Coltrane, der alles andere als ein Riese ist, bei den Aufnahmen in den Vordergrund gerückt und seine Umgebung verkleinert.

So professionell bei den Harry-Potter-Filmen auch alles gemacht wurde, so war doch nicht jeder Einfall gelungen. Generell gilt etwa: Wo im Film Feuer zu sehen ist, brennt es wirklich. Die schwebenden Kerzen aus der Großen Halle wurden im ersten Teil noch an Drähten fixiert. Diese schmolzen in den Flammen allerdings blitzschnell und wurden in späteren Teilen durch Computeranimationen ersetzt.

Mindestens ebenso professionell ist das Marketing. Jedes Detail der Harry-Potter-Geschichte ist mittlerweile eine geschützte Marke, deren Gesamtwert auf mehr als 15 Milliarden Dollar geschätzt wird. Eine Harry Potter Global Franchise Development soll die weitere kommerzielle Nutzung bringen. Klar, dass der Besuch in einem riesigen Shop voller Dinge mit hohem Erinnerungs- und geringem Nutzwert endet. Und natürlich ist die Tour mit Eintrittspreisen von 33 Pfund ab 16 Jahren und 25,50 Pfund für ein Kind eine veritable Geldmaschine. Aber das ist eindeutig ein hässlicher Dursley-Gedanke, und, wie es im Buch heißt, „mit solchem Unsinn wollen wir nichts zu tun haben“ nach so einem magischen Aufenthalt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2015)

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