Irland: Ruhen zu Füßen des schlafenden Riesen

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In keinem County wird Nationaldichter und Nobelpreisträger William Butler Yeats so gefeiert wie im westirischen Sligo. Die großartige Landschaft spiegelt sich in der Lyrik wider.

Manche Nationaldichter reisen schlecht, so wie manche Weine. Wer kennt schon im deutschen Sprachraum Adam Mikiewicz (Polen), Christo Botew (Bulgarien), Rainis (Lettland) oder eben William Butler Yeats? Der irische Nobelpreisträger (1865–1939) hätte heuer seinen 150. Geburtstag gefeiert, und die irische Republik feiert ihren literarischen Helden daher mit gewaltigen Haupt- und Staatsaktionen. Denn Yeats, obwohl einer protestantischen Pastorenfamilie entstammend, hat sich sehr rasch sowohl für die Sache der Katholiken als auch für die Renaissance der irischen Kultur eingesetzt. So gründete er etwa mit Gleichgesinnten das Abbey Theatre, das nach der Teilunabhängigkeit der Insel später das irische Nationaltheater werden sollte. Den Nobelpreis erhielt er zwar für seine Dramen, heute ist er jedoch in seiner Heimat vor allem durch die Lyrik präsent. Seine Gedichte sind in der Schule Pflichtgegenstand, deswegen (oder trotzdem) können viele Iren zumindest einige seiner Strophen auswendig und rezitieren sie gern im typischen, keltische Barden imitierenden Singsang-Stil.

Die meisten Aktivitäten zum Yeats-Jahr finden im County Sligo statt, das auch ohne Anlass einen Besuch wert ist. Denn dieser kargere Teil des Landes, wohin die einheimischen Bauern nach Beginn der britischen Kolonialisierung vertrieben wurden, ist von spektakulärer Schönheit, nicht zuletzt durch den historisch bedingten diskreten Charme der Unterentwicklung. Der Unterschied zwischen Ost und West ist (nähert man sich von Dublin an) immer noch deutlich spürbar: Plötzlich begrenzen Steinmauern statt Hecken die Felder, die Landschaft wirkt weniger zersiedelt, die Wiesen scheinen eine Spur grüner zu sein, das Meer wilder, und die Kühe, Schafe und Menschen viel, viel entspannter.

„Yeats spoken here“

Yeats wurde zwar nicht in der Grafschaft geboren (sondern in Dublin), verbrachte aber daselbst die meisten Sommer seiner Jugend, weil die Familie seiner Mutter von hier stammte. Vor allem aber bezog er viel Inspiration für seine frühen Gedichte aus Sligo und Umgebung, sodass man die an sich schon schöne Gegend mit den Augen und mit den Assoziationen von Irlands größtem Naturdichter bereisen kann. Sligo selbst ist eine hübsche, putzige, westirische Kleinstadt. Sie nennt ein Yeats Memorial House ihr eigen, auf Hausmauern sind Porträts und Gedichte des Meisters aufgemalt, in Buchhandlungen sind seine Werke prominent in den Auslagen platziert, man sieht Schilder mit der Aufschrift „Yeats spoken here“, und es gibt sogar ein sehr schönes altes Pub, in dem zur Happy Hour seine Verse vorgetragen werden – während man gleichzeitig köstliche lokale Austern diniert. Unverzichtbare Hauptattraktion einer jeden William-Butler-Yeats-Pilgerreise ist eine Schiffsfahrt auf dem Lough Gill. Der Binnenseebär Captain Patrick erläutert so eigenwillig wie erschöpfend die Entstehungsgeschichte des allerberühmtesten Poems „Innisfree“, das eben von einer Insel in diesem See handelt (wohin sich William Butler Yeats in einer Art Thoreau'schen Retro-Nostalgie von London aus in eine „einfache Hütte“ zurückgeträumt hat). Nicht verpassen sollte man auch einen Besuch im grauen britischen Herrenhaus Lissadell, in dem sich der junge Yeats gleich in zwei Schwestern (eine davon eine „Gazelle“) verschaut hat. Und in dem heute noch ein Bildnis von ihm hängt, auf dem er allerdings aussieht wie Trotzki.

Während des Jubeljahres laufen unzählige Veranstaltungen: Lesungen allerorten, Ausstellungen, Musikfestivals, Theateraufführungen auf einsamen Stränden, Nachstellungen des Nobelpreisdiners, Poetry-Slams. Oder auch gesetzte Abendessen im Privathaus der Familie Brennan (mit atemberaubender Sicht über den Lough Gill). Die Hausfrau kocht, und der Hausherr doziert zwischen den Gängen über den Dichter.

Ein absolutes Muss zum Abschied stellt zweifellos eine Visite am Grab Yeats' im Drumcliff Cemetery dar. Der Grabstein ist von beispielloser Nüchternheit, und über die von ihm selbst verfasste Inschrift „Cast a cold eye on life, on death. Horseman, pass by!“ sind endlose Theorien verfasst worden. Das eigentliche Faszinosum an diesem verwunschenen Ort ist jedoch die überwältigende Präsenz des einzigartigen Tafelbergs Ben Bulben (zu dessen Füßen begraben zu werden der explizite Wunsch Yeats' gewesen ist). Dieser immergrüne Berg hat Charakter, er scheint einen Kopf zu haben. Dadurch wirkt er wie ein uralter, sanfter, schlafender Riese. Eine große Ruhe geht von ihm aus. Magisch. Nahezu unmöglich, bei seinem Anblick ein kaltes Auge zu bewahren.

VOR ORT IN SLIGO

Radisson Blue Hotel, umgebautes klassisches Manorhouse. www.radissonblu.ie

Eai A Bhan, Modern Irish Cuisine. www.ealabhan.ie

Hargadans, schönes Pub. www.hargadans.com

Infos:www.yeats2015.com, www.sligotourism.ie

www.failteireland.ie

Compliance-Hinweis: Die Reise wurde von Fāilte Ireland unterstützt. [ Fáilte Ireland /N. Kennedy ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2015)

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