Schlangen essen in der Megacity

Taipei
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Ferner, fremder Osten. Die Hauptstadt Taiwans mag nicht berückend schön sein, ist aber extrem grün – und ein Schlaraffenland für leidenschaftliche Foodies.

Taipeh oder Taipei – es gibt unterschiedliche Schreibweisen – wird man als Europäer nicht extra besuchen. Denn die Hauptstadt des Inselstaats Taiwan hat keine besonders markanten Schönheiten oder Sehenswürdigkeiten. Japaner und Festlandchinesen hingegen kommen gern auf einen Kurzurlaub oder zum Shoppen. Seit der von Mao geschlagene chinesische Machthaber Chiang Kai-shek 1948 mit fast zwei Millionen Menschen, fast der gesamten Elite des Reichs der Mitte, auf die Insel floh, hat sich die Stadt in einem jahrzehntelangen ökonomischen Boom in eine Megacity-Agglomeration verwandelt.

Dabei ist Taipeh an seinen Rändern ziemlich grün, erklettert die Hänge hoher Berge mit tropischer Vegetation und ist bei Weitem nicht so hässlich und brutal von Stadtautobahnen überzogen wie Bangkok oder andere Moloche auf dem asiatischen Festland. Ja, Taipeh ist sympathisch, die Einwohner sind sehr freundlich – und wie die Österreicher gelernte Phäaken, leidenschaftliche Gourmets. Das sind Asiaten im Allgemeinen und Chinesen im Besonderen, doch die Taiwan-Chinesen spielen in der gastronomischen Champions League vielleicht sogar um den Weltmeistertitel. Wenn sie nicht mindestens zweimal am Tag warm dinieren, und das zu genau festgelegten Zeiten, werden sie unrund. Und essen heißt dann nicht etwa, einen Imbiss verdrücken, sondern sich elf bis zwölf Tellerchen servieren zu lassen. Das Gemeine daran ist, dass Taiwanesen nicht dick werden. Die um ihr Gewicht besorgten Langnasen werden belächelt, doch ihre Zurückhaltung wird ihnen nachgesehen, solang sie aus Höflichkeit zumindest von jedem Tellerchen einen Gabelbissen nehmen.

Für seine Leidenschaft nimmt der gemeine Taiwanese große Opfer auf sich. Er fährt sehr weit und sogar in reizlose bis abschreckende Lokalitäten in den Outskirts, nahe von Baustellen, unter Autobahnbrücken, um besonders gute per Mundpropaganda empfohlene Gerichte zu verkosten. Ästhetik ist Nebensache, allein der Gaumen kommandiert. Sukkus: Taipeh ist ein Schlaraffenland für Foodies, die hier zumindest auf Wolke sieben schweben müssten.

Was ignorante Westler überrascht, ist das absolut heftige subtropische Klima: hohe Temperaturen bei höchster Luftfeuchtigkeit. Darauf gilt es sich einzustellen – nicht zuletzt durch Mitnahme einer Jacke, denn sobald man Gebäude betritt, wird man US-amerikanisch tiefgefroren. Die Stadt ist wegen der autoritären Grundstruktur des Staates sicher. Allerdings sollte man wie überall in Asien einen Zettel mit der Adresse in den einheimischen Schriftzeichen dabei haben. Ebenfalls unverzichtbar: eine große Anzahl von Visitenkarten (gehen weg wie nix). Ohne diese Name Cards ist man aufgeschmissen, ein Niemand, tot.

Kulinarische Mutproben, olfaktorische Challenges

01. Nationales Palastmuseum. Die Sehenswürdigkeit der Hauptstadt schlechthin. Millionen von Touristen kommen jedes Jahr vor allem deshalb nach Taipeh, besonders Festlandchinesen, die hier nicht rasend beliebt zu sein scheinen. Das Museum erweist sich leider als eine herbe Enttäuschung. Es handelt sich zwar um ungeheure Schätze, die General Chiang Kai-shek und seine Truppen bei ihrem Exodus aus Pekings Verbotener Stadt und anderen kaiserlichen Sammlungen mitgenommen haben. Für einen Europäer fallen die Objekte jedoch eher unter den Begriff Kunstgewerbe, Kunsthandwerk oder, irgendwie sperriger noch, Kunstkammer. Wie etwa der totale Hit der Exponate: die „Heuschrecke im Jadekohl“. Pure Virtuosität, geschickte Bastelei. No. 221, Section 2, Zhishan Road, Shilin District, npm.gov,tw


02. Taipei Fine Arts Museum. Taipeh ist ein Hotspot der gebildeten, westlich orientierten, global vernetzten Jugend- und Kunstszene. Weltweit renommiert ist die international kuratierte Taipei Biennale. Eine ihrer Locations ist das Taipei Fine Arts Museum, das erste Museum für zeitgenössische Kunst in Taiwan. Es bietet einen Mix aus permanenter Kollektion und Sonderausstellungen. No.181, Sec. 3, Zhongshan N. Rd., Zhongshan Dist., tfam.gov.tw

03. Songshan Cultural Park. Von den japanischen Besatzern als Tabakfabrik errichtet, wurde sie unlängst in ein Zentrum für Kultur und Kreativität verwandelt. Großzügige, intelligent adaptierte Räume, ein riesiger, begrünter Innenhof, ein Designmuseum, eine ansehnliche Sammlung moderner Kunst, interessante Wechselausstellungen. Eine gelungene Oase mitten im Moloch Taipei. No.133, Guangfu S.Rd., Xinyi Dist, songshanculturalpark.org

04. Landis Hotel. Zentral gelegenes Fünfsternhotel. Klein, aber fein. Geräumige Zimmer. Hohe Servicestandards. Schneidet bei allen Bewertungen immer wieder exzellent ab. No. 41, Section 2, Minquan East Road, Zhongshan District, landistpe.hotel.com.tw


05. Eclat. Boutiquehotel mit viel Kunst und modernster Technik. Üppiges Frühstücksbüffet, kostenlose Minibar. No. 370, Section 1, Dunhua South Road, Da'an District. eclathotels.com


06. Yong Kang. Beef Noodles sind so etwas wie der Signature dish der Nation. Es herrscht ein unglaublicher Kult darum. Der gelernte Österreicher ist dann freilich etwas überrascht: Es handelt sich um Tafelspitz, in einer Suppenschüssel mit Nudeln serviert. No.17, Lane 31, Section 2, Jinshan South Road, beefnoodle-master.com


07. Dian Shui Lou. In vielen Ländern gibt es Speisen, die für den Fremden eine Mutprobe darstellen. In diesem Fall reden wir von einer olfaktorischen Challenge. Neben Beef Noodles ist nämlich auch der Stinky Tofu ein nationales gastronomisches Heiligtum. Der Verfasser dieser Zeilen, der in Schweden Surströmming (fermentierten Hering, der wie eine in eine Jauche eingelegte Leiche riecht) versucht hat, war aufs Ärgste gefasst. Aber Entwarnung: Der „stinkende Tofu“ sah wie ein Reformhaus-Tofu aus, er roch auch „nur“, wie es ein österreichischer Mitreisender formulierte, „wie waun ma in an Kuahstall einikimmt“. Also relativ harmlos und geschmacklich fad. No.54, Huaining Street, dianshuilou.com.tw.


08. Lu Dang Chuan Guo. Dieses Lokal ist definitiv anders, wirkt eher wie ein westliches Intellektuellenbeisl. Einfache Einrichtung, große, lange Holztische. Hier wird die einheimische Volksküche zelebriert, der Hot Pot, das chinesische Fondue, wie es immer noch auf dem Land und bei Großfamilien üblich ist. Ein großer Topf mit heißer Suppe kommt auf den Tisch, daneben jede Menge Ingredienzien wie dünn geschnittenes Fleisch, Pilze, Sojasprossen, Teigtaschen, Seegurken, Gemüse und so weiter. Informell, äußerst gesprächsfördernd und wirklich köstlich. Es gibt natürlich auch viele Saucen dazu, die man ebenfalls selbst mischen kann. No.1, Xueyuan Rd., Beitou District

09. Din Tai Fung. Nicht die romantischste Location. Riesengroß im Erdgeschoß des 101 Towers bietet es die Anmutung einer besseren Konzernkantine. In einer verglasten Schauküche werken Dutzende Köche und ihre Gehilfen in weißen Mänteln, mit weißem Mund- und Haarschutz wie Chirurgen in einem Intensivstations-OP. Die Leute stehen Schlange und müssen eine Nummer ziehen und warten. Spezialisiert ist man auf alle erdenklichen Varianten von Dim Sum: über die Maßen köstlich. Erst recht kapiert man den Erfolg, wenn man die Rechnung bekommt: ein lachhafter Betrag für das, was man konsumiert hat. Wahrscheinlich das günstigste Michelin-Stern-Restaurant der Welt. B1 F, No.45, Shifu Rd., Xinyi Distr., dintaifung.com


10. Raohe Night Market. Auf den berühmten Nachtmärkten sieht man Street Food, das man so in dieser Form noch nie zu Gesicht bekommen hat und daher seinen Guide beziehungsweise die Verkäufer deswegen mit endlosen Fragen quälen muss. Gönnen Sie sich also nach ausführlicher Recherche: Entenärsche am Spieß, gebratene Entenherzen oder -lungen, gekochte Fischköpfe, Hirschpenisse, Schildkrötenblut, Schildkrötenhoden etc . . . Die unverfänglichste Köstlichkeit ist die durchaus auch ungewöhnliche vor Ihren Augen zubereitete Austerneierspeis'. Section 4, Bade Road, Songshan District, Taipei City, Taiwan 105


11. Snake Alley. Zwar braucht man etwa eine halbe Stunde, um es überhaupt zu wagen, den Löffel in eine Schlangensuppe zu stecken – vor dem Lokal hat man das Terrarium mit den lebendigen Tieren gesehen. Sobald man aber davon kostet, ist man sofort überzeugt und könnte es eigentlich täglich essen. Schlangensuppe schmeckt wie Fisch – wenn man es nicht besser wüsste. Dazu trinkt man Wein aus wochenlang in Alkohol angesetzten männlichen Schlangengenitalien. Huaxi Street, Wanhua District.


12. Elite Bookstore. Schaut aus wie eine Bibliothek und hat 24 Stunden am Tag offen. Warum gibt's so etwas nicht bei uns? Großartigst. Sensationell. Allernotwendigst. Neid! Auch haben wollen! Wien muss Taipeh werden! 2 F, No. 245, Dunhua South Road, eslitebooks.com

Compliance-Hinweis: Die Reisen wurden von jnto.de und Taipei Tourism Office unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2015)

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