Vietnam: Du wirst natürlich alles anders machen

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Gibt es das, verantwortungsvolles Reisen? Gedanken aus dem Norden von Vietnam, wo das Volk der Hmong lebt.

Du erreichst Sapa, eine Kleinstadt, an einem nebeligen Dienstagmorgen. Du hast die Gegend schon auf Postkarten gesehen: sattgrüne Reisterassen mit verstreuten Siedlungen, bewohnt von Indigenen. Ein Must-see, aufgelistet in den Reiseführern als ein Highlight Vietnams. Wo der landestypische Kegelhut ersetzt wird durch bunt bestickte Tücher und Kopfbedeckungen aus Hanf. Du bist hier, um den Norden Vietnams kennenzulernen, so authentisch wie möglich.

Du willst es anders machen. Anders als die, die mit dir hierhergereist sind. Rucksackreisende mit Nasenring und grünen Haaren, Pauschaltouristen in makelloser Trekkingausrüstung. Die, die in der Hauptstadt Hanoi, 350 Kilometer entfernt, eine Tour gebucht haben. Homestay wie im Hotel, Trekking in der großen Gruppe, die Kohle geht an die Reiseveranstalter. Das möchtest du nicht. Du willst verantwortlich reisen. Willst das Leben der Bergstämme beobachten, nicht behindern. Und wenn, dann sollen die Indigenen an dir verdienen, zu 100 Prozent.

Als du den Bus verlässt, erwartet sie dich schon: eine Hmong, Korb auf dem Rücken, Kamm in der Hochsteckfrisur, Stulpen aus schwarzem Samt. „Hast du eine Tour gebucht?“ Du verneinst, nicht ohne Stolz. „Willst du mit mir gehen?“ Sie lächelt dich an. Du lächelst zurück. Sie zeigt ein Buch, in dem zufriedene Kunden von dem Erlebnis schwärmen: wandern, bei ihr zu Hause übernachten und am nächsten Morgen gemeinsam frühstücken. Bevor ihr losgeht, verhandelt ihr den Preis, Scham auf beiden Seiten. Sie bindet dir ein Bändchen um das Handgelenk. Abgemacht.

Als Weitgereiste mit hohem Bildungsstand glaubst du, Bescheid zu wissen über die Welt und ihre Probleme, hast deshalb den Anspruch, auch im Reisen gewissenhaft zu handeln. Du stellst dir Fragen wie: „In Länder fahren, die die Todesstrafe noch nicht abgeschafft haben?“ oder „Mit Qatar Airways fliegen, obwohl die Menschen ausbeuten?“ Du willst die Umwelt und die Einheimischen durch deinen Tourismus nicht aus dem Gleichgewicht bringen, willst nicht „zerstören, was du suchst, indem du es findest“, wie Hans-Magnus Enzensberger 1979 den Touristen unterstellte. Doch geht das überhaupt?

Als die großen Fragen aufpoppen, hängst du schon drin. Mit deiner Hmong gehst du auf steinigen Wegen ihrem Dorf entgegen, vorbei an Wildschweinen und Wellblechhütten. Eine arme, ländliche Gegend – erst in den vergangenen 20 Jahren zu Geld gekommen durch Menschen wie dich. Als du einen Bach überquerst, hält deine Hmong dir die Hand. Ein fester, warmer Händedruck. Kein Tourist weit und breit. Du freust dich.

Zu Hause zieht sie ihre Tracht aus. Zur schwarzen Samthose trägt sie jetzt ein Ringelshirt. Über dem offenen Feuer kocht deine Hmong Wasser. Sie fragt, ob alles in Ordnung ist, und füllt Tee in ein Plastikbecherchen. Das Feuer spendet das einzige Licht im Inneren der Hütte. Du läufst über den Boden aus Lehm, wärmst dich auf niedrigen Holzbänkchen sitzend. Vor der Holzhütte hocken ihre Kinder mit glitzernden Ohrringen und dreckigen Füßen.

Du setzt dich neben sie, sie bieten dir Obst an, übergeben es mit geschwärzten Fingern. In dem Moment denkst du, die Frage mit der Verantwortung stellt sich umso nachdrücklicher, je mehr sich der Reisende vom Bereisten unterscheidet. Die Hmong sind erst seit ein paar Jahrzehnten mit Menschen wie dir konfrontiert, mit Leuten, die Geld mitbringen, einen anderen Lebensstandard – und vielleicht eine Lust auf mehr. Als du deine Kontaktlinsen einsetzt, scharen sich die Kinder um dich. Vielleicht ist es das erste Mal, dass sie so etwas sehen. Du kommst dir vor wie ein Zauberer mit einer seltsamen Show.

Schnaps aus der Plastikflasche

Im Schweinefett brät deine Hmong vegetarische Frühlingsrollen heraus: euer Abendessen. So gut hat es dir schon lang nicht mehr geschmeckt. Nachbarn sind eingeladen, Schnaps aus der Plastikflasche macht die Runde, „happy water“. Die Männer trinken viel, Alkohol ist ein Problem in diesen Gegenden. Sie scherzen in ihrer Sprache und werden immer lauter. Du verstehst nichts, aber du bist mittendrin. Die Welt deiner Hmong, das ist ihr Dorf und Sapa. Selbst in den umliegenden Orten war sie noch nie. Du erkennst, du bist hier nicht nur du selbst, du verkörperst auch eine Kultur, ein Land, das sie nie kennenlernen wird. Mit dir sitzt diese andere Welt in ihrem Zuhause, schläft in ihrem Bett, isst von ihren Schüsselchen. Du denkst, du musst aufpassen, was du ihr mitbringst.

Deine Hmong bereitet dir dein Bett, du hast es warm in ihrer einfachen Hütte aus Holz. Neben dir schlafen die Kleinen, die sich immerfort an der Kopfhaut kratzen, mit triefenden Nasen. Am nächsten Morgen fühlst auch du dich dreckig. Du freust dich auf den Komfort, die heiße Dusche im Hotel. Nach dem Frühstück legt sie dir goldenen Schmuck vor, den du doch kaufen könntest. Und wenn du doch lieber Silber willst, kriegst du die Armreifen ihrer Tochter. Sie bringt dich zum Mototaxi, zurück in die Stadt. Ihr verabschiedet euch, du zahlst. Es war schön, und doch fühlt sich etwas komisch an.

In Sapa kannst du keine zehn Schritte allein gehen, schon hängt eine Neue an deinem Bein. Sie möchte dir Schmuck verkaufen, dich in ihr Dorf bringen, deine Hmong sein. „Shopping?“ Du sagst nichts. „Maybe later? Promise?“ Sie grinst dir hinterher. Manchmal sind es fünf, die dich umringen. Kinder, die glauben, „Buy from me“ ist eine englische Grußformel. Sie fangen an, dich zu nerven. Du flüchtest in die französische Bäckerei, wo andere Touristen sitzen. Zum ersten Mal stören sie dich nicht.

Du merkst, was der Tourismus hier angerichtet hat. Weil es Leute wie dich gibt, warten die Indigenen, statt bei ihren Kindern zu sein oder ihre Felder zu bestellen, im Morgengrauen auf ankommende Busse, streunen spätabends mit bunten Täschchen um den Hals vor den Restaurants und Hotels herum. Im Tourismus liegt das schnelle Geld. Die Indigenen wollen es haben, da unterscheiden sie sich nicht von den anderen Menschen.

Du bist für sie die lukrativste Einnahmequelle der Region. An einem Tag hat deine Hmong mit dir so viel verdient, wie sich ein vietnamesischer Fischer in einer Woche erarbeitet. Wäre es doch besser, wenn Reiseveranstalter den Tourismus regelten und ihn auf zwei, drei Dörfer beschränkten und die anderen in Ruhe ließen? Du bist dir nicht mehr sicher, was verantwortungsvoll ist und was nicht. Homestays mit Etagenbett und heißer Dusche im Nebenhaus sind vielleicht nicht authentisch, aber dafür schützen sie die Privatsphäre der Indigenen.

Und vielleicht muss man auch gar nicht überall hinreisen, alles hautnah miterleben. Die Grenze zwischen aufrichtigem Interesse und Voyeurismus verschwimmt bei deinem Homestay mit mitgebrachten Flöhen. Du, jemand, der sich aus moralischen Gründen nicht mal Delfin-Shows ansehen will, würdest nun gern wissen, ob der Besuch bei den Indigenen vertretbar war. Wenn du das nächste Mal die Wahl hast, wie wirst du dich verhalten?

NÖRDLICHES VIETNAM

Anreise: Wien–Hanoi–Wien via Moskau mit Aeroflot für 712 €. Mit dem Zug nach Sapa (acht Stunden, ca. 35 €, mehrmals täglich). aeroflot.com

Übernachten: Sapa Eden Hotel, am Rand der Stadt gelegen, tolle Aussicht auf die Berge, DZ ab 30 €; sapaedenhotel.com

Sapa Paradise View Hotel: gut ausgestattetes Haus im Zentrum, DZ ab 40 €; sapaparadiseviewhotel.com

Topas Ecolodge: ca. 40 Autominuten von Sapa, umfangreiches Angebot an Wanderungen & Wellness, DZ ab 150 €; http://topasevcolodge.com

Infos: vietnamtourism.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2016)

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