Die aus dem Holz herausschneiden, was drin ist

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Südtirol. Früher hatten die Bauern des Grödnertals im Winter wenig zu tun und vertrieben sich die Zeit mit Holzschnitzereien. Bis heute lebt das Tal, in dem die Männer geschnitzt und die Frauen gearbeitet haben, zur einen Hälfte von der Holzindustrie, zur anderen vom Tourismus.

Las Mont te chërda! Der Berg ruft! Und diesen Satz jetzt auch noch auf Italienisch: Il monte chiama. Aber die meisten Menschen, die von außen ins 25 Kilometer lange Grödnertal (Val Gardena oder Gherdëina, 10.000 Einwohner) kommen, beherrschen maximal zwei der drei Sprachen. Der erste Satz ist Ladinisch, die rätoromanische Sprache, die in Gröden vorherrscht. Hier spricht jeder Bewohner drei von drei, und zwar von Kind auf. Ladinisch ist jene wunderschöne Sprache, die es schafft, für Deutschsprachige wie Italienisch und für Italiener wie Deutsch zu klingen. Ma iesa mat! Aber du spinnst ja!

Das Grödnertal mit seinen Ortschaften St. Ulrich (Urtijëi oder Ortisei) auf 1236 Metern, St. Christina (Santa Crestina Gherdëina oder Santa Cristina Valgardena auf 1428 m) und Wolkenstein in Gröden (Sëlva oder Selva di Val Gardena auf 1563 m im Talschluss) spinnt nicht im geringsten. Und es bietet mehr als eine wundersame Sprache, die sich gegen alle Verordnungen und Diskriminierungen durchgesetzt hat, nämlich ein Skigebiet, das seinesgleichen sucht: die Dolomiten, die seit dem Vorjahr zum Unesco-Welterbe zählen. Der 3181 Meter hohe Langkofel ist etwa ein ebenso großes Wahrzeichen wie der Grödner Alpenfilmer Luis Trenker. Vor solchen Bergen steht man mit Staunen.

Der Sellastock, die Langkofelgruppe und die Geislergruppe umrahmen das Tal, über dem 1978 der Puez-Geisler-Nationalpark errichtet wurde, heute auch ein Erbe, eines der Natur, raten Sie welches. Das Langental ist hingegen ideal für Schneeschuhwanderer, das Zentrum am Monte Pana bei St. Christina für Langläufer, die sechs Kilometer lange Rodelstrecke von der Raschötzer Alm für Freunde des Schlittens. Skifahrer umrunden am liebsten den Sellastock, auf der Sellaronda, der 26 Kilometer langen Skilift-Pisten-Route.

Schon vor über hundert Jahren veranstaltete man das erste Skirennen. Heute gibt es die Saslong, deren 3,4 Kilometer und 839 Höhenmeter jeden Dezember von den besten Skiläufern der Welt frequentiert werden. Die Saslong ist, Stichwort Kamelbuckel, eine sehr unruhige Strecke, zum Leidwesen der Einheimischen wurde sie aber aus Sicherheitsgründen entschärft, anders als die fast unveränderte Streif in Kitzbühel. Österreich mag aus Grödner Sicht eine Großmacht sein, doch man steht, obwohl Tiroler, der italienischen Mentalität nahe. Mit Österreich identifiziert man sich nicht, man misst sich.

Fassmaler und Vergolder

Vor dem Skitourismus hatten die Bauern aus Gherdëina im Winter wenig zu tun. Einige Familien vertrieben sich schon vor 400 Jahren die Zeit mit Holzschnitzerei. Um 1800 entwickelte sich daraus ein Wirtschaftszweig. Über die Grödner Straße (1856) und die Brennerbahn (1859 bis Verona, 1867 bis Innsbruck) wurden hölzerne Kircheneinrichtungen in beide Himmelsrichtungen exportiert. In den Siebziger- und Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts deckten die Grödner sogar den Bedarf der US-Haushalte. In der sogenannten Herrgottsschnitzerei gab es fünf Berufsgruppen: Schnitzer, Verzierungsbildhauer, Holzbildhauer, Fassmaler und Vergolder. Heute gibt es nur noch Bildhauer. Die Schnitzerei veränderte auch das soziale Gefüge – die Grödner Frauen waren lange Zeit die Familienernährer. Heute verdankt man dem Tourismus die eine Hälfte des Einkommens, die andere der Holzindustrie. Filip Moroder Doss, einer der Bildhauer des Tals, sagt auf die Frage, ob der Schnitzer, wie im Klischee, aus dem Holz das schneidet, was drin ist: „Das kann schon sein, aber natürlich nicht in jedem Fall.“ Er stellt sakrale, aber auch profane Motive aus der lokalen Mythologie her. Moroder Doss entstammt einer Schnitzerfamilie: „Es war schön, wenn der Vater dich ins Atelier schickte und sagte: ,Mach, wo du Freud' dran hast.‘“ Diese Freude sieht man auch in seinen Arbeiten.

Compliance-Hinweis: Die Reisen wurden von TUI, Condor und dem Val-Gardena-Gröden-Marketing unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2015)

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