Madrid: Nachts mit den Empörten tanzen

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Wer vor zehn Uhr abends isst, ist – ganz klar – Tourist. Essen, trinken und feiern bis in den frühen Morgen – ein Streifzug durch die lebendigste und spannendste Ausgehmetropole Europas.

Das wohl beste Nachtleben Europas“, „einzigartig“, „facettenreich“ – Madrid-Guides überschlagen sich, wenn sie das Nachtleben der spanischen Hauptstadt beschreiben. Und wer seine Zeit in Madrid richtig nutzen möchte, sollte nicht um 22Uhr wieder im Hotel sein, um sich für den nächsten Tag auszuruhen. Spanier gehen erst spät aus, wer vor zehn Uhr zu Abend isst, ist meistens Tourist. Jedes der zentralen Viertel Madrids hat seinen eigenen Charme, und trotzdem liegt alles so nah beieinander, dass es fußläufig – oder mit einer günstigen Taxifahrt – erreichbar ist. Im Folgenden ein Überblick über die Eigenarten jedes „barrios“ (Stadtteils) und seiner besten Lokale.

•Huertas. Zentraler Platz des Viertels ist die Plaza Santa Ana. An einer Seite befindet sich das älteste Theater Madrids, das Teatro Español, an den anderen reihen sich Bars und Restaurants aneinander. Bekannt ist vor allem das „deutsche Bierlokal“ Cervecería Alemana, an dem nichts so deutsch ist wieder der Name. Zum kleinen Bier, „caña“, oder dem großen, „jarra“ (das j wird [ch] ausgesprochen), gibt es spanische Tapas. Ernest Hemingway kehrte des Öfteren hier ein. Auf derselben Seite des Platzes ist – wie an vielen Ecken Madrids – eine Bistrokette vertreten, die in der aktuellen Wirtschaftskrise mit einer aggressiven Preispolitik Erfolgsgeschichte schreibt. Bei 100 Montaditos gibt es 100 verschiedene belegte Minibaguettes – von 80Cent bis zwei Euro. Eine „jarra“ gibt es für einen Euro dazu. An der zentralen Straße, die wie das Viertel Calle Huertas heißt, reiht sich eine Bar an die andere, laut einem Sprichwort gibt es auf dieser Straße, die hinunter zum Prado-Museum führt, mehr Kneipen als in ganz Norwegen. Auch die vielen Querstraßen und Plätze laden zum Einkehren ein.

•La Latina. Das Viertel ist Madrid-Touristen vor allem wegen des riesigen Straßenmarkts Rastro bekannt, auf dem Händler jeden Sonntag Souvenirs, Kleidung und Schmuck verkaufen. Aber auch abends hat La Latina viel zu bieten. Zum Tapas-Essen und Wein- oder Bier-Trinken ist die Calle Cava Baja nahe der Metrostation La Latina der attraktivste Anlaufpunkt. Hier reiht sich eine Tapasbar an die nächste, dazwischen sind viele Restaurants zu finden. In vielen Läden sind die kleinen Köstlichkeiten auf dem Tresen appetitlich angerichtet, Spanischkenntnisse braucht's zum Bestellen nicht, ein Fingerzeig genügt. Auf der Straße ist immer etwas los, was an der Ausgehmentalität der Spanier liegt. Niemand bleibt hier den ganzen Abend im selben Lokal. Die Einheimischen trinken und essen eine Kleinigkeit in einer Bar und ziehen in die nächste. „Noches madrileños“ können so sehr lang werden.

•Chueca. Das Viertel ist nach dem madrilenischen Komponisten Federico Chueca benannt und zieht vor allem, aber nicht nur, schwul-lesbisches Publikum an. Lang war das „barrio“ ein Problemviertel: Drogen, Prostitution und Kriminalität bestimmten die öffentliche Wahrnehmung. Das änderte sich, als die homosexuelle Community sich des Viertels annahm, Geld investierte und dem Viertel zu neuem Leben verhalf. Wegen der liberalen Ausgehkultur kommen heute auch heterosexuelle Madrilenen hierher, da sie wissen, dass hier mitunter die besten Partys der Stadt auf sie warten.

•Malasaña. Das Studenten- und Künstlerviertel hat viele alternative Geschäfte und Bars zu bieten. Zentraler Platz des „barrios“ ist die Plaza Dos de Mayo. Benannt ist er nach dem 2.Mai 1808, als sich die Madrilenen gegen die französischen Belagerer auflehnten. Unter ihnen war die damals erst 15-Jährige Manuela Malasaña, die bei den Kämpfen ums Leben kam. Nach ihr wurde dieses Viertel benannt. Besonders im Frühjahr und Sommer sind die Terrassen auf der Plaza Dos de Mayo einladend, aber auch in den Straßen, die von dem Platz wegführen, gibt es viele kleine Cafés und Bars. Außerdem war Malasaña einer der Orte, an denen spanische Künstler und Jugendliche nach dem Tod von Diktator Francisco Franco 1975 eine junge, freche Popkultur ins Leben riefen. Aus dieser madrilenischen Bewegung, der „movida madrileña“, stammt unter anderem der Regisseur Pedro Almodóvar.


•Lavapiés. Das Multikulti-Viertel Lavapiés bietet gastronomisch viele Alternativen zur spanischen Küche. Hier gibt es Restaurants aus aller Welt. Auf der Calle Lavapiés, die auf dem gleichnamigen Platz mit Metrostation beginnt, reiht sich ein indisches Restaurant an das andere. Ein Menü inklusive Getränk und Nachtisch gibt es hier für unter zehn Euro. Internationale Bars rund um die Plaza Lavapiés laden auf einen Drink nach dem Abendessen ein. Touristen sollten in diesem Viertel zumindest nachts unbelebte Seitenstraßen meiden. Es besteht die Gefahr von Überfällen und Trickdiebstählen. Nach dem Betriebsschluss der Metro um 1.30Uhr können Besucher mit Nachtbussen und Taxis sicher nach Hause fahren.


•Sol. Die Puerta del Sol ist der zentralste Punkt Spaniens. Das ganze Land schaut an Silvester hierher, wenn nach alter Tradition zu jedem der zwölf Glockenschläge eine Traube gegessen werden muss. Auch politischer Protest findet auf dem Platz eine Heimat: Demonstranten versammeln sich regelmäßig hier – egal, ob sich die „Empörten“ über Korruption und Arbeitslosigkeit beklagen oder die Monarchiegegner versuchen, die Thronbesteigung von Felipe zu verhindern.

Dieses Viertel bieten vor allem auf den Verbindungsstraßen zur Plaza Santa Ana in Huertas viele Bars, Cafés und Restaurants. Für die meisten Clubs in Madrid gilt: Erst gegen drei Uhr morgens füllt sich die Tanzfläche. Vorher sind die Spanier in Bars unterwegs. Eine perfekte „noche madrileña“ endet dann am frühen Morgen in einer Chocolatería. Denn was dem Deutschen der Döner nach einer durchgetanzten Nacht, ist dem Madrilenen eine Portion „churros con chocolate“. Das längliche Fettgebäck wird in dickflüssigen Kakao getunkt und soll mit viel Zucker und Fett dem Kater am Tag nach dem Feiern vorbeugen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2015)

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