Pattaya: Die Thai-Copacabana

Pattaya
PattayaImago
  • Drucken

Familien sind in Pattaya ausdrücklich willkommen. Was wird nun aus dem ehemaligen Sündenbabel: eine kleine Metropole mit hübscher Meeresbucht oder gar eine zweite Riviera?

"Wieso willst du nach Pattaya?", fragte Lisbeth, die in Bangkok lebt: „Zehntausend rattige Rentner, die dort überwintern, zwanzigtausend Russen, und an jeder Ecke schlechter, billiger Sex. Deutsche Altenheime für RTL II. Sonst gibt’s da wenig.“ Ich war kein Rentner, kein Russe, kein Suchender nach käuflicher Liebe, am wenigsten RTL-II-Seher.

Einst war Pattaya am Golf von Siam ein Fischerdorf mit diversen Bordellen für die amerikanischen GIs aus dem Vietnam-Krieg. Heute halten die lediglich 100.000 gemeldeten Einwohner gemeinsam mit einer halben Million Einwanderern ein vibrierendes Konglomerat aus Vergnügungslokalen, Hochhäusern und Essmärkten im Gange. Die 130 Kilometer Distanz zur Hauptstadt, die man vor nicht allzu langer Zeit in vier Stunden bewältigte, sind seit dem Bau der Sukhumvit-Schnellstraße gleichsam geschmolzen – falls es nicht gerade Stau gibt. Erster Eindruck: das mit den deutschen Pensionisten und den Russen stimmt. Von Alkohol zerstörte mitteleuropäische Gestalten, fröhliche Moskauer Männerbanden. Einer wie ich kriegt gleich eine russische Speisekarte. Lisbeth hat bei ihrer Aufzählung nur die Chinesen vergessen.

Wenn die Chartermaschinen aus China noch um eine Spur effizienter anliefern, wird die jährliche Millionenzahl an Besuchern bald zweistellig. Wer das Pattaya der Gestrandeten kennenlernen will – gibt es ein anderes? –, hält sich am besten an lokale Esskultur. „Deutsches Haus – Sattessen für 290 Baht“ steht auf dem Schild. Stefan, 45, der mit seiner „Freundin“ hier „kurz mal auf Grillwürstchen und O-Saft“ vorbeikommt, zieht eine Leidensmiene: „Ich war immer zufrieden mit Pattaya. Aber das ist mein letzter Besuch. Die Chinesen verstopfen die Walking Street, ihre Dieselbusse verstinken die Luft, die Stadt platzt aus allen Nähten.“ Was wie die übliche dumpfe China-Ablehnung klingt, ist wohl auch Kritik am Massentourismus seiner Elterngeneration – chinesische Reisegruppen wirken auf uns wie ein ironisches Zitat aus der Frühzeit des Fremdenverkehrs.

Nudelsuppe für Kalle

An der Meeres-Esplanade im Pattaya Beer Garden erfrischt eine leichte Brise den Märzvormittag. Vereinzelte Männer nehmen Chang-Bier und Ham and Eggs zu sich. Kalle aus Bremerhaven, um die 60, teilweise noch blond, auffälliger Schnurrbart, Hemd im Thai-Style, zieht Nudelsuppe vor. Er lebt seit dreißig Jahren in Pattaya. „Ursprünglich war ich wohl als Sextourist hier“, sagt er und rührt mit den Stäbchen in der Suppe. „Ich heiratete, lernte Thai, plötzlich verstand ich alles. Es war eine Offenbarung, aber auch ein Schock – was da alles abläuft. Mit einem Buch über die Ungerechtigkeiten der Thaigesellschaft gewinnst du den Nobelpreis. Das Rotlicht ist heutzutage nur deprimierend. Mittlerweile mischt die russische Mafia mit, wir haben ukrainische und russische Mädchen. Vor allem, weil die Araber ungern mit Asiatinnen schlafen – der ganz normale Rassismus.“

Zum Glück wurde in den letzten Jahren in die Infrastruktur investiert. Die Stadtväter wollen Pattaya zu einem etwas weniger einseitigen Dienstleistungszentrum machen. Die Protagonisten dafür sind schon da: westliche Zahnärzte und Ärzte, seriöse Massagedamen, ein erster Schritt zur Riviera Südostasiens. „Die Stadt ist nicht mehr so verrucht wie früher und total ungefährlich.“ Wenn Kalle das sagt, schwingt auch ein Hauch von Wehmut mit. „Für mich ist Pattaya die friedliche Koexistenz von Nutte, Opa, Gangster – und heute Familien aus der Thai-Mittelschicht.“ Davon zeugen städtische Busse nach Jomtien, der Nebenbucht mit ihren sauberen Stränden, wo die Immobilienpreise steigen. „In unserer Bucht hier warte ich darauf, dass sie endlich die Wasserqualität verbessern. Sieh dich um, wir haben Voraussetzungen für ’ne Copacabana.“ Er verweist auf die Attraktionen für Familien in der Gegend, die Underwater World mit ihrem 100-Meter-Glastunnel, einen der größten Tigerzoos der Welt und, neben den Jet-Ski-Möglichkeiten, das Elefantenreiten. „Nur was Tempel betrifft, liegen wir nicht gerade im Spitzenfeld. Aber dafür haben wir ja Bangkok.“ Kalle bestellt schwarzen Kaffee. Gegen die Chinesen hat er gar nichts. „Die ergänzen das. Sie konsumieren untertags, wenn die Farangs anderweitig beschäftigt sind.“ Die Farangs, das Thai-Wort für die weißen Ausländer, spielen dennoch die Hauptrolle. Ihr Geld hält den Betrieb am Laufen. Kalle ist selbst – wie er sich irgendwann eingestehen muss – ein Farang geblieben. Doch er ist dabei zur Ruhe gekommen. Nach der Scheidung hat er heute eine Freundin – bei einem Mann ohne Westeinkünfte kann man die Anführungszeichen fast schon weglassen.

„Sieht so aus, als würden wir unseren Lebensabend gemeinsam verbringen. Für ihre Familie bin ich zu alt, aber sie lassen es mich niemals spüren. Die Thais haben eine Meisterschaft darin, dich auszuschließen, wenn du weiß bist.“ Kalle rührt endlos in seinem Kaffee, als wollte er das Koffein entfernen. „Du musst mitmischen, sonst bist du verloren.“ Am Ende kommt Kalle doch noch zum Geschäft, er verkauft ja Tickets für seine Inselfahrten. „Zuerst gehen wir fischen. Warst du schon mal fischen?“ Kalle lacht, als würde er dem Ur-Farang solche Fertigkeiten niemals zutrauen. „Danach kannst du schnorcheln oder einfach relaxen. Wir fahren nach Koh Lan mit seinen Korallen, nehmen ein Glasbodenboot. Oder Koh Phai, da steht so‘n rätselhafter Leuchtturm. Magst du Scuba Diving? Nee, bist nicht der Typ für. Wir besuchen die Hufeiseninsel Koh Sark. Du bist Österreicher, ein historisches Detail muss dich interessieren: Dein Bundespräsident war da – hab den Namen vergessen. Franz Jonas, kann das sein? War vor meiner Zeit.“

Walking Street

Im Tuk-Tuk-freien Pattaya herrscht ein ewiges Verkehrschaos. Die Hauptadern Beach Road und Second Road werden von einem engmaschigen Netz von Pick-up-Sammeltaxis befahren. Im südlichen Strandteil, anschließend an den Pier, liegt die berühmteste Straße. Durch ein chinatownartiges Portal („Passion of wonderful night“ liest man zwischen zwei Real-Estate-Werbungen) betritt man die Walking Street mit ihren drei Gesichtern, morgens Lieferzone, nachmittags Fußgängerzone, nachts Nightlife. Neben Dutzenden Copycat- und Souvernirshops befinden sich Lucifer Disco oder Spicy Girl’s, Seafood- und Steaklokale wie Lobster Pot und Sea Zone. Kinolettern sagen: „Good boys go to heaven, bad boys go to Pattaya“, ein Slogan, der auch auf T-Shirts und Flaggen erwerblich ist. Aus den Nebengassen blitzt Gästehauswerbung „short time rooms“, und auch „short time V.I.P. rooms“.

Gelb gegen Rot. Thailand ist heute ein Land unter Militärdiktatur, zerrissen in einem Kampf zwischen der bürgerlichen Klasse (Bangkok, königstreu, gebildet und in relativem Wohlstand lebend), den „Gelben“ – und den sozial degradierten „Roten“, die im letzten Jahrzehnt sehr deutlich einen sozialen Ausgleich fordern. Seit 2011 regierten sie mit der jungen Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra (geboren 1967, kommt aus der „rot“ nahestehenden Partei Tai Rak Tai, Thais lieben Thais). Vor einem knappen Jahr wurde sie durch den 19. Militärputsch in der Geschichte des Königsreichs abgesetzt, der Apparat geht seitdem auch juristisch gegen sie und ihr Regierungsteam vor. Thailand ist in einer Schleife gefangen. Irgendwann wird das Militär wieder Wahlen zulassen müssen, und die Roten werden diese Wahlen erneut gewinnen. Die Besitzlosen wollen früher oder später ihren Anteil am sozialen Kuchen.

Während hunderte Oppositionelle in den Gefängnissen sitzen, versucht sich das Militär in gemäßigter Rhetorik. Von der Repression, in Bangkok allgegenwärtig, bemerkt man in Pattaya wenig. Verglichen mit dem armen bäuerlichen Norden herrscht hier Reichtum – und trotzdem ist die Stadt, verglichen mit dem königlichen Hua-Hin auf der anderen Seite des Golfs, immer das Stiefkind geblieben. Einige Farangs verbringen den Winter in Pattaya, viele nehmen alle drei Monate einen Bus über die kambodschanische Grenze, für einen neuen Datumsstempel im Pass. Und das mit den deutschen Alten- oder Altersheimen stimmt tatsächlich. Die Pflege ist billiger, das Wetter besser, man kann sich Pflegerinnen und den dreifachen Lebensstandard leisten.

Daneben gibt es aber noch die ganz normalen Pattaya-Besucher, die indische Familie, der unveröffentlichte Schriftsteller aus Kanada, das Schweizer Pärchen mit den Zwillingen. Sie ignorieren souverän die Knöchelbrecher-Löcher im Asphalt, schätzen hingegen die internationalen Hotels, den Aussichtspunkt nahe dem Pattaya-Schild in Hollywood-Stil und den durch die quasi Lagunenlage immer niedrigen Wellengang. Die Einheimischen kommen ebenfalls an den Strand, bleiben jedoch strikt unter den Sonnenschirm-Dächern, denn das Schönheitsideal der Thais, ob rot oder gelb, ist und bleibt die königliche Blässe. „Und, wie war’s in Pattaya?“, fragte Lisbeth. Ich antwortete: „Ich weiß nicht, was du hast. Pure Copacabana!“ Und lächelte in mich hinein.

Tipp

Niedlich. Pra Ram, die siebente Inkarnation von Vishnu, über postcardcube.com

Kitschig. Pattaya-Souvenir für zu Hause, gefunden bei amazon.com

Chilly. Thai-Bierdeckel für Sammler.

„Der Farang – Newsportal für Urlauber & Residenten in Thailand“, deutschsprachig, der-farang.com/de

Holiday Inn, zwei Türme am nördlichen Ende der Beach Road, kinderfreundlich mit zwei Poollandschaften. holidayinn-pattaya.com

Cape Dara Resort, Pattaya: grenzt an Luxus, hat Designerbadewannen an den Panoramascheiben, solide Qualität, keine Hochpreispolitik. capedarapattaya.com

AYA Boutique Hotel Pattaya ist nicht wirklich ein solches, aber der Erdgeschoß-Pool ist cool und die Lage an der Walking Street perfekt. Preise akzeptabel; ayapattayahotel.com


Stände und Gastronomie:
Wunderbare Essmärkte entlang der Second Street (verschiedene Anbieter, Tische in der Mitte), Ess-Ständchen entlang der Beach Street (Spieße, die wunderbarsten glasierten Hendln und Landwürste aus Schweinefleisch), auf der sich auch die hochklassigen Restaurants der Stadt befinden. Besonderheit: auffallend niedriger Thaianteil, viele Einwandererküchen (Flandrisch, neuerdings an vielen Orten russische Hausmannskost). Jedes Ethno-Lokal kocht notfalls auch ein Grünes Curry oder eine Tom Yang Gung. Das Dolphin Seafood Restaurant auf einem Schiff in der Bucht wird durch die eigene Fähre am Bali Hai Pier (Südpier) bedient (ab 18 Uhr). Der Pattaya Beer Garden, bietet den besten Blick auf die Bucht, dort, wo die Beach Road zur Walking Street wird, Höhe South Pattaya Road, täglich 10-2.

Wiener Schnitzel: Für Schweinsbraten und Tafelspitz sorgt der Österreicher Leonhard „Hardy“ Kauba (Frau arbeitete als Krankenpflegerin in Österreich) seit gut fünfundzwanzig Jahren mit seinem Zum Schnitzelwirt. Er lebt seit 1989 in Thailand und betreibt ein Urlauberschiff. Das von seinem thailändischen Schwager zubereitete Schnitzel schmeckt ziemlich original. 157/102 Soi Wong Amat, Naklua Road. Pattaya, Thailand.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.