Kroatien: Im Reich Meister Adebars und der Turopolje-Schweine

(c) APA (ROBERT JAEGER)
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Čigoć in den Save-Auen ist eine Arche alter Haustierrassen. Die Zukunft des Ortes liegt in der Vergangenheit.

Das frühmorgendliche Stillleben von Čigoć ist stets das gleiche: Der alte Bauer mit der blauen Baseballkappe und seine Frau treiben ihre zwei Kühe über die Dorfstraße in die Allmende. Die Frau trägt Kopftuch und geht am Stock. Der Bauer sitzt o-beinig auf seinem vorsintflutlichen Rad und schwingt die Gerte. Die Morgenluft ist klar und kühl, die schwüle Hitze des Sommermittags noch fern.

Ohne das Geklapper der Störche, die in den Horsten den Kopf in den Nacken werfen, und ihr katzenartiges Gefauche wäre es friedhofsstill im Ort. Am Himmel kreisen 17 Störche. Durch die Auen hüpfen die Frösche. Willkommen in Kroatiens Save-Auen!

Die Hauptstadt der europäischen Störche ist ein 120-Seelen-Dorf in Westslawoniens Posavina, dem Flachland beidseits der Save, eine Bahnstunde südöstlich von Zagreb. 1994 bekam das Dorf von der Umweltstiftung Euronatur den Titel Europäisches Storchendorf. Jedes Jahr im April kommen die Störche aus Afrika zurück. Auf fast jedem Dach der Holzhäuser und Scheunen thront ein Nest. 45 Nester, auf die sich an die 200 Störche verteilen, mehr als das Dorf Einwohner hat. Vorigen Sommer waren 34 Nester besetzt, in den meisten hockten zwei Junge. Die Ansammlung der Störche hat zwei Gründe: das große Nahrungsangebot in den Auen und die Weite der Allmendeweiden – überreich ist der Tisch mit Fischen, Fröschen, Insekten und Mäusen gedeckt.

In Haus 26 – Straßennamen hat das Reihendorf nicht – ist die Besucher-Info untergebracht. Hier versorgt Davor Anzil Touristen mit Wanderkarten, Adressen und Infos. Den Winter verbringen die Störche von Čigoć in Afrika, berichtet er. Der 46-Jährige zählt die Etappen auf: „Save, Donau, Istanbul, Jordanien, Ägypten, den Nil aufwärts.“ Um den globalen Bestand der Schreitvögel ist es nicht schlecht bestellt. In Westeuropa steigt ihre Zahl seit Jahren wieder, in Mittel- und Osteuropa ist der Storch aus dem Bild der Dörfer nie verschwunden. Der letzte Zensus wies 230.000 aus, Tendenz steigend, schießwütigen Vogeljägern im östlichen Mittelmeerraum zum Trotz.

Štrokovo, der Storchentag

Die Störche takten das Jahr in Čigoć und den Nachbardörfern wie die katholischen Feiertage. Am 19. März, dem Tag des heiligen Josef, wird die Ankunft Adebars gefeiert, Ende Juni das Fest Štrokovo, der Storchentag. Mitte August heben die Zugvögel für die große Reise ab.

Seit 1998 ist Lonjsko Polje, die Gegend um die Save-Auen-Dörfer, Naturpark, 70 Kilometer lang, zwei bis 15 Kilometer breit. 243 Vogelarten wurden gezählt, 135 davon brüten hier, darunter Rallenreiher, Nachtreiher, Purpurreiher, Löffler, Rohrweihe und Schreiadler. Im Park gedeihen nebst 550 Pflanzenarten auch 41 Fisch-, 16 Amphibien-, zehn Reptilien- und 58 Säugetierspezies, darunter Fischotter, Biber und Goldschakal.

Die Save hat in Lonjsko Polje viel Raum: 506 Quadratkilometer Fläche, die Summe aus Malta und Liechtenstein, eines der größten Feuchtbiotope Europas, drei Viertel davon Auwald, der Rest Weideland. Jedes Jahr im Frühjahr und Herbst tritt die Save über die Ufer, bis zu zehn Meter steigt ihr Pegel. Das Schwemmgebiet schützt als Wasserrückhaltebecken die Städte und Dörfer flußabwärts vor Hochwasser.

„Wildnis, das ist heute eine Phrase“, sagt Željko Vasilik, ein Hobbyornithologe, der im nahegelegenen Dorf Budaševo aufgewachsen ist und in den Save-Dörfern Oberleitungen isoliert, damit die Störche in den auf Strommasten gebauten Horsten keine Kurzschlüsse auslösen. Seit 200 Jahren greife der Mensch hier in die Natur ein, baue Deiche, schaffe Grasland, sagt Vasilik. Noch als Kind, als Budaševo ohne Deich war, habe er erlebt, wie das Wasser direkt hinter dem Haus die Eichenwälder überschwemmt habe. Die Eingriffe in die Landschaft haben die Weidewirtschaft erst möglich gemacht. Die alten Haustierrassen werden in Lonjsko Polje noch heute gehalten.

An einem alten Ziehbrunnen tummeln sich auf der Allmende Kühe, ein Viehhirte pumpt Wasser. Abseits des Deiches, hinter der Wegschranke, wird das Wandern zur Sumpfexpedition. In den Tümpeln und Teichen hopst der Froschnachwuchs umher, propellern Libellen, vom Weg schleicht sich eine Ringelnatter davon. Im Schatten einer Parzelle Eichenwald rastet herrenlos eine Herde Schafe. Zu den alten Haustierrassen zählen das Turopolje-Schwein, das Posavina-Pferd und das slawonische Steppenrind. Im 19. Jahrhundert habe es allein eine halbe Million Turopolje-Schweine in der Region gegeben, dazu 40.000 Pferde. Heute seien es noch 40.000 Schweine und 5000 Pferde. Das genüge, um die Landschaft offen zu halten.

Vasilik startet seinen alten Fiat. Es geht ins Nachbardorf Mužilovčica. Im Grasland hinter dem Dorf haben Imker ihre Kästen abgestellt. Die Bienen zaubern hier kostbaren Waldhonig. Im Schatten des Eichenwaldes dösen schwarz gefleckte Turopolje-Schweine. Die robusten Tiere sind das ganze Jahr über draußen „Die Leute wissen oft nicht mehr, wie viele Schweine ihnen gehören“, sagt Vasilik. Aber jedes Schwein erkenne seinen Besitzer am Ruf, wenn der ein süßes Extra bringe. Mensch und Tier wissen in den Save-Auen noch recht gut, was sie aneinander haben.

UNBEKANNTES WESTSLAWONIEN

Beste Reisezeit: Mitte Mai bis Mitte August. Mückenschutz ratsam.

Anreise: über Zagreb nach Sisak, von dort nach Čigoć.

Naturpark Lonjsko Polje pp-lonjsko-polje.hr (englisch) Unterkunft in Familienpensionen:

Tradicije Čigoć, Čigoć 7a,

44213 Kratečko, +385/(0)44/71 51 24, Mobil: +385/(0)99/264 45 55

tradicije-cigoc.hr

Apartman Kuvarna, Čigoć 62, 44213 Kratečko, +385/(0)44/71 52 96, mobil: +385/(0)99/673 42 77

apartman-kuvarna.hr

Bauernhof der Familie Ravlić, Mužilovčica 72, 44213 Kratečko, +385/(0)44/71 01 51, +385/(0)98/ 972 71 04. obitelj-ravlic.hr

Preise für Ü/F in Familienpensionen: 20 bis 30 Euro p. P., Kinder oft frei. Zelten alternativ möglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2016)

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