Osttirol I.: Das Schneefeld über der Straße

Osttirol
Osttirol(c) Imago
  • Drucken

Von Mittersill nach Matrei (und umgekehrt) führt eine der bemerkenswertesten Alpenrouten: Die Felbertauernstraße schlängelt sich durch Berggiganten, der Großvenediger ist nah.

Wenn in den nächsten Tagen der neue Trassenabschnitt der Felbertauernstraße eröffnet wird, dürfte nicht nur den Errichtern ein Stein vom Herzen fallen. Zwei Jahre lang wurde der Verkehr in dem von einem Felssturz zerstörten Teilstück bei Matrei über eine Ausweichetappe geleitet – in Rekordzeit wurde nicht etwa freigelegt und saniert, sondern gleich ein neuer Streckenabschnitt errichtet. Der Umweg, die Serpentinen und die Ampelphasen hinter dem Südportal des Felbertauern-Tunnels kosteten den Autofahrern zuletzt etwas Zeit, was vor allem jene traf, die täglich von Osttirol nach Nordtirol oder in den Pinzgau auspendeln.

Für den entspannten Urlauber hingegen, der meist von Norden kommt (von Kitzbühel über den Pass Thurn nach Mittersill) und weiter nach Lienz, Kärnten oder Italien fährt, spielt es wohl keine so große Rolle. Denn die seit 1967 bestehende Straße erschließt dem Auto- oder Motorradfahrer großes Landschaftskino wie selten in den Ostalpen. Wasserfälle stürzen fast in Greifweite von den Flanken der Beinahe-Dreitausender herunter. Gebirgsbäche mäandern über den schmalen Talboden. Mancher Felseinschnitt gibt den Blick auf Schneefelder und Gletscher frei. Auf der Sonnenseite drängen sich alte Osttiroler Bergbauernhöfe wie in einem Adlerhorst zusammen, kompakte Gemeinschaften, die immer noch funktionieren. Selbst die Lawinengalerien und die kleinen Einhausungen scheinen weniger Gebrauchs- denn interessante Verkehrsarchitektur, an der sich Licht und Schatten spielen, im Winter Schneewächten und Eiszapfen hängen. Und der 5,3 Kilometer lange Tunnel beflügelt noch die Fantasie, etwa jene, über sich das Gewicht des Alpenhauptkamms zu wissen.

Die Felbertauernstraße ist keine spektakuläre Pass- und Panoramastraße wie ihre Nachbarin, die Großglockner Hochalpenstraße. Ihr Reiz liegt darin, eben in eine geologisch so bemerkenswerte Formation harmonisch eingeschnitten zu sein. Zudem führt sie durch einen großen, scheinbar leeren Raum: Die Zivilisation hat Pause, die Gegend ist den Bartgeiern, den Gemsen und den Murmeltieren überlassen. Auf zig Kilometern wohnt kein Mensch. Die Einkehrmöglichkeiten sind selten. Tauernhäuser stehen vereinzelt an der Straße, auf dass man in ihnen auf langen Fahrten Schutz finde.

Gletscher und Almidyll

Die Felbertauernstraße bringt einen auch auf die Idee abzubiegen, das Fahrzeug abzustellen, weiterzuwandern, eine Hütte anzupeilen, aufzusteigen. Gleich hinter dem Südportal des Tunnels zweigt ein Weg Richtung Innergschlöss ab, das manchmal als das schönste Tal der Alpen kolportiert wird. An der Schwärmerei ist durchaus etwas dran, kaum ein Objekt dient öfter als Fotomotiv in Osttirol als die in den Felsen gehauene Kapelle. Weiter drinnen versammeln sich Almhütten zu einem Idyll, in dem sich man sich in den Ferien einmieten kann. Das gefällt auch Tagestouristen auf der Pferdekutsche, die ins Venedigerhaus Innergschlöss einkehren und dort Graukas oder die „Ingsante Nigelen“ (in Milch gekochter Germteig mit Mohn und Butter) kosten wollen.

Der Wanderer, der Höheres im Sinn hat, steigt hingegen zur Neuen Prager Hütte auf, einem Etappenziel unterwegs zum Großvenediger, der im übrigen am 11. August 1865 von der Gschlösser Seite erstmals bestiegen wurde, ein 150-Jahre-Jubiläum. Dreieinhalb Stunden dauert der Aufstieg auf den ansehnlichen Berg. Und er ist, anders als andere Dreitausender im Nationalpark-Hohe-Tauern-Gebiet, relativ leicht zu besteigen, noch leichter im Frühjahr, wenn er zum Ziel von Skitouren wird. Wobei die Tücke in den Gletscherspalten liegt, ohne Seil könnte eine Querung fatal ausgehen. Noch sieht der Schlatenkees ja prächtig aus, doch sein Schwund ist groß. Das sollte man sich anschauen, bevor man zurückgekehrt zur Straße seinen Weg Richtung Süden fortsetzt.

TIPPS

Felbertauernstraße: verbindet Matrei mit Mittersill, 36,3 km. Einfache Fahrt durch den Tunnel kostet zehnEuro pro Fahrzeug. Weitere Tarife und Tipps: www.felbertauernstrasse.at

Einkehren: Venedigerhaus Innergschlöss, www.venedigerhaus-innergschloess.at

Übernachten in Lienz: Grandhotel Lienz, www.grandhotel-lienz.com

Tipps für Ausflüge:www.hohetauern.at, www.osttirol.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.