„Sie haben alle immer sehr viel Luft im Körper“

Flip Flop
Flip Flop(c) Clemens Fabry
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Langstreckenleid. Südostasien-Urlauberprofis lassen sich beim Zwischenstopp in Singapur von freundlichen Asiatinnen mit Massagen von Langstreckenverspannungen befreien und ihre bisher in Schuhwerk einzementierten Füße endlich wieder flip-flop-tauglich machen.

In Südostasien das Haus zu verlassen heißt, Flip-Flops zu tragen. Auch dieser Tatsache verdankt sich der Umstand, dass bei My Foot Refloxology, einem Miniaturspa im Erdgeschoß von Terminal 3 des Changi-Airport in Singapur, jeder Platz besetzt ist. Zehen, die sich monatelang in dicken Socken und schwerem Schuhwerk aufgehalten haben, werden hier fit und vorzeigbar gemacht: für die hochsommerlichen Temperaturen Balis und Langkawis oder der australischen Ostküste und für Strände und Straßen, an denen die Zehen von Männern und Frauen grundsätzlich freiliegen.

Ohnehin ist die Maßnahme nach einem Langstreckenflug überlebensnotwendig. Füße, die zehn Stunden und länger versucht haben, Platz unter Vordersitzen zu finden, die von Essenstrolleys angefahren und von den Gang durchtorkelnden Mitreisenden getreten wurden, müssen dringend reanimiert werden. Das Licht ist schummerig, die Gespräche sind allenfalls Gemurmel. Hie und da sind die ruhigen Atemzüge fest Schlafender zu hören. Ist es Morgen oder Abend? Niemand weiß es genau. Alle sind weit gereist, ohne schon angekommen zu sein.

Die Abläufe zeugen von Routine. Der Gast erhält das Spa Menu mit dem Angebot verfügbarer Fuß-, Kopf- und Schultermassagen, Blitz- und Komplettpediküren und Maniküren zur Ansicht.

Hat er gewählt, folgt die Frage: „What time is your flight?“ Niemand soll schließlich seinen Flug verpassen. Sorgfältig werden also Bordkarten studiert und Einsteigezeiten notiert. Man weiß, dass die Kunden nicht nur eine Massage oder eine Pediküre benötigen. Für die Dauer ihrer Zwischenlandung muss man ihnen idealerweise auch das Denken abnehmen. Und so werden erst nach Festlegen des Zeitplans die Therapeutinnen aus dem Hinterzimmer zum Einsatz gerufen. Der Gast nimmt Platz, sie machen sich ans Werk: hantieren mit Fußbad und Handtüchern, mit Hornhauthobel, Feile und Knipser, mit klarem und knallrotem Lack. Lächeln freundlich, doch verstehen auch zu schweigen.

Kein Ort für Small Talk

Denn die Gäste sind jenseits einiger hingeworfener Sätze über ihr Woher und Wohin zu keinem kohärenten Gespräch in der Lage. Dies ist nicht der Ort für Small Talk, hier geht es um Ruhe und Erholung. Ein Reisender aus Barcelona lässt sich vor dem langen Heimflug nach Spanien die Füße massieren – eine letzte Wohltat, die für die bevorstehenden Strapazen Kraft spendet, und ein letzter Genuss südostasiatischer Wellnesskultur. Eine Australierin ruht wie tot auf einem Massagestuhl, während eine Therapeutin ihre Schultern durchknetet. Sie komme gerade aus Europa zurück, erzählt sie, als sie sich nach der Massage doch wieder rührt, und müsse noch weiter ins ferne Melbourne. Ein Amerikaner rauscht herein, wirft mit der Routine des Stammgasts seine Taschen ab und sinkt in seinen Sessel. „Wie immer“, sagt er noch, dann ist er auch schon weggedämmert. Zwei Deutsche auf dem Weg nach Brisbane nippen an dampfenden Teetassen, während sie darauf warten, dass ihre frisch lackierten Zehnägel trocknen. Jetzt nur nicht zu früh aufspringen – wäre ja ärgerlich, wenn der frisch aufgetragene Lack an den Schuhen kleben bliebe. Das Personal prüft ein letztes Mal den Lack. Vorsichtig schlüpfen die beiden Deutschen dann in die mitgebrachten Flipflops. Die Therapeutinnen plaudern unterdessen halblaut miteinander. Der Klang ihrer Stimmen fügt sich beruhigend wie das Plätschern eines Zimmerbrunnens in das Ambiente dieses Fluchtorts für Fluggeschädigte.

Jeden Tag verwandeln diese geprüften Kräfte Langstreckenpassagiere in vitale und lebensbejahende Menschen zurück. Allein die Fähigkeit, mit Anmut Füße zu baden, eignet unbedingt für höhere Aufgaben. So ist die Bemerkung einer jungen Therapeutin vollkommen ohne Arg, sondern klingt ganz liebevoll, als sie zu ihrer am benachbarten Behandlungsstuhl Fußnägel feilenden Kollegin spricht: „Sie haben alle immer sehr viel Luft im Körper.“ Niemand zuckt zusammen, kaum einer blinzelt. Luft oder nicht, immerhin sind die Füße tipptopp. (St. Bisping)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2015)

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