Kroatien: Der Hunger der alten Dame

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. Musikalische Schokolade, grünes Brot, Boškarin-Rinder und Bjelica-Oliven: In Opatija, der ergrauten, stark gelifteten Eminenz der kroatischen Adria, kommen selbst notorische Kostverweigerer auf den guten istrischen Geschmack.

In der Kvarner Bucht kommen sogar im Winter heiße Gefühle auf. Was nicht nur an den altweibersommerlichen Temperaturen liegt, sondern auch an den multiplen kulinarischen Orgasmen, die hier allerorts auf der Tafelordnung stehen. Und wenn die in Würde gealterten, in den vergangenen Jahrzehnten aber straff gelifteten neoklassizistischen und Jugendstilfassaden der ehemaligen k.u. k. Riviera noch so distinguiert wirken – hinter ihren Mauern ist meist hemmungsloses Vernaschen angesagt.

Milenij Choco World

Angesichts der süßen, hoch kalorischen Opulenz, die den Objekten der schokoladigen Begierde innewohnen, ist das auch kein Wunder. Wenn dann die Gürtelbänder reißen oder ein Blusenknopf das Weite sucht, liegt's jedenfalls allein an Gula, der fünften Todsünde: der zügellosen Völlerei. Kaum jemand, der bei der legendären Bristol-Torte aus feinster dunkler Schokolade, Topfencreme und Orangenspiegel die Hände in den Schoß legt, kaum einer, der angesichts der verführerischen Pralinenproduktion in der Milenij Choco World auf Diätpläne verfällt, kaum welche, in denen die exklusiven, eigens für das Konzertprogramm des Schokofestivals entworfenen musikalischen Kreationen vom Chocolatier Josef Zotter nicht noch lange nachklingen. Selbst auf den Plattenteller kann man sich eine gute Scheibe Nadalina-Milchschokolade legen.

„O kakva luna“, tönt Fon Biskich von den Chocolate Records, während die Nadel sich nicht einmal in die Rillen frisst. Die gute geschmackliche Note fehlt Opatija aber generell nicht. „Bohn Ton“, wohin man blickt: Neben der Kakao- wird auch der Kaffeebohne ausnehmend viel Platz auf den Restaurant- und Gastgartentischen eingeräumt. Mit Café Makjato oder Bijela Kava, also Kaffee mit viel Milch, geben sich Einheimische wie Gäste längst nicht mehr zufrieden. Es darf schon etwas mehr Koffeinkultur sein.

Das Hotel Continental etwa wartet mit nahezu 50 unterschiedlichen Arten der Kaffeezubereitung auf. Und zwischen Palmen, Kamelien, asiatischem Bambus und Zitrusbäumchen wehen derart aromatische Wolken den Lungomare entlang, dass die einst importierte Wiener Kaffeehauskultur nicht mehr wirklich wienerisch, sondern eher mediterran wirkt.

Zum Glück, denn Abbazia kommt auch ohne Saher Torta und Julius Meindl zurecht. Von denen finden sich beim jährlichen Kaffeefestival Anfang April aber ohnedies kaum Spuren. Stattdessen brühen an die 100 Baristas um die Wette, dass die Frühjahrsmüdigkeit garantiert vertrieben wird. Wer kennt sie nicht, die so legendäre wie fiktive Piemontkirsche im Mon Cherie? Es gibt sie zwar nicht, dennoch hat fast jeder von ihr gehört. Genau umgekehrt ist es mit den Kirschen aus Lovran. Keinesfalls in aller Munde, existieren sie tatsächlich. Verwandt mit der Lambertkirsche und überdurchschnittlich groß, schmecken sie süßer als die meisten bei uns heimischen Arten.

Wilder Spargel, Meeresspinnen

Doch rund um die Kvarner Bucht ist nicht nur gut Kirschen essen. Gerade im Frühling verleiht der wilde Spargel, der hier fast überall direkt an der Straße zu erwerben ist, dem Tafelgeschehen eine pikant-herbe Note. Durch den – im Unterschied zum „Zuchtspargel“ – recht bitteren Geschmack harmoniert die istrische Wildvariante vor allem mit klassischen Gerichten wie der Fritaja – Omelette mit Spargel und trockenem Schweinefleisch –, traditionellen Teigwaren, wird aber selbst zu den berühmten Kvarner-Scampi serviert oder mit Beefsteak kombiniert. Und zur morgendlichen Eierspeis' passt er sowieso.

Wobei die zarten grünen Stängel natürlich nur mit heimischem Olivenöl benetzt werden sollten, denn auch die hellgrün-violetten Bjelica-Oliven haben einen ungewöhnlichen, leicht bitteren Geschmack. Sogar dem autochthonen Rotwein der Region, dem kantigen Teran, haftet eine etwas herbe Note an, an die man sich erst gewöhnen muss. Doch mit jedem Schluck steigt die Begeisterung über dieses eigenwillige Aroma, das bei keinem Anfall von akuter Fleischeslust fehlen darf.

Und die sind angesichts des üppigen Angebots bei nahezu jeder Lektüre der Speisenfolge zu erwarten. Sich nicht am bodenständigen Boškarin-Rind vergriffen zu haben, käme ohnedies einem lukullischen Kapitalverbrechen gleich. Die grauen, riesigen Tiere, von denen es mittlerweile wieder an die 2500Stück – Tendenz zum Glück steigend – gibt, gelten als Insider-Tipp und Delikatesse Istriens. Als Carpaccio, Trüffelsalami, „fuži“ oder „pljukance“, typisch istrischen Teigwaren, haben es diese einstigen Arbeitsriesen heute bis in die Haubenküche geschafft.

Meersalzmassage

Was die Küchenkarriere betrifft bereits etwas arrivierter, aber immer noch von gaumenumschmeichelnder Güte ist hingegen der würzige Pršut. Dieser traditionell im Borawind getrocknete Schinken Istriens – er wird im Unterschied zur üblichen Produktion nicht geräuchert, sondern nur an der Frischluft gereift – zählt längst zu den Klassikern der heimischen kalten Küche.

Die Keulen werden hier lediglich einer Meersalzmassage unterzogen, mit Pfeffer, Rosmarin, Lorbeer und Knoblauch gewürzt und über den Winter, wenn die böigen und kalten Borawinde bis zu zwei Wochen hindurch blasen, etwa ein halbes Jahr trocknen und danach ein ganzes Jahr reifen gelassen.

Nur blöd, dass gerade die kulinarische Hauptsaison Istriens, der Frühling, auch mit der völlereifeindlichen Fastenzeit kollidiert und fleischlich opulenten Genüssen oftmals einen moralischen Riegel vorschiebt – was anderswo schlimm wäre, nicht aber rund um Opatija. Hier wird einfach – und genussvoll – kompensiert. Mit den herrlich hellrosa Scampi auf Buzara-Art – eine saftige, dicke Suppe mit Olivenöl und Weißwein, Seezungen aus Novigrad, knackigen Kaisergranaten oder fangfrischen Meeresspinnen – nur mit einem Tropfen Olivenöl und einem Spritzer Zitronensaft würzen. Am besten schmeckt diese „fleischlose“ Kost übrigens immer noch im legendären Johnson in Mošćenička Draga.

Grünes Brot und feines Fasten

In Volosko, einem winzigen Fischerdorf bei Opatija, muss man auch einmal gewesen sein – zu Fuß und der Promenade entlang. Sozusagen als vorverlegter Verdauungsspaziergang, um danach guten Gewissens im Plavi Podrum über die kalorischen Stränge zu schlagen.

Dieser direkt am idyllischen Hafenbecken gelegene „blaue Keller“ wird von einer der berühmtesten Sommeliers Kroatiens, Danijela Kramarić, geleitet und zählt zu den 100 besten Restaurants weltweit. Bei ihr kommt eine prickelnde Fusion aus Augenschmaus und Gaumenfreude auf die rustikalen Tische. Grünes Brot wird zu Schnecken, Drachenköpfen oder Trüffelrisotti gereicht, lila Fladen verleihen Seeteufeln und Tintenfischen einen exotischen Anstrich. Und bei den frischen Kvarner Scampi beginnen selbst notorische Krustenkostverächter ihren Teller durch eine rosarote Brille zu sehen.

Nach einem derart opulenten Mahl hilft nur noch eins: entweder auf Schusters Rappen retour in die Innenstadt. Oder ein paar Tage Genießerfasten im Hotel Bristol einplanen. Bei diesem von der GGF (Österreichischen Gesellschaft für Gesundheitsförderung) zertifizierten „Fasten für Genießer®“-Konzept verliert man allein an Gewicht, nicht aber an guter Urlaubsstimmung. Dafür sind die Aussichten auf Sonnenschein, Wellnesskuren und Boots- und Wandertouren einfach zu gut.

GUSTIEREN, DINIEREN, GOURMANDIEREN, SPAZIEREN, SICH REGENERIEREN

Hotel Bristol Opatija: Maršala Tita 108, Opatija , +38/551 706 300; Vienna International Hotels führt in Opatija noch das Astoria Designhotel Opatija und Opatija Hotel.vi-hotels.com
Gastro- und Schokoladenwelt Hotel Milenji Continental: Ulica Pava Tomašića 1, Opatija, +385/51 278 007
Einkaufen: Lineaverde, M. Tita 112; Opatija. Herrliche Weine (Teran, Malvasia) und einzigartige abspielbare Schokoladenschallplatten.
Delikatessen im Peperoncino: Stari Grad Lovran, + 385/95/865 9577
Gostonica Johnson, Majčevo 29b, 51417 Mošćenička Draga, +385/51/737-578; johnson.hr
Plavi Podrum Restaurant: Vl. Daniela Kramarić, Ulica Frana Supila 12, Opatija/Volosko +385/51/701 223 plavipodrum.com
Konoba Tu-tamo, Moscenice 50, Moscenicka Draga, +385/51/737 233, konoba-tutamo.hr
Kaffeefestival 11./12. April. Verkostungen, Workshops, Ausstellungen, Lesungen, Konzerte.
Opatija-Gourmet-Festival: 1.–31. Mai. Etwa vierzig Restaurants und Konobas der Riviera bieten Menüs auf Basis von Fettfisch, Kvarner-Scampis und lokalen Zutaten an.
Infos: Kroatische Zentrale für Tourismus, 1090 Wien, Liechtensteinstr. 22a; 01/5853884, kroatien.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2015)

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