Eier aus Deutschland für Urlauber im Indischen Ozean

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Was kostet das Paradies? Vor allem Logistik. Fast alles, vom Baumaterial bis zu den Lebensmitteln, muss in die Ferienressorts der Malediven geschafft werden, sogar das Personal.

Wer ein Touristenparadies ansteuert, dem wird auch geboten, was er sich erträumt hat. Warm plätscherndes, türkises Meer mit tintenblauer Tiefe, blendend weiße, krümelfreie Sandstrände, rauschende Palmen, bunte Wasserflora und Fauna, exotisch duftende Nächte, zum Greifen nahe Sterne, sanft fächelnder Wind. Nicht zu vergessen hübsche Villen, womöglich auf Stelzen im Wasser, Badewanne und Dusche im Freien zwischen Orchideen und Hibiskus. Dazu gehören stets lächelnde, dienstbare Geister, die unter den Palmen kehren, rechen und klauben, Liegen zurechtrücken, Handtücher falten und dem Gast das Gefühl vermitteln, auf Händen getragen zu werden. Sogar Kokosnüsse holen sie von den Bäumen, damit nur ja niemand verletzt wird.

Urlaub im ozeanischen Paradies bedeutet noch mehr: Delikatessen aus aller Herren Länder, in manchen Inselresorts bis zu 400 Weinsorten zur Auswahl, auch österreichische, speziell und extra temperierte Kühlschränke für Rot- und Weißwein im Privatgemach, Jachttrips zu kurzzeitig nicht überfluteten Sandbänken mit allem Pipapo, wie Sitzsäcken, Tischchen, japanischem Menü und Sonnen- bzw. Windsegeln. Oder Nächtigungen für zwei auf noch einsameren Inseln, mit abendlichem Kerzenscheindinner – das Personal verschwindet über Nacht – und morgendlichem Frühstücksbuffet. Ängstliche Japaner, die oft nicht schwimmen können, werden fürsorglich ins tiefe Wasser gehalten, damit sie ihre Taucherbrille ungefährdet benützen können. Privatpools ersparen die drei Schritte zum wohltemperierten Meer, und Golfcarts summen auf den größeren Inseln wie Kuramathi von einem Ende zum anderen, von einem Themenrestaurant zum nächsten.

Nur Thunfisch ist einheimisch

Wer fragt sich da schon, eingelullt in paradiesische Perfektion, wie das alles funktionieren kann? Schließlich muss jeder Stein, jedes Fetzchen Stoff, jeder Duschkopf und Spiegel, jede Fliese und Lampe von weit, sehr weit her transportiert und von Fachleuten (auch oft von sehr weit her) auf- oder eingebaut werden. Auch die Lebensmittel erfordern eine komplizierte Logistik. Allein auf Kuramathi wird täglich eine Tonne Fisch verbraucht, die wie alle anderen Lebensmittel außer einheimischem Thunfisch eingeflogen oder verschifft werden muss: wöchentlich etwa 700 Kilo Hühner und 15.000 Eier, die aus Deutschland kommen. Fruchtsäfte liefert die Türkei, Gemüse kommt aus allen Erdteilen. Auch die Versorgung mit Trinkwasser ist ein Problem, man betreibt zwar Entsalzungsanlagen, aber diese brauchen wiederum Diesel, der auch für die Stromerzeugung benötigt wird und hergeschifft werden muss.

Batterien bitte wieder mitnehmen

Die Malediven importieren Millionen Plastikflaschen aus aller Welt, sogar isländisches Mineralwasser, die man wieder loswerden muss. Dabei ist das Bewusstsein der Bevölkerung, was Müllentsorgung betrifft, noch ziemlich unterentwickelt. Was deutlich sichtbar wird: Wenn man sich mit dem Boot der Hauptstadt Malé nähert, tanzen nicht verrottbare Flaschen auf den Wellen – trotz der Bemühungen der Resortleiter der Inseln, die Infoabende veranstalten und Müllsammelevents. Zwar werden die Gäste gebeten, ihren Müll, etwa Batterien, wieder mitzunehmen – das aber höchst dezent, man will ja das Idyll nicht stören. So wird auch die Müllinsel mit ihrer ständig aufsteigenden Rauchwolke nahe Malé euphemistisch als „Industrieinsel“ bezeichnet.

Logistik ist nicht das einzige Problem, auch der Umweltschutz macht Sorgen, allerdings vorwiegend den Insel- und Hotelmanagern und den 40 auf den Malediven stationierten Meeresbiologen. Die Regierung scheint sich herzlich wenig darum zu kümmern. Ein gutes schlechtes Beispiel ist ein neuer, riesiger Hotelbau nahe Malé, viel höher als die sonst auf Inseln erlaubte Palmenhöhe, noch unbewohnt und möglicherweise nie fertiggestellt – Hauptsache, der Investor war zufriedengestellt.

In fünf Minuten zu Fuß um die Insel

Ein weiteres Problem ist die Erosion. Sandbänke – und das sind die meisten Inseln – wandern, sie werden auf einer Seite abgetragen und auf der anderen wieder aufgeschwemmt. Das ist natürlich keine gute Nachricht für Hotelanlagen, die ihre Strandhäuser nicht mitverschieben können. Und so versucht man durch Sandbefestigungen, teilweise mit Sandsäcken, Betonmolen oder heraufgepumptem Sand die Strömungen wirkungslos zu machen.

Und hält man diese Enge aus, diesen völligen Verzicht auf Privatleben? Auf den 12.000 Quadratmetern in Kuramathi leben 840 Mitarbeiter und 600 Touristen, auf einer der kleineren, Maafushivatu, die man zu Fuß in fünf Minuten umrundet, 165 Mitarbeiter und 100 Gäste. Wobei man sich fragt, wo sie alle sind. Die Angestellten verschwinden in ihrer Freizeit hinter Bambuszäunen in der Mitte der Insel, wie in einer „verbotenen Stadt“, gedrängt in Zwei- und Mehrbettzimmern. Die Gäste hingegen verlieren sich in den Vorgärten, beim Schnorcheln oder Tauchen, Segeln, Windsurfing, Kajak fahren oder Stand-up-Paddeln.

Die dazu befragten ausländischen Mitarbeiter und Manager lachen fröhlich. Sie fliegen oft nach Singapur oder Australien, manchmal kommt Besuch aus der Heimat. Und ewig bleiben die meisten ohnehin nicht. Dem Personal stehen Fußballplätze, Klubhäuser und andere Freizeiteinrichtungen zur Verfügung, aber nur auf den größeren Inseln, auf den kleineren ist dafür kein Platz. Mindestens 45 Prozent des Personals müssen übrigens von den Malediven stammen, was mit dem Ausbau von immer mehr Inseln schwierig wird, es gibt einfach nicht genug Einwohner.

Außerdem, so wird man informiert, seien Malediver das gewöhnt und besuchen regelmäßig ihre Familien auf den anderen Inseln, wo meist eine Frau mit Kindern auf sie wartet. Wer wissen will, wie man ein Paradies verschandeln kann, der schaut sich in Malé um, der größten Insel und gleichzeitig Hauptstadt. Nicht größer als der erste Bezirk Wiens ist sie vollgestopft mit neuen und ein paar älteren Bauten. Und mit schweren Motorrädern und Luxusautos. Wo diese ihre PS nutzen wollen in den wenigen verstopften Straßen? Wohnen ist teuer, 600 Dollar für eine Einzimmerwohnung, mehr als das Durchschnittseinkommen – kein Wunder, fast die Hälfte der Malediver, 150.000 Menschen, leben hier, und täglich werden es mehr. Man weicht auf die Nebeninseln Holu Malé und Vili Malé aus, doch das Gedränge bleibt enorm. 10.000 Soldaten und viel Polizei sorgen für Recht und Ordnung, was hier immer noch Prügelstrafe oder gar Steinigung bedeuten kann. Der Staat ist streng muslimisch, aber für die Touristen und Geld werden Ausnahmen gemacht. Dass nicht alles paradiesisch ist im Paradies Malediven, lassen auch die jüngsten Unruhen erahnen: Bombenanschläge, islamische Radikalisierung auf einigen der Einheimischeninseln und der jüngst erklärte Ausnahmezustand sind nicht gerade hilfreich für einen Staat, der 50 Prozent seines Einkommens durch Tourismus lukriert. Paradise lost?

EINBLICKE IN DEN ALLTAG

Kuramathi: Die rund zwei Kilometer lange, grüne Insel im Rasdhoo-Atoll ist eine der größten der Malediven. Neben luxuriösen Appartments und Zimmern, zahlreichen Restaurants, Geschäften und Wassersportanbietern vermittelt ein Institut für Meeresbiologie Wissenswertes über Umwelt und Naturschutz. Spazierwege führen durch den kleinen Inseldschungel und auf eine Sandbank im Westen der Insel. Spa- und Kinderangebote stehen den Gästen offen. kuramathi.com,

Ausflugstipp: Das unweit von Kuramathi gelegene Eiland Thoddoo erstreckt sich 2,5 Kilometer lang und 1,5 Kilometer breit ovalförmig im Indischen Ozean. Die Insel wird von etwa 1200 Menschen bewohnt, die überwiegend vom Obstanbau leben. Hier bekommt man einen Einblick in den normalen Alltag des Inselvolks. Ein geführter Ausflug von Kuramathi aus beinhaltet u. a. den Besuch einer Moschee, eine Verkostung auf einer Obstplantage und eine Inselrundfahrt.

Anreise: Die Flüge Wien–Malé–Wien bietet Austrian Airlines derzeit ab 899 Euro an. Flug und Unterkunft einzeln zu buchen ist teuer. Meist ist es preiswerter, Pauschalangebote, die einen All-inclusive-Aufenthalt und die Flüge beinhalten, über einen großen Reiseanbieter zu buchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2015)

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