Nepal: Eine Runde um die Riesen

NEPAL RICE PLANTATION
NEPAL RICE PLANTATION APA/EPA/NARENDRA SHRESTHA
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Das verheerende Erdbeben liegt wenige Monate zurück. Die Bevölkerung profitiert nun erst recht vom Trekking-Tourismus. Die Zahl jener, die sich im Himalaja auf den Weg machen, nimmt nun wieder zu.

Pokhara bietet eine letzte Gelegenheit, die Annehmlichkeiten der Zivilisation zu genießen. Britisches Frühstück, Internetcafés, Fahrradverleih. Auf der gegenüberliegenden Seite des Phewa-Sees haben japanische Buddhisten ein Friedensstupa errichtet, der Ort vermittelt einen ersten Eindruck von dem, was vor uns liegt. Das Wetter spielt mit. Es ist klar und eröffnet den Blick auf das Annapurna, Dhaulagiri- und Manaslu-Massiv, drei der großartigsten Achttausender.

Dass die Berge nicht nur majestätisch und friedlich sind, dokumentiert das Mountain-Museum in Pokhara. Es feiert die bergsteigerischen Höchstleistungen, setzt aber auch den Opfern ein Denkmal. Besonders berührend ist das Schicksal von Sherpa Babu Chiri, der zehnmal den Gipfel des Mount Everest erklommen und dabei zwei Weltrekorde aufgestellt hat: Er hielt sich 21 Stunden ohne Sauerstoffmaske auf dem Gipfel auf, und er schaffte den Aufstieg in 16:56 Stunden. Doch auch der beste Bergsteiger der Welt musste den Bergen Tribut zollen. Bei seinem elften Gipfelsturm 2001 stürzte er in eine Gletscherspalte und starb 35-jährig.

Noch immer hat Nepal mit den Nachwirkungen des verheerenden Erdbebens im April und Mai zu kämpfen, es hat tausende Opfer gefordert, Häuser und Infrastruktur zerstört. Umso mehr profitiert das Land von Einnahmen aus dem Tourismus, manche Reisenden helfen auch aktiv beim Wiederaufbau mit.

Hütte, nicht Zelt

Die meisten Nepal-Reisenden nehmen nicht die Gipfel in Angriff, sondern die Treks rundherum, vor allem den großen Annapurna-Trek. Seine Bewältigung erfordert keine alpinistischen Fähigkeiten, aber eine sehr gute Kondition. Der Trek dauert 18 bis 21 Tage. Das Abenteuer beginnt mit einer siebenstündigen Autofahrt von Pokhara nach Besi Sahar, dem Ausgangspunkt. Wer bereits andere Treks im Himalaja kennt, wird überrascht sein, denn hier wartet keine Maultierkarawane mit Zelten und mobiler Küche, bereit, das Gepäck in Empfang zu nehmen. Auf dem Annapurna-Trek ist es nicht nötig, jeden Abend ein Zelt aufzuschlagen. An der Strecke stehen Hütten mit Gemeinschaftsduschen und -WCs, an manchen Stellen sogar Teehäuser. So ist es jedenfalls angekündigt. Doch häufig bestehen die Duschen nur aus einem Wasserschlauch oder Kübel. Sein Gepäck muss aber niemand selbst tragen. Dafür begleiten Sherpas den Trek. Solche Touren sind eine wichtige wirtschaftliche Basis ihrer Gemeinden. Und das Gepäck ist für die erfahrenen Sherpa eine leichte Übung. Manche transportieren in kleinen Gruppen zentnerschwere Geräte in abgelegene Teile des Himalaja.

In den ersten Tagen offenbart sich eine Umgebung, die üblichen Himalaja-Klischees nicht entspricht. Die schmalen Pfade führen durch subtropischen Regenwald, der sich mit Geröllfeldern abwechselt. In den Siedlungen haben die Menschen Reisterrassen angelegt. Auf großen Plantagen gedeihen die Apfelbäume so prächtig, dass sie zweimal im Jahr geerntet werden können. Wenig vertrauenerweckende Hängebrücken führen über kleine Gebirgsflüsse, besser nicht hinunterschauen.

Die erste Etappe (über Pisang und Manang) führt durch das Siedlungsgebiet der Gurung und Taman, die für ihre kriegerische Tradition berühmt sind. Die legendäre nepalische Gurkha-Armee, deren Dienste sich auch die Briten versicherten, bestand großteils aus Gurung. Auch das gehört zu Nepal. Heute leben die Gurung und Taman vor allem als Händler von Gemüse und Gewürzen. Wer konditionell sehr gut ist, kann von Manang aus einen Abstecher durch das Khangsar-Tal zum Tilicho-See machen, mit 4920 m einer der höchstgelegenen der Erde.

Geplagt von der Höhe

Nach Manang beginnt der anstrengendste Abschnitt, der Aufstieg zum Thorong-La-Pass (5416 m). Die Landschaft ändert sich, wird karger, das Wetter windiger, kälter. Jetzt warten die größten Herausforderungen, auf dauerhaft über 4000 Metern. Die Anzeichen der Höhenkrankheit sind unvermeidlich; es bleibt nur zu hoffen, dass sie sich nicht zu heftig äußern: Kopfschmerzen, Übelkeit, Schlafmangel. Beim Anstieg ist niemand mehr gesprächig; jeder orientiert sich am Schritt des Vordermanns; selbst der Tagesrucksack wird zur Last. Schließlich kündigen Gebetsfahnen den Passgipfel an. Geschafft! Ein Schild gratuliert zum Erfolg. Die alte tibetische Tradition, den Göttern für das glückliche Erreichen eines Passes mit Gebetsfahnen zu danken, ist zum Ritual geworden. Der Guide hat an alles gedacht und holt welche aus seinem Rucksack.

Nach einer kurzen Pause geht es hinunter nach Kagbeni, das an einer sehr engen Stelle in der Schlucht des Kali Gandaki liegt. Der Fluss hat das tiefste Durchbruchtal der Welt geschaffen, und der Trek bewegt sich einige Tage an seinen Rändern entlang. Hier liegt das Tor nach Mustang, einem von der tibetisch-buddhistischen Kultur geprägten Hochtal. Es hat aber nie zum eigentlichen Tibet gehört und ist von der chinesischen Zerstörungen verschont geblieben.

Die nächste Station ist Muktinath, ein bedeutender Pilgerort für Buddhisten und Hindus. Dort soll es einfacher sein als anderswo, die Erleuchtung zu erlangen. Das garantiert schon Padmasambhava, der große Guru, der im achten Jahrhundert den Buddhismus in Tibet verbreitet und in Muktinath Station gemacht hat. Aus einer Wand entspringen 108 Quellen (heilige Zahl), aus einer Quelle eine Erdgasflamme. In der Umgebung von Muktinath wechseln kleine Wälder mit Bergkämmen ab, die immer wieder die Sicht auf die Achttausender freigeben. Auf die Pilgerorte folgt der schmucklose Ort Jomsom, der durch den Flughafen bekannt ist. Ganz anders dagegen das zwei Stunden entfernte Marpha, entzückend, mit reich verzierten Häusern. Der Gemüse- und Obstanbau hat Marpha einen gewissen Wohlstand beschert. Auf 2600 m gedeihen Äpfel, Marillen und Pfirsiche.

Karawanen und Quellen

Karawanen mit Eseln und Schafen, den wichtigsten Transporttieren in den Bergen, kreuzen den Weg. Seit ewig gehen die Menschen diese Wege, der Trek führt ein kleines Stück entlang der alten Route, die von Tibet durch Mustang nach Indien führt. Lang haben die Tibeter dort ihre in Indien begehrten Güter transportiert – Salz, Wolle, Felle, Leder. Heute jedoch sind die Karawanen ein Abklatsch früherer Zeiten, denn Chinas Kommunisten haben die Grenzen dichtgemacht.

Schließlich muss der Kali Gandaki überquert werden, und es geht weiter ins Tal, nach Tatopani (1000 m), fast Flachland. Gleichzeitig ist der Dhaulagiri zum Greifen nah. Tatopani ist bekannt für seine heißen Quellen, ein natürliches Wellnessangebot. Gesäumt von Rhododendron-Sträuchern, moosigen Bäumen und Wasserfällen wartet nun eine letzte Hürde, der Gorepani-Pass, ein überschaubarer Anstieg verglichen mit dem bereits Zurückgelegten. Seine 2850 Meter sind bescheiden, seine Umgebung ist faszinierend. Vom Pass hinunter sind die Zeichen der Zivilisation bald wieder nicht zu übersehen. Während wir auf die Jeeps warten, die uns nach Pokhara zurückbringen, geben wir den intensiven Erfahrungen der letzten drei Wochen Raum. Über weite Strecken waren die majestätischen Gipfel unsere Begleiter. Alle Enge und Begrenztheit schienen weit weg. Und die Größe ließ andere Empfindungen ganz klein werden.

Annapurna-Trek- und Nepal-Info

Annapurna-Trek: Der Rundweg gibt einen Eindruck von der Vielfalt Nepals Kultur und Natur. Man durchwandert mehrere Vegetations- und Klimazonen – von Subtropen bis zur Wüstenland- schaft. Mittlerweile kann man den
großen Annapurna-Trek auch mit dem Mountainbike bewältigen (in 14 Tagesetappen).

Service und Anforderungen: Beste Reisezeit sind März/April und Oktober/November. Der Annapurna-Trek ist ganzjährig begehbar, außerhalb der Hauptreisezeit aber schwierig. Das bedeutet im Winter trockene Kälte und im Sommer (Monsun) schwere Regenfälle, dichte Wolken, Erdrutsche, zerstörte Brücken, Blutegel. Tagelange Unterbrechungen müssen einkalkuliert werden. Dafür entschädigt satte Landschaft. Das Wetter ist aber letztlich unberechenbar, so können frühe Schneestürme im Herbst zu Katastrophen führen, im Okto- ber 2014 starben über 40 Menschen bei einem Blizzard am Thorong-La-Pass, über 100 wurden verletzt. Die Ausrüstung (regenfest, kälteabweisend) richtet sich nach Jahreszeit. Was fehlt, kann in den gut ausgestatteten Trekking-Läden von Kathmandu und Pokhara erworben werden. Unabdingbar sind sehr gute Kondition und Trittfestigkeit. Höhentrai- ning vorab empfiehlt sich. Die Infrastruk- tur entlang gängiger Routen ist sehr gut. Wer ohne Guide unterwegs ist, muss sich um genügend Flüssigkeit und Proviant für die Tagesetappen kümmern.

Bedeutung des Trekking für den Nepal-Tourismus: Durchschnittlich 800.000 Touristen besuchen Nepal im Jahr, ein deutlicher Anstieg seit Ende des Bürgerkriegs. Diese Zahlen stammen aus der Zeit vor dem großen Erdbeben. Unmittelbar danach sind sie drastisch gesunken. Tourismus ist eine wichtige Devisenquelle in einem Land, dessen BIP bei 653 Euro pro Kopf liegt (Österreich: 45.000 Euro) und ein Viertel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt (1,14 Euro/Tag). Meist bleiben Touristen knapp zwei Wochen und geben ca. 50 Euro/Tag aus. Die Größenordnung der Treks reicht von drei Tagen bis zum Great Himalaya Trail. 120.000 sind reine Trekking-Touristen. Trekking gibt es nicht nur in Reinform. Manche, die kürzere Treks buchen, besuchen auch die Königsstädte Patan, Bhaktapur und Kathmandu oder den Chitwan-Nationalpark im tropischen Süden, wo sich Buddhas Geburtsort Lumbini befindet.

Vor Ort: Nach dem verheerenden Erdbeben braucht Nepal nach wie vor Hilfe. Österreichische Veranstalter wie Weltweitwandern (www.weltweitwandern.at) sind beim Wiederaufbau engagiert. Spendenaktionen auch von Karma Reisen (www.karmareisen.at) und ASI (www.asi.at)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

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