Menton: Blühende Schönheit

(c) Stephanie Bisping
  • Drucken

Schwindsüchtige Kurgäste und reiche Reisende überwinterten einst in Menton an der Côte d’Azur. Manche fanden hier ihr Glück, andere hinterließen zumindest prachtvolle Gärten.

Nur 22 Jahre alt wurde die Irin Annie Collen. Die Engländerin Veronica Christine starb mit fünfzehn Jahren, die Kanadierin Evelyn Rosamond mit neunzehn. Alle drei erlagen der Tuberkulose (TBC), früher Schwindsucht genannt. Die Grabsteine auf dem alten Friedhof von Menton erzählen Geschichten, deren Tragik auch nach hundert Jahren noch berührt. Auf einigen wird Monte Carlo als Sterbeort genannt – das hat in den Ohren der Hinterbliebenen offenbar mondäner als Menton geklungen. Das hilflose Streben nach Glamour im Angesicht des Unabwendbaren macht noch am hellsten Sommertag die Tristesse jener klammkalten Jännertage vorstellbar, als schwarzgeränderte Traueranzeigen die Hoffnung auf Heilung abgelöst haben.

Für viele der Reichen und Schönen, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert aus frostigeren Regionen Europas und aus Nordamerika an die Riviera pilgerten, wurde der Cimetière du Vieux-Château zur Endstation einer Reise, von der sie sich eine Besserung ihrer Tuberkulose erhofft hatten. Allzu oft vergebens. Web Ellis, Erfinder des Rugby, liegt hier ebenso begraben wie Onkel und Tante von Franklin D. Roosevelt.

Der schottische Schriftsteller und Goethe-
Übersetzer Thomas Carlyle, der im Herbst 1866 herkam, befand, dass dies das „größte britische Sanatorium im Ausland“ sein müsse. Viele der Kurgäste waren jene vermögenden Engländer, die die Küste überhaupt erst entdeckt hatten – als Fluchtort vor der Kälte ihrer zugigen Herrenhäuser. Seit 1869 brachte die Eisenbahn kränkelnde Aristokraten noch schneller nach Menton. Von nun an wurde der Tourismus wichtiger als der traditionelle Handel mit Zitronen.

Henry Bennett, der Leibarzt Königin Victorias, beschrieb die Schönheit der Landschaft und die heilsame Wirkung des Klimas bei Atemwegserkrankungen in seiner Fibel „Überwintern in Menton“. Und ja, das Wetter war
schöner, die Temperaturen weit angenehmer, das Meer viel blauer als zu Hause. Allein, die medizinische
Wirkung von Wasser und Luft wurde überschätzt. Wer heute die Altstadtfassaden im feuchten Meeresklima schimmeln sieht, wird sich darüber kaum wundern. Für Pflanzen hingegen war es äußerst verträglich, und so kursierte unter den Langzeitgästen bald ein weiteres
Fieber: die Leidenschaft für das Gärtnern.

Villa Maria Serena. 1850 brachte der Graf von Viguier
die erste Palme nach Menton. Heute gedeihen hier, im
heißesten Ort Festland-Frankreichs, Kiwis, Datteln und 145 Palmenarten, viele davon im Garten der Villa Maria Serena. Sie ist das letzte Gebäude vor der italienischen Staatsgrenze. Charles Garnier, Architekt der Oper von Paris, des Casinos von Monte Carlo und der herrschaftlichen Villa Eilenroc auf dem Cap d’Antibes, baute sie für Ferdinand de Lesseps, den Konstrukteur des Suez-Kanals. Heute ist sie Schauplatz von Empfängen des Bürgermeisters. In der subtropischen Vegetation des Gartens, der sich in Serpentinen über der Küstenstraße bergan schwingt und unterhalb der Zollstation endet, macht sich das vergessene Usambaraveilchen im Plastiktopf auf einer Nebentreppe sehr bescheiden aus. Alles andere ist verschwenderischer Farbrausch: die Wogen leuchtender Bougainvilleen, die sich über die Mauer der Veranda ergießen, die Paradies-
vogelblumen und Hibiskushecken, das Blau der Bucht unten.

Jardin Serre de la Madone. Major Lawrence Johnston wurde 1871 als Sohn amerikanischer Eltern in Paris geboren, wuchs aber in England auf, wo er sich später mit den Grünflächen von Hidcote Manor in Gloucestershire um die englische Gartenkunst verdient machte. Des dortigen Klimas müde, reiste er mit seiner Mutter nach Menton. Anfang der Zwanzigerjahre legte er an der Grenze zu Italien den Jardin Serre de la Madone an, einen verwunschenen Ort, an dem Eidechsen zwischen trockenen Blättern rascheln und blaue Libellen über
spiegelglatte Teiche schwirren, von steinernen Statuen bewacht. In mehreren Terrassen erhebt sich der Garten zur Villa hin, und das kunstvolle Durcheinander, das die klaren Strukturen zu überwuchern scheint, lässt keinen Zweifel daran, dass hier alles von englischem Geist geprägt wurde. Dabei war die Geschichte des Gartens nach dem Tod von Johnstons Erbin wechselvoll – und somit typisch für die einstigen floralen Juwelen Mentons: Bis 1986 ging das Anwesen durch verschiedene Hände, schließlich landete es bei ausländischen Investoren, die ein Luxushotel errichten wollten. Die Präfektur schob diesem Plan einen Riegel vor, und fortan senkte sich Schweigen über das Grundstück. 1990 machte eine Nachbarin, die Tochter von Johnstons Hausmeister, auf den arg heruntergekommen Zustand des Gartens aufmerksam. Von da an ging es schnell: Der Jardin Serre de la Madone wurde als erster französischer Garten unter Denkmalschutz gestellt, Stadt und Küstenschutz erwarben ihn gemeinsam, um die acht Hektar Gartenfläche und drei Gebäude zu restaurieren.

Jardin Val Rahmeh. Dieses hortensische Prachtstück entging der Verwahrlosung, da der von Lord Percy Radcliff, dem Gouverneur Maltas, und seiner indischen Frau, Rahmeh, von 1906 bis 1926 angelegte Park 1966 zur mediterranen Dependance des nationalen Museums für Naturgeschichte wurde. Entsprechend aufgeräumt sieht er aus – vom Leben der ursprünglichen Besitzer ist nicht viel mehr geblieben als das Haus, in dem heute Ausstellungen zu naturwissenschaftlichen Themen gezeigt werden. Neben den Pfaden, die um das Haus führen, wachsen Mohn, Salbei, Hibiskus und Trompetenbäume neben so exotischen Gewächsen wie dem brasilianischen Florettseidenbaum, der Blüten wie Seidenbälle trägt, dem Taschentuchbaum, dessen Blüten aussehen wie zerknüllte, ja, Taschentücher, und dem Sophora Toromino, dem legendären Baum der Osterinseln. Botaniker geraten hier völlig aus dem Häuschen, an mondänere
Zeiten erinnert allerdings nur noch der Blick auf die benachbarte Villa, in der Königin Victoria von England einst bei einem ihrer Mittelmeer-Ausflüge residiert hat.

Garten der Schriftsteller. Ganz anders hat die Zeit der Villa Fontana Rosa mitgespielt, dem vom spanischen Autor Vicente Blasco Ibáñez angelegten „Garten der Schriftsteller“. 1921 kam er nach Menton, wo er
eine grüne Oase für Maler und Dichter anlegen wollte, einen Rückzugsort für Schreibblockierte und vom Leben gehetzte Künstler. Doch noch vor der Fertigstellung starb er, seine Frau floh vor ihren Erinnerungen, und bis 1990 verfiel der Garten, dessen Eingang Porträts der Lieblingsschriftsteller Vicentes
zieren: Balzac, Cervantes und Dickens.

Von einzelnen früh restaurierten Brunnen abge-
sehen, verfiel der Garten, bis er nur mehr ein Trümmerfeld war. Elf Skulpturen wurden während des letzten Weltkriegs gestohlen, übrig blieb nur Cervantes. Fünf Rosen im Cervantes-Monument, das die Geschichte von Don Quijote in bunter Keramik erzählt, zeugen von Vicentes Zugehörigkeit zur spanischen Freimaurerloge. Die Restaurierung des Rests ist seit Längerem im Gang, das Schild „Zutritt verboten“ am Eingang nur mehr Zeugnis der schlechten Laune des Verwalters – und ebenso wie die zum Teil recht sperrigen Öffnungszeiten ein Hinweis auf die Ruhe, mit der Menton das touristische Potenzial seiner prachtvollen Gärten nutzt.

Der vielleicht schönste Garten der östlichen Riviera liegt jenseits der französisch-italienischen Grenze. Thomas Hanbury, ein reicher englischer Teehändler, sah bei einer Bootstour ein mittelalterliches Haus auf halber Höhe eines bewaldeten Bergs. Es war Liebe auf den ersten Blick, und die Folgen waren kostspielig, wie häufig in solchen Fällen. Von Handelsreisen nach Asien brachte er exotische Pflanzen mit, zusammen mit seinem Bruder Daniel, einem Pharmakologen, legte er ab 1867 in den Hanbury Gardens eine beispielhafte Artenvielfalt an. Als Thomas 1907 starb, setzten Sohn Cecil und Schwiegertochter Lady Dorothy das Werk fort. 1912 waren 5800 Pflanzenarten rund um die alte Villa versammelt. Erst der Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterbrach die Arbeit: Die Hanburys mussten zurück nach England, während des Kriegs waren Truppen auf dem Grundstück untergebracht. Als Dorothy zurückkehrte, fand sie Chaos und Minen vor. Nachdem auch der nächste Krieg schwere Schäden hinterlassen hatte, wurde das Anwesen 1960 an den italienischen Staat verkauft; heute gehört es der Universität Genua, die es mit Urlaubern und Gartenfreunden teilt. Den Eingang der Villa schmückt ein Mosaik, das Marco Polo zeigt – ein Asienreisender wie Hanbury. Im Vorhof steht die Glocke aus einem buddhistischen Kloster, die zu Hanburys Zeiten die Arbeitszeiten auf dem Anwesen bestimmt hat. Ein Stück tiefer am Hang, nahe dem Meer, verläuft die alte Via Aurelia. Karl V. nahm diesen Weg, Napoleon auch. Hier steht die Hitze, und nur ein Hauch von Ewigkeit bewegt die Luft.

Info

Erfrischend. Limoncello de Menton –
Zitronenlikör, über aupaysducitron.fr

Tauglich. Sandalen von Emilio Pucci. emiliopucci.com

Blendend. Sonnenbrille von Armani. armani.com

Anreise
Wien-Nizza-Wien im Juni direkt mit NIKI ab 157 Euro. flyniki.com

Gärten
Jardin Marina Serena: 21 Promenade Reine Astrid, Menton. Dienstags bis sonntags um zehn Uhr geführte Touren nach Anmeldung unter Tel. +33/492/ 10 97 10.

Villa Fontana Rosa: Avenue Blasco-Ibanez,
Garavan, Menton. Montags und freitags im Rahmen von Führungen zugänglich, Anmeldung beim Tourismusbüro erforderlich. Eintritt sechs Euro.

Jardin Serre de la Madone: 74 route de
Gorbio, Menton. Geöffnet dienstags bis donnerstags, Eintritt acht Euro, ermäßigt vier Euro.

Jardin Val Rahmeh: Avenue Saint-Jacques, Menton. Geöffnet täglich außer dienstags. Eintritt sechs Euro, ermäßigt vier Euro.

Hanbury Garden: Capo Mortola, Mortola,
Ventimiglia. November bis Februar montags geschlossen, sonst täglich geöffnet. Eintritt in der Hochsaison 9 Euro, ermäßigt 6 Euro.Mentons Gärten im Netz: jardins-menton.fr

Infos

Office de Tourisme de Menton, 8 Avenue Boyer, Menton, tourisme-menton.fr

Französisches Fremdenverkehrsamt Atout France: franceguide.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.