Astypalaia: Flieg, weiß-blauer Schmetterling, flieg!

Chora in Astypalaia
Chora in AstypalaiaImago
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Blau-weiße Geschichten. Ob Euro oder Drachme – Urlaub in Griechenland hilft vor allem der Bevölkerung, vor allem auf den Inseln und in einer Region, die nicht so absahnt wie Athen, Mykonos und Co.

Asty-pa-lai-a, allein schon der Klang des Worts beflügelt die Fantasie. Wenn man dann noch ein Foto dieser Insel zu Gesicht bekommt, ist es um einen geschehen: Eine Myriade von blendend weißen Häusern klettert an einem Felsen einer mächtigen, von einer Kirchenkuppel gekrönten Trutzburg entgegen. Ein Sehnsuchtsort aus dem Griechenland-Klischee-Kalender.

Astypalaia – der Name soll von Europas kleiner Schwester herstammen – ist ein veritabler Geheimtipp (bitte nicht weitersagen). Das liegt wohl daran, dass die Insel nicht so einfach zu erreichen ist. Große Flugzeuge können hier nicht landen. Es gibt zwar Fähren, jene aus Piräus nehmen aber ziemlich viel Zeit in Anspruch, und jene von den Nachbarinseln fahren verschlungene Wege. Flüge aus Athen gibt es nicht sehr oft. Nur im Sommer kommen noch einige zusätzliche Anreisemöglichkeiten, etwa via Kos, hinzu.

Sieben Windmühlen

Ein weiterer Faktor ist auch die Natur des Inselchens. Es ist sehr klein, sehr karg. Es lag immer am Rande der Imperien, war immer heftig umkämpft, Ziel von Piratenangriffen, diente als Verbannungs- und Gefängnisort und wurde erst 1947 Teil Griechenlands. Die drei größten Orte Astypalaias sind die Hauptstadt Chora, der alte Hafen Pera Gialos und das lauschige Stranddorf Livada, alle nur ein paar Kilometer voneinander entfernt. Rund um den von sieben Windmühlen gezierten Hauptplatz von Chroa befinden sich die wichtigen Restaurants, Geschäfte und Cafés.

Im cool-urbanen Café Meltemi knotzt der Ankömmling auf gemütlichen Sofas und Sitzgarnituren und schlürft seinen griechischen Bergtee mit Honig, knabbert dreieckige Käsetaschen und checkt dank des gut funktionierenden Wi-Fis seine E-Mails. Abendessen gibt es dann nur ein Haus weiter im Restaurant Ageri, das wie viele andere Lokale nach einem der lokalen Winde benannt ist. Die Insulaner haben für jeden einen Namen – neben Meltemi und Ageri auch noch Aiolos, Pounentis, Sorokos, Levantes, Ostria und Garbis. Mit Windstärke acht ist hier hier durchaus auch im Hochsommer zu rechnen.

Muse in Menschengestalt

Der Wirt im Ageri spricht nicht wirklich Englisch und wir nicht wirklich Griechisch, sodass die Speisekarte nicht wirklich Sinn ergibt. Er findet für dieses Problem schnell eine Lösung und kommt mit der Englischlehrerin Terpsichore zurück. Terpsichore! Mein Gott, ich wollte schon immer eine echte Muse kennenlernen . . . Terpsi übersetzt gekonnt, und wenig später steht das Essen auf dem Tisch. Nach Fisch und Meeresfrüchten eine Spezialität: ein lang im Ofen zart gegarter Ziegenbraten, serviert mit Horta, einer Art Mangold, oder auf Wunsch mit Fava – Bohnenpüree. Als Nachspeise gibt es den lokalen Käse Chlori oder das ringförmige gelbe Gebäck Kitrino Kalouri. Da auf der Insel wilder Safran wächst, werten ihre Bewohner fast jedes Gericht mit dem sonst so kostbaren und teuren Gewürz auf, auch Süßspeisen.

Als Verdauungsschnaps empfiehlt sich der Rakomelo, ein mit Honig versetzter Raki, ein köstlich schmeckender und effektiv wirkender Digestiv. Andere Futterstellen wären das Barbarossa und das Agoni Grammi. Für den Absacker fällt man in die Mougou Bar ein, eines der ältesten Lokale Choras. Die Wände sind lückenlos mit Fotos tapeziert, darauf der Besitzer in jeweils wechselnder, immer attraktiver und meistens blonder ausländischer weiblicher Begleitung.
Inselrundfahrten nehmen kaum mehr als zwei Stunden in Anspruch. Die Insel zählt zum Dodekanes, sieht aber aus, als gehöre sie zu den Kykladen. Dank des Denkmalamts darf nämlich nur im kykladischen Stil gebaut werden: weiße Kuben mit blauen Fenstern, Rot, Gelb und Grün darf auch verwendet werden, wird aber selten gesehen. Das ergibt ein einheitliches, vielleicht auch ein wenig eintöniges Gesamtbild. Die durch ein Erbeben zerstörte Burgruine ist auch schon fast die größte Sehenswürdigkeit – architektonische Juwele sind nicht die Kernkompetenz unserer Heldin.

Diese liegt woanders: in der familiären Atmosphäre. Hier kennt jeder jeden und ist fast mit jedem verwandt oder verschwägert. Beinahe verwundert es, dass man nicht auf mehr Inzest-Kollateralschäden trifft. Ursache dafür ist, dass die meisten Männer früher zur See fuhren. Das hat zu manchem Trauma geführt, etwa bei Irene, die sich wortreich über ihre traurige Kindheit beklagt. Man habe zwar viel Geld gehabt, aber sie habe ihren Vater fast nie gesehen. Schluchz! Zur Traumabewältigung hat sie vor Jahren einen – Kapitän geheiratet. Und verbringt die meiste Zeit allein mit ihren Kindern.

Eigentümliche Charaktere

Der eigentümliche Charakter Astypalaias zieht auch eigentümliche Charaktere an. Individualisten, die den Mangel an Attraktionen und Spaß-Locations schätzen. Auf wiederholte Besuche folgt oft der Kauf einer Wohnung in der Chora oder eines Hauses. Die Immobilien werden zunächst als Feriendomizil benützt und letztlich als Zweit- und Alterswohnsitz. Da wären etwa der ehemalige Zollbeamte aus Athen, das Chemikerehepaar aus Thessaloniki, der Baulöwe aus Korinth, die Schafzüchterin vom Peloponnes, das Schwulenpärchen aus Paris und der Architekt aus Rom.

Bürgermeister Panormitis Contaratos, wahrscheinlich der schönste Mann der Insel und Frauenschwarm, beklagt die suboptimalen Verkehrsanbindungen ebenso. Er versucht, diese zu verbessern und plant, mit seinem Amtskollegen aus Kos gemeinsam eine eigene Fähre zu erwerben. Gleichzeitig sei Massentourismus keine Option: „Astypalaia darf nie Ibiza oder Mykonos werden!“

Die meisten Hotels, Bed and Breakfasts und Appartments befinden sich in Chora. An zweiter Stelle der Beliebtheitsskala steht Livada, das mit seinem baumbestandenen Strand ja wirklich ein lauschiges Plätzchen ist. Ein cooles Café, zwei hervorragende Tavernen, Bougainvillea-umrankte Villen. Nur ein graues griechisches Kriegsschiff, das manchmal zum Schutz vor türkischen Aggressoren vor der Küste ankert, vermag dieses intakte Postkartenidyll vorübergehend ein wenig zu stören. Einen höheren Lauschigkeitsfaktor, aber auch eine deutlich schlechtere Infrastruktur, hat nur noch Maltezana – der Name geht auf die Malteser zurück. Denn hier gibt es doch tatsächlich noch so etwas Altmodisches wie Fischerboote und Fischer.

Die schönsten leicht zugänglichen Strände sind Tzanaki, Moura, Pappou und Hagios Konstantinos. Andere, noch schönere wie Vatses, Kaminakia , Hagios Ioannis, Panormos und Pachia Amos sind allerdings nur über das Meer zu erreichen. Daher bringen sich besonders raffinierte Gäste sogar ihre eigene Jacht aus Athen mit, um sie zu besuchen, oder mieten sich um teure Euro oder vielleicht bald billige Drachmen ein Boot vor Ort.

Astypalaia zu verlassen ist schwer. Als wir wieder auf dem Liliput-Airport sind, spielen sich dort dramatische Szenen ab. Ein kleiner Bub will nicht und will nicht ins Flugzeug steigen. Von Heulkrämpfen und Trotzanfällen geschüttelt wirft er sich verzweifelt seinem Insel-Onkel an den Hals, umklammert seinen Bauch und fleht ihn an, ihn hierzubehalten. Irgendwie haben sie den Racker dann doch noch in den Flieger bekommen.

Tipps

HOTELS

Mouras Studios & Villas. Romantische Unterkünfte in verschiedenen Kategorien am Strand von Livada. www.mourasstudios.gr

Andromeda Resort. Eines der besten Hotels in Chora, liebevoll eingerichtet und betreut. www.andromedaresort.gr

Maltezana Beach. Großes Resort im Fischerdorf mit Blick auf das Meer. www.maltezanabeach.gr

RESTAURANTS

Ageri, Agoni Grammi und Barbarossa. Die drei besten Tavernas am Hauptplatz, praktischerweise nebeneinander gelegen. Im Prinzip ähnliche Speisekarten. Nur unterschiedliche Einrichtungen. Das Ageri sehr traditionell, das Barbarossa sehr gemütlich mit Veranda, das Agoni Grammi modern und cool. Geschmackssache.

Maistrali. Uriges Fischrestaurant am alten Hafen.

CAFES

Meltemi. Wi-Fi und Katzen mit Blick auf die Windmühlen.

Allegro. Hier trifft sich die Jeunesse Dorée von Livada.

BIBLIOTHEK. In einer der Windmühlen hat eine leidenschaftliche Lehrerin eine kleine Leihbibliothek eingerichtet. Da die Bücher von Touristen gespendet wurden, findet man in vielen Sprachen etwas zum Lesen. Praktisch.

MITBRINGSEL. Kitrinokouloura (das gelbe Rundgebäck), Safran, Thymianhonig, Chlori-Käse

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