Davos: Da, wo’s weiß ist

Rot. Wer Klosters gesehen hat, fährt mit der Rhätischen Bahn zurück nach Davos.
Rot. Wer Klosters gesehen hat, fährt mit der Rhätischen Bahn zurück nach Davos.(c) Swiss Image
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Ein Tuberkulosebekämpfer gründete Davos, die Eisenbahn machte die Stadt reich und berühmt, und ein Schriftsteller erfand hier einen Zauberberg.

Fahrt mit der Rhätischen Bahn nach Davos. Wenn man vergessen hat, in den Zugfahrschein das Datum einzutragen und sich besorgt erkundigt, ob das etwas ausmacht, gibt die Schaffnerin zurück: „Jetzt ist’s zu spät – Stempelgebühr!“ Ernstes Gesicht. Schrecksekunde. Schweizer Humor.

Wir befinden uns im Kanton Graubünden, ganz im Osten der Schweiz, und wir schrauben uns durch die Alpentäler bergauf. Die Graubündner Bergwelt ist mächtig, riesig, ruhig. Da, wo’s im Winter weiß ist, knapp hinter Klosters, beginnen die Stationen Davos zu heißen: Davos Laret, Davos Wolfgang, Davos Dorf und endlich Davos Platz. Letzterer Name markiert das Zentrum der auf 1560 Metern höchstgelegenen Stadt Europas mit ihren 13.000 Einwohnern.

„Der Winter ist hier völlig russisch“, konstatierte schon Pjotr Iljitsch Tschaikowski in einem Brief. Davos ist jedoch nicht nur für seine Schneesicherheit berühmt, sondern auch für das Weltwirtschaftsforum, jenes Treffen von Wirtschaft und Politik, das jährlich Ende Jänner das Städtchen zum Vibrieren bringt. Samt kuriosen Auswüchsen: Die Hotelpreise steigen ins Unermessliche, einige Geschäfte im Zentrum räumen sogar ihre Verkaufsfläche, um sie an die teilnehmenden Unternehmen, allesamt Monster mit Jahresumsätzen von rund fünf Milliarden US-Dollar, zu vermieten. Politiker und Wirtschaftsführer verwandeln sich hier in Intellektuelle, um „den Zustand der Welt zu verbessern“, wie es heißt – das Gegenteil darf ebenfalls in Betracht gezogen werden. Sein Kleingeld lukriert Davos jedoch nicht nur mit dem Forum, sondern unter anderem durch eine Wintersportarena mit sieben Skigebieten und rund 300 Kilometern Pisten. Sie tragen die romantischen Namen Parsenn, Gotschna, Jakobshorn, Pischa, Madrisa, Rinerhorn und Schatzalp/Strela.

Das zentrumsnächste ist das Jakobshorn, genau hier eröffnete zu Weihnachten 1934 der erste Schlepplift der Welt, der Bolgenlift. Ein L-förmiger Balken wurde einem dort unter den Hintern gepackt. Heute regiert die Gemütlichkeit. Durch die Seitentäler fahren Pferdeschlitten, führen Winterwanderwege und Schneeschuhtrails. Und nicht zu vergessen: Von Davos aus sieht man, wenn auch ein Tal dazwischen liegt, das Schlappiner Joch, den Grenzpass zu Österreich, über den ein Saumpfad nach Gargellen in Vorarlberg führt.

Winteridyllisch. Das Dorf Monstein wurde von Walsern gegründet.
Winteridyllisch. Das Dorf Monstein wurde von Walsern gegründet.(c) Destination Davos Klosters

Revolutionäre Kur. Deutschsprachige Walser haben sich in Davos im 13. Jahrhundert angesiedelt. Sie nahmen führend am Zehngerichtebund teil, in dem sich Bauerngemeinden ohne adelige Herrschaft organisierten. 1649 von der Habsburger Krone freigekauft, verstand sich Davos schließlich als „gantz freyes Land“. Während der Religionswirren schlug sich das Örtchen auf die Seite der Reformation. Neben der kargen Landwirtschaft wurden auf dem Silberberg Blei und Zink gewonnen, ehe Mitte des 19. Jahrhunderts die letzte – französische – Mine schloss.

Doch ohne den badischen Revolutionär Alexander Spengler (1827–1901) wäre Davos bis heute ein hinterwäldlerischer Ort geblieben. Er war als führender Märzaufrührer in seiner Heimat zum Tod verurteilt worden und mit knapper Not nach Zürich geflohen, wo er Medizin studierte. Graubündner Freunde verschafften ihm 1853 die Stellung als „Landschaftsarzt“ von Davos. Er experimentierte mit einer Roter-Veltliner-Kur gegen Tuberkulose, konstatierte bald die niedrige Erkrankungsrate der Einheimischen, entwickelte die damals noch umstrittene Theorie der Heilwirkung des Höhenklimas und eröffnete das erste Kurhaus. Seine Abhandlung „Landschaft Davos als Kurort gegen Lungenschwindsucht“ (1869) wurde in Fachkreisen mit Skepsis aufgenommen.

Sein großes Glück: Der holländische Geschäftsmann Willem Jan Holsboer kam wegen seiner kranken Frau. Sie starb, er heiratete eine Einheimische, und schon 1868 eröffnete die Kuranstalt Spengler-Holsboer. Der tatkräftige Holsboer erkannte, dass ein Eisenbahnanschluss unabdingbar für das Prosperieren war. Jahrhundertelang abgelegen und isoliert, bekam Davos am 29. September 1889 durch die Eröffnung der Rhätischen Bahn Kontakt zur Welt. Der Boom folgte auf dem Fuß. Bis 1910 eröffneten 26 Sanatorien und zahlreiche Kurhäuser, 46 Hotels und viele private Pensionen – auch wenn die Bergfahrt von Landquart vier Stunden dauerte.

Flachdach und Zauberberg. Doktor Spengler hielt bis ins Alter die Tuberkulose für eine Ernährungsstörung, beeinflussbar durch Höhenluft. Dann kam der Hygienegedanke auf. In Davos hielt der Boom indes an. Im alpinen Streudorf entwickelte sich durch die lichtdurchfluteten Zimmer und windgeschützten Balkone eine eigenständige Architektursprache. Die Liegeterrassen für die Patienten wurden nach Süden ausgerichtet. Die neuen Bauten selbst hatten meist eine kubische Form, Vorläufer der klassischen Moderne, des Bauhaus. Der Dachlawinenschlag wurde durch unterlüftete Flachdächer verhindert, Regen- und Schmelzwasser über einen zentralen Kanal in der Hausmitte abgeleitet. Die Davoser Flachdächer sind also keine alpinen Bausünden, wie so mancher Besucher glaubt, sondern notwendig und inzwischen von der Bauordnung vorgeschrieben.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts registrierte man bereits 700.000 Gästelogiernächte pro Jahr. Schon zuvor waren Prominente gekommen: Von 1880 bis 1882 vollendete Robert Louis Stevenson seine „Schatzinsel“ in Davos. Sir Arthur Conan Doyle hingegen, nicht nur Schriftsteller, sondern auch Sportpionier, überquerte 1893 mit zwei Einheimischen in einem spektakulären Unternehmen in „Pantoffeln auf Ulmenholz“, sprich mit Skiern, die Maienfelder Furgga, den Pass zwischen Davos und Arosa. Viel dekadenter trieb es die russische Zarenfamilie, die in ihrem Hotel im tiefsten Winter Schmetterlingspartys mit eigens aus Afrika importierten Tieren feierte.

Typisch. In Davos- Stadt schreibt die Bauordnung Flachdächer vor.
Typisch. In Davos- Stadt schreibt die Bauordnung Flachdächer vor.(c) Destination Davos Klosters

Der berühmtesten literarischen Episode von Davos kann man nachgehen, wenn man ziemlich in der Mitte von Davos Platz von der oberen Hauptstraße, die Promenade heißt, zur Standseilbahn abbiegt. Ihr blau-gelber Waggon fährt zur 1863 Meter hoch gelegenen Schatzalp und zwar fast bis zur Rezeption des gleichnamigen Berghotels, einem zur Jahrhundertwende erbauten Jugendstilgebäude, einst das Internationale Sanatorium Philippi. Ein Heilaufenthalt von Katia Mann in der Tuberkuloseklinik im Jahr 1912 regte ihren Gatten Thomas zu „Der Zauberberg“ (1924) an.

„Man glaubte daran, dass die Tuberkulose in dieser Höhe nicht ansteckend sei“, beschreibt der freundliche Direktor Mark Lindner die Grundsituation für die damaligen Besucher, „jeder konnte rauf – und niemand durfte runter“. Mit Akribie und Fantasie versucht sein Haus, die Vielfalt und Eleganz der Zimmer zu erhalten. „In den Dreißigern wurde das Penicillin erfunden, 1954 das Gebäude von einem Sanatorium in ein Hotel verwandelt“, fasst Linder die Epoche zusammen, in der die Tuberkulose allmählich verschwand, die Davoser Heilstätten auf Ferienunterkünfte umsattelten und nur einige medizinische Forschungszentren blieben. Die Schneeoase Schatzalp/Strela pflegt heute den traditionellen Wintersport im Namen der Entschleunigung. Das kleine Skigebiet, nur elf Kilometer Piste, nur Naturschnee, ist sozusagen Davos bio. Man lässt sich den Schleppbügel per Hand reichen, die Hänge sind flach, das Umweltbewusstsein regiert. „Mit 42 Quellen“, erzählt Linder von seinem Haus, „sind wir auch wasserautark.“ Gleich nebenan blüht der botanische Garten Alpinum, errichtet in den frühen Sanatoriumszeiten. Denn Alexander Spengler hat seine Erfindung durchgesetzt: Davos ist bis heute ein Luftkurort.

Hollywood on the Rocks. „Einen hübschen Tag“ wünschen sie einem in Klosters, und das ist auch bei Schneefall hübsch. Klosters wäre von der Anlage her das Bergdorf, doch es liegt dreihundert Meter unterhalb der Stadt Davos, am Ende des Prättigaus. Klosters wirkt verschlafener, exklusiver und ist mit 3800 Einwohnern deutlich kleiner als Davos. Prinz Charles urlaubt hier, „privat ist er ganz normal“, hört man, so wie das über viele Weltstars gesagt wird. Wenn er, den sie hier leger beim Prinzennamen nennen, über die Madrisa wedelt, das Klosterser Skigebiet, erregt er kaum Aufsehen. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich Klosters zum „Hollywood on the Rocks“ oder Wohnzimmer Hollywoods – bei der amerikanischen High Society mit Greta Garbo, Paul Newman oder Lauren Bacall kamen Winterurlaube in Mode. So dominieren hier weiterhin die teuren Chalets, Langlaufloipen und Spazierwege.

Wer Klosters gesehen hat, fährt mit den roten Waggons der Rhätischen Bahn zurück hinauf in die Stadt: Das Flagship-Skigebiet heißt Parsenn, reicht bis 2844 Meter hinauf, und jeder, der hier Ski fährt, muss einmal die berühmte, zwölf Kilometer lange Parsennabfahrt bewältigen. Ihre Entdeckung war purer Zufall. 1895 fanden auf dem Weissfluhjoch vier verirrte englische Touristen unfreiwillig den Durchgang nach Küblis. Heute ist das alles gut ausgeschildert, aber wer nicht aufpasst, kann sich gleich im ersten Drittel verirren, auf der Parsennhütte auf 2200 Metern landen und dort einmal ausruhen. Wenn man an der Kasse des Selbstbedienungsbereichs fragt, wo denn nun die Toilette sei, sagt die Kassierin: „So etwas haben wir nicht!“ Ernstes Gesicht. Schrecksekunde. Schweizer Humor.

Tipps

Würzig. Gibt´s in Graubünden überall: Bündnerfleisch.
Fesch. Mit der Region verbunden ist auch Willy Bogner, Skijacke von Bogner (Lugeck 1, 1010 Wien).

Infos liefert Schweiz Tourismus, 0800 100 200 30 (kostenlos, lokale Gebühren können anfallen),  myswitzerland.com
Davos und Klosters im Detail: davos.ch

Franco Item. Davos zwischen Bergzauber und Zauberberg, Kurort, Sportort, Kongress und Forschungsplatz 1865–2015, NZZ-Verlag 2015, schön gestaltetes Überblickswerk.

Anreise: Wien–Zürich wird viermal täglich von Swiss und viermal täglich von Austrian geflogen, swiss.com und austrian.com. Swiss fliegt außerdem einmal täglich von Graz nach Zürich.

Unterkunft. Hotel Grischa. Modern und boutiquehaft, direkt gegenüber dem Bahnhof. Grischa heißt Graubünden auf Rätoromanisch, das in Davos in der Enklave Obersaxen gesprochen wird; Talstraße 3, hotelgrischa.ch.

Die Rhätische Bahn betreibt ganze sieben Davos-Stationen: Davos Laret, Davos Wolfgang, Davos Dorf, Davos Platz, Davos Frauenkirch, Davos Glaris, Davos Monstein. Dazu kommt Klosters. rhb.ch, Tickets u .a. über das Swiss Travel System, swiss-pass.ch.

Davos und der Puck. Jedes Jahr findet zwischen Weihnachten und Silvester der Spengler Cup statt, den man hier Köpp ausspricht. Wir sprechen von Eishockey, der Jagd nach dem Puck (hier: Pöck). Der Sohn von Alexander Spengler rief ihn 1922 ins Leben.

Davos und der Expressionismus. Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), einer der Hauptvertreter des Expressionismus, lebte ab 1917 in Davos. Das Kirchner-Museum beherbergt die größte Sammlung seiner Werke außerhalb Deutschlands. Promenade 82, Di–So 11–18 Uhr, kirchnermuseum.ch.

Wintersportmuseum: Wintersportgeräte und Dokumentationen, Archiv des HC Davos (Eishockey), aber auch Skisport, Bobsport, Schlittensport; Promenade 43, Davos Platz, Di/Do 16.30 bis 18.30, wintersportmuseum.ch

Compliance-Hinweis: Die Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus und Swiss.

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