Japan: G'sund dinieren wie die Sumo-Ringer

(c) EPA (Everett Kennedy Brown)
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Auf Holzkohle gegrillter Aal in Millimeter dünne Scheiben geschnitten und auf Reis angerichtet, mit grünem Tee und Fischsud übergossen und in vier Gängen konsumiert – die lokale Küche von Nagoya ist dabei, ganz Japan zu erobern. Eine Food-Tour durch eine Stadt, die Europäer eher selten besuchen.

Auf Bahnsteigen erwartet man normalerweise keine kulinarischen Verlockungen, allenfalls einen Automaten mit Schokoriegeln und Getränken. Oder einen Imbiss mit Fast-Food-Allerweltshappen – bestenfalls. In Nagoya allerdings, der viertgrößten Stadt Japans auf Honshu, führt Touristen-Guide Kumi Yasui zu Beginn ihrer Food-Tour durch das wuselige Gedränge auf dem Bahnhof genau dorthin: zu einem der unscheinbaren, kleinen Nudelimbisse, wie es sie auf allen Gleisen gibt.

Wer Hunger hat, muss zuerst an Automaten ein Ticket für eines der Gerichte kaufen und es einer der beiden älteren Damen geben, die dann mit Mundschutz, als würden sie in einem Labor hantieren, drauflos köcheln. Sie bereiten aber lediglich Kishimen zu, eine typische Nagoya-Nudelvariante. Deren Besonderheit? Anders als den nudelverrückten Japanern erscheinen die Kishimen Europäern eher ganz normal: Sie sind flach wie Tagliatelle und breit, nicht dünn und rund wie etwa Udon- oder Soba-Nudeln.

Als geizig verschrien

„Das ist in Nagoya schon seit Jahrhunderten so“, sagt Kumi, während eine Köchin die Kishimen in einer Schale mit einer Mischung aus Dashi, einer Fischbrühe und reichlich Sojasauce, die bei jedem Imbiss ein bisschen anders schmeckt, über den Tresen reicht.

Dass die Kishimen so flach und breit sind, hat zwei Ursachen: „Eine Erklärung besagt, dass die als geizig verspotteten Einwohner Nagoyas die Nudeln so dünn gemacht haben, weil die nur ganz kurz gekocht werden müssen, was Energiekosten spart“, lacht Kumi. Die zweite, prosaischere Erklärung: Dünne, breitere Nudeln nehmen den Geschmack der Brühe besser auf. „Und in Nagoya bevorzugt man intensivere Geschmäcker.“ Also würziger, aromatischer, salziger – und das gilt längst nicht nur für die Nudelbrühe.

„In Japan spricht man daher auch von Nagoya Meshi“, erklärt die 36-Jährige, die ihre Tour heute im traditionellen Kimono macht. Nagoya Meshi steht für die lokale Küche der Millionenstadt zwischen Tokio und Kyoto, die von Touristen kaum besucht wird. Nagoya Meshi kombiniert raffiniert und harmonisch salzig mit süß, zeichnet sich durch große Vielfältigkeit aus und ist dabei, ganz Japan zu erobern. Bei aller Raffinesse ist sie allerdings bisweilen so reichhaltig und deftig, dass man das Klischee von der gesunden japanischen Schlankmacherküche über Bord werfen muss.

Knuspriger Aal

Mit Tebasaki etwa kommen scharfe, extrem knusprig frittierte tiefgefrorene Chickenwings auf den Tisch, die in Nagoya unter anderem in den Restaurants der Yamachan-Kette nach mitservierter Anleitung abgeknabbert werden. Bei Ankake-Spaghetti hingegen handelt es sich um sehr weich gekochte Nudeln, die mit einer dickflüssigen, ebenfalls sehr würzigen Sauce serviert werden. Und im Mountain-Restaurant hat man sich eine abenteuerliche Grüntee-Pasta mit Sahne und roten Bohnen ausgedacht.

Eigenwillige Kreationen wie die letztere sind aber nicht der Grund, warum die Stadt einen ganz besonderen kulinarischen Ruf hat. Sondern wegen des sogenannten Hitsumabushi etwa, einer etwas kostspieligeren Aalspezialität, die es in den großen Kaufhäusern oder speziellen Restaurants wie dem exzellenten Atsuta Horaiken gibt. Die Fische, deren Zucht in der Aichi-Region so verbreitet ist wie sonst nirgends in Japan, sollen hier weniger Gräten haben und nicht so fett sein. Auch das Kochrezept unterscheidet sich in Nagoya. Die Aale werden am Bauch längs aufgeschnitten, auf einem Holzkohlefeuer gegrillt und danach mit der knusprigen Haut in millimeterdünnen Scheiben auf Reis angerichtet und mit Sake oder Sojasauce geschmacklich verfeinert.

Wer mit dem Essen nun einfach loslegt, wird von Japanern allerdings schief angeschaut. Hitsumabushi isst man in vier Gängen: Zunächst nur den Aal, dann mit Gemüsebeilagen wie grünen Zwiebeln, Wasabi und Nori-Algen. Beim dritten Gang gießt man grünen Tee oder Fischbrühe dazu. „Und zum Schluss kann noch einmal seine Lieblingsvariante auswählen“, erklärt Kumi.

Dann steuert sie das Shimasho an, ein kleines, unscheinbares Eckrestaurant, mit dem sie ein nachhaltiges Beispiel für die reichen, intensiven Geschmäcker Nagoyas liefert. Nach kurzer Zeit steht dort eine kleine Auswahl der Miso-Oden-Spezialität auf dem rustikalen Tresen: Früchte am Stiel, rund oder viereckig, alles dick eingetaucht in Zartbitterschokolade, denkt man sich. Zumindest bis zum ersten Bissen.

Dann stellt sich heraus, dass es sich bei den Früchten um Rettich, Ei, Tofu und die kartoffelähnliche Satoimo handelt. Und bei der Schokolade um eine dicke, dunkle, süßliche Miso-Sauce, die teils mehrere Tage bei geringer Hitze die Aromen und Geschmäcker der verschiedenen Zutaten aufnimmt. In Nagoya wird in Brühen und Saucen vor allem rotes Miso, also eine Paste aus roten Sojabohnen, verwendet, wenn auch nicht immer so intensiv wie im Shimasho. „Das Rezept dafür haben wir nicht aufgeschrieben, sondern nur im Kopf“, sagt Inhaber Sadahiko Kimura. Seit 1949 und bereits in der dritten Generation wird die Misosauce mit geringfügigen Veränderungen nach Familiengeheimrezeptur hergestellt.

130 Kilo Kampfgewicht

Auch Kimuras Sohn musste das vor zwölf Jahren genauso lernen wie der Vater: durch Zuschauen und Mitarbeiten. „Die Fermentierung dauert bei dieser Miso-Sauce deutlich länger als bei normalem Miso“, erklärt Kimura. Insgesamt zweieinhalb Jahre reift sie in Fässern.

Miso-Oden ist ein eigenwilliges kulinarisches Erlebnis, das man als experimentierfreudiger Ausländer ohne die Food-Tour kaum entdeckt hätte. Auch das Chanko Fuji ist erst nach mehrmaligem Nachfragen zu finden. Kumi ist schließlich nicht mehr dabei, weil das Restaurant am Tag nach der Food-Tour auf dem Plan steht. Denn was es dort gibt, wäre tags zuvor einfach zu viel gewesen: Chanko Nabe, die Sumo-Grundnahrung, mit der sich die Ringer bis heute ihre Fülle anfuttern. Zwar ist Tokio das Sumo-Zentrum des Landes. Doch auch Nagoya ist einmal im Jahr der Nabel der japanischen Speckringer-Welt. Gerade findet das Turnier wieder statt, mitten im Juli, wenn es in der Stadt meist so heiß ist wie in einem Backofen. Eigentlich ist die drückende Hitze nicht gerade das passende Wetter für diesen fondueähnlichen Eintopf, den Koch Toshihito Ookuwa einst ebenfalls täglich aß.

Seit 24 Jahren befindet es sich nur noch auf der Speisekarte seines Restaurants, das er mit seiner Frau, Kimiko, etwas versteckt in der Nähe des Zentrums seiner Heimatstadt Nagoya betreibt. Seitdem isst er nur noch selten Chanko und hat ein Fünftel seines 130-Kilo-Kampfgewichts verloren. Die beiden sprechen zwar so gut wie kein Englisch, doch wer hierherkommt, will ohnehin nur dieses eine Gericht.

Abgeschnittener Zopf

Als Toshihito das Chanko Nabe zubereitet, läuft im Radio eine Übertragung des aktuellen Sumo-Turniers, während der Gast seinen Blick über die Sumo-Devotionalien und Karriereerinnerungen des Inhabers schweifen lässt. Ein Bild seines Meisters der Kitano-Schule, in der er trainierte, hängt an der Wand. Und unter einer Plastikhaube liegt Toshihitos abgeschnittener Zopf, den er als Ringer trug.

In der Heya, der Schule, arbeitete er sich damals nach und nach zum Chanko-Koch hoch: Erst als Auszubildender, der schnippeln und Zutaten einkaufen musste. Nach drei Jahren lernte er dann, richtig zu würzen. „Eigentlich ist es ein relativ simples Gericht“, sagt der Mittfünfziger, als er den großen Topf auf die Herdplatte auf dem Tisch stellt. Schnell beginnt die Brühe darin zu brodeln, in der sich mehrere Dutzend Zutaten befinden: Fisch, Garnelen, Nudeln, Schinken, zahlreiche Gemüse. „Die einzelnen Zutaten sind so gesund, dass ich es zum Abnehmen esse“, sagt Kimiko augenzwinkernd. Letztlich ist ja doch alles nur eine Frage der Menge.

NAGOYA MESHI – ESSEN IN NAGOYA – INFOS

Anreise
Flug ab Wien nach Nagoya u. a. mit Finnair ab 650 Euro, finnair.com
LOT Polish Airlines erweitert ab 13. Jänner 2016 das Streckennetz und nimmt eine neue Langstreckenverbindung von Warschau nach Tokio Narita auf. Am Drehkreuz Warschau sind die Flugzeiten nach Tokio perfekt auf die Anschlüsse von/nach Wien abgestimmt, lot.com/at/de/

Hotels
Das komfortable, sehr zentral gelegene Hilton Nagoya bietet nicht nur Fitnesscenter, Spa und Pool, sondern auch ein Frühstücksbuffet, das auf köstliche Weise Japanisches und Westliches in großer Auswahl mischt. Gutes Preis-Leistungs-Verhältnis ab etwa 160 Euro pro Nacht das Doppelzimmer. www.hilton.com/Nagoya

Das Sir Winston Hotel strahlt eine klassische, etwas üppigere Eleganz aus und bietet ebenfalls alle wichtigen Annehmlichkeiten – vom Spa bis zum ordentlichen Frühstück. Pro Nacht ein Doppelzimmer ab etwa 180 Euro.


Food-Tour mit Kumi durch Nagoyawww.toursbylocals.com/nagoya-food. Die zertifizierte Touristenführerin bietet auch andere Touren an – zum Beispiel eine Kimono-Tour bei einem Tagesausflug ins nahe gelegene Matsusaka.

Sake-Bar Nenohi
Die schicke und stark angesagte Bar gehört zur berühmten Morita-Sake-Brauerei, die bereits seit dem 17. Jahrhundert existiert und im Besitz der Familie des späteren Sony-Gründers war.

„Morning Service“
Bestellt man in einem Café mit entsprechendem Angebot morgens einen Kaffee oder einen Tee, bekommt man gleich noch eine Frühstücksgrundlage dazu, meist einen Toast, etwas Marmelade, Butter und ein gekochtes Ei.

Weitere Infos: Japan National Tourism Organization: www.jnto.go.jp

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2015)

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