Sag nie „Fasching“: Ein Dorf im Ausnahmezustand

Feature:  Nassereither Schellerlaufen
Feature: Nassereither Schellerlaufen(c) APA (Gro�ruck Bernahrd)
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Tirol. Die Nassereither Fasnacht zählt zu den großen sieben der Fasnacht-Veranstaltungen des Alpenraumes – Axams, Fiss, Imst, Nassereith, Telfs, Thaur und Tramin – und ist immaterielles Unesco-Kulturerbe.

Die Fasnacht wird von der Bevölkerung mit großer innerer Anteilnahme eher begangen als „nur“ gefeiert. Das Ereignis unterscheidet sich von der bekannten Imster Fasnacht durch deutlich andere Kostüme, Wagengruppen und Figuren – wie beispielsweise dem Ruaßler, der allein in Nassereith anzutreffen ist. Als einzigartig gelten auch die kunstvoll geschnitzten Holzmasken. Es ist überliefert, dass die Fasnacht sogar während der Verbotszeit durch die katholische Kirche ihr mystisches Treiben fortsetzte, das Brauchtum wurde in seiner langen Tradition nie unterbrochen, die erste urkundliche Erwähnung datiert vom 22. März 1740.

Die Veranstaltungen dieser schaurig schönen Wochen, die im Dorf als fünfte Jahreszeit bezeichnet werden, streben dem Schellerlaufen als Höhepunkt mit über 450 aktiven Burschen und Männern und an die 10.000 Besuchern entgegen. Es sind geradezu fiebrige Tage, die in Dreijahresabständen das Leben in der kleinen Gemeinde im Tiroler Oberland in den Ausnahmezustand erheben. Das Dorf würde auch fasnachten, wenn kein einziger Auswärtiger käme. Tatsächlich zeigt sich der rituelle Ablauf des Schellerlaufens vom Publikumszustrom unbeeindruckt. Gefolgt wird seit Jahrhunderten überlieferten strengen Regeln. Dabei steht der Sieg des Frühlings über den Winter im Zentrum. Die helle Jahreszeit wird durch den Bären verkörpert, der den Bärentreiber im Kampf zu besiegen hat.

Der Bärenkampf gilt als Herzstück des Schellerlaufes. Im Anschluss an den Sieg des Frühlings wird es beim Hexenschwur unheimlich. Unter lautem Geschrei schwören die Hexen der Hexenmutter die Treue. So wie bei allen anderen Figuren verbergen sich auch hinter den Hexenmasken ausschließlich männliche Darsteller.

Es treten auf

Der „Schöne Zug“ setzt sich aus den Figuren der Kehrer, Roller, Spritzer, Sackner, Kübelemaje, Schnöller, Ruaßler, Paarle und in erster Linie aus diesmal 17 Schellern zusammen. Die Hauptfigur ist die des ersten Schellers, der wie alle anderen Scheller seinen bis zu dreißig Kilogramm schweren Schellenbund über acht Stunden umgeschnallt trägt. Den „Schönen Zug“ begleitet unter anderem die Gruppe der Karner, ein landfahrendes Volk, das sich in einigen Orten des Tiroler Oberlandes niederließ und Eingang in das Brauchtum fand. Dem „Schönen Zug“ folgen spektakulär aufgemachte Themenwagen, die in vielen Arbeitsstunden unter Ausschluss der Öffentlichkeit aufwendig gestaltet werden. Sowohl die Themen als auch Kulissen der Festwagen bleiben bis zuletzt ein Geheimnis.

Wenn im November das aktuelle Fasnachtsplakat vorgestellt wird, ist die Arbeit an den Wagen in den „geheimen“ Werkstätten schon längst im Gange.

Es spitzt sich zu

So richtig los geht es dann am Abend des Dreikönigstages mit der Vollversammlung, nachdem diese von einigen durch das Dorf ziehenden Schellern und anderen Masken bereits am Spätnachmittag angekündigt wurde. Die Frage des Obmannes an die Versammlung, ob die Fasnacht denn überhaupt stattfinden solle, ist eher rhetorischer Natur und auf stürmische Zustimmung ausgerichtet. Nach strengem Wortlaut wird die Frage gestellt: „Gemma huire it Fasnacht?“ Beantwortet wird sie mit einem dröhnenden Ja.

In Nassereith ist es alter Brauch, dass die Hauptrollen des Schellerlaufes im Zuge der Vollversammlung verlost werden. Am Sonntag nach Dreikönig steht das Dorf im Banne der Fasnachtsuache. Diese nimmt am Fasnachtshaus ihren Anfang und bewegt sich in Richtung Majenbrunnen. Dort wird die „versteckte“ Fasnacht in Form eines Kindes, des kleinen Ruaßlers, aufgefunden. Dass der Kleine beaufsichtigt nur wenige Minuten in seiner Schneehöhle verbleibt, versteht sich von selbst. Die nunmehr gefundene Fasnacht wird mit einem weithin schallenden „Autupete hö“ vom Volk begrüßt. Um die Zeit bis zum großen „Schönen Zug“ nicht zu lang werden zu lassen, findet am Sonntag vor dem Schellerlaufen das Schellenprobieren statt. Scheller und andere Masken geben mit ihrem Umzug durch Nassereith einen Vorgeschmack auf das kommende Ereignis. Auswärtige Besucher sind die Ausnahme, das „Schalleprobiere“ ist ein sehr authentischer Festabend, vorwiegend der Ortsbewohner unter sich.

Es „explodiert“

Es ist ein Tag des wirklich ganz großen Kinos, ein Publikumsmagnet weit über die Landesgrenzen hinaus. Nachdem die Fasnacht den Ort wochenlang in ihren Bann geschlagen hat, explodiert die Spannung in der Farbenpracht der seidenen, kunstvoll bestickten und als Unikate gearbeiteten Gewänder der mystisch anmutenden Prozession des „Schönen Zuges“.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Kübelemaje eine Ordnungsmaske darstellen. Das Bespritzen mit eiskaltem Wasser im Tiroler Winter sollte zwar auch segnen, vor allem aber das im Fasnachtstreiben außer Rand und Band geratene Publikum in seine Schranken weisen. In der Nacht vor dem „Schönen Zug“ findet das „Nachtumschlagen“ statt.

Nach einem althergebrachten Rhythmus kommen alle möglichen Lärminstrumente zum Einsatz. Bei diesem keinem strengen Reglement unterworfenen Treiben nehmen Frauen teil, die sonst von der aktiven Fasnacht ausgeschlossen bleiben. Das nächtliche Umschlagen soll die dunklen Geister des Winters in Schach halten. Beginn sind der Aufzug der Masken, vormittags nach dem morgendlichen Umschlagen, das zum Unterschied zum Nachtumschlagen bereits einem strengen Ritual folgt, und die Rede von Prinz Karneval, der sich darüber freut, wieder in Nassereith sein zu dürfen. Diese in den 1950er-Jahren eingeführte Figur bereist die Welt und erzählt allerlei Spaßiges.

Das von alters her streng ritualisierte Programm dauert den ganzen Tag an und läuft in Kreisen ab. Die Scheller mit ihren Gruppen eröffnen zu Mittag den ersten Kroas – und das Spektakel ist eingeläutet. So spannend es auch ist, man darf sich darauf verlassen, dass der Bär auch in diesem Jahr den Bärentreiber im Kampf besiegt und somit auch der Frühling den Winter.

Es endet

Dann folgen die Hexen, wobei die Dreizehnte der Hexenmutter den Schwur verweigert und zur Strafe in einen Käfig gesperrt wird. Beim sechsten Schlag vom Glockenturm (18 Uhr) legen die Figuren ihre Masken ab und wer nach einem solchen Tag noch über genügend Kraftreserven verfügt, begibt sich zum Fasnachtsball.

Am Abend des Faschingsdienstags wird die Fasnacht begraben. Eine Trauergesellschaft von mehreren Hundert Masken beklagt das Ende der Fasnacht. Das Geschehen geht weit über eine Show hinaus – die Tränen anlässlich des Fasnachteingrabens sind echt. „Die Fasnacht, in Form eines (jetzt) erwachsenen Ruaßlers wird zu Grabe getragen, um dann in drei Jahren wieder verjüngt gefunden zu werden“, heißt es im Komitee.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2016)

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