Burma: Mit der Bahn ins pralle Leben rumpeln

Der Hauptbahnhof in Rangun
Der Hauptbahnhof in RangunAuchwaswisser/Wikipedia
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Unter den Briten wurde die Ringbahn rund um Rangun begonnen. Seit ihrer Eröffnung 1954 fuhr sie ununterbrochen. Wie vieles in Burma erlebt auch sie einen Zeitsprung ins Heute.

Im Hauptbahnhof Central Railway Station in Rangun gehen viele einfach so über die Gleise. Tippeln und balancieren, selbst mit Körben voller Waren auf dem Kopf oder an Bambusstangen über der Schulter pendelnd, klettern und stolpern sie von Bahnsteig zu Bahnsteig. Über Weichen, Ersatzschwellen, Grasbüschel und dösende Hunde.

Solch ein Fossil wie dieser Bahnhof, vorn Palast mit Pagodendächern, hinten Wellblech auf Eisenträgern, zählte in Burma lang zu den Orten, an denen man besser nicht die Kamera zückte. Bis zum politischen Wechsel 2011. Bahnhöfe sind Transport- und Kommunikationszentren, vor aller Augen passiert da viel. Das kann Militärmachthaber nervös machen. Wie im Jahr 2000. Damals nahm die Polizei die Führerin der Oppositionsbewegung, Aung San Suu Kyi, fest, als sie versuchte, den Zug nach Mandalay zu besteigen. Heute dürfen die Burmesen wählen, wir fotografieren, und die Menschen lächeln wieder. Wer ein Land kennen lernen möchte, muss auf die Bahnhöfe.

1877 hat das Eisenbahnzeitalter in Burma begonnen, während der Kolonialherrschaft der Briten. Mittlerweile ist Gras über manches Gleis in diesem größten Bahnhof des Landes gewachsen. Wir sind an Gleis sieben. Männer schlafen auf Bahnsteigbänken, daneben laden Frauen an ihren Imbissstand ein, der aus nichts als ein paar Schüsseln, etwas Geschirr und ein paar Plastikhockern besteht. Rund um Rangun möchten wir reisen, drei Stunden lang und 38 Stationen weit. Der Mann im Schalterhäuschen nickt freundlich und kassiert 200 Kyat pro Person – 14 Cent. Wir warten auf den Zug der Circle Line. Keinen Ausflug zu goldschimmernden Pagoden oder Kolonialbauten haben wir vor, sondern einen in den Alltag – mit den Burmesen.

Unter Ächzen und Knarren fährt der Zug ein. Die Waggons sind Kästen auf Rädern, „made in Korea“, sechzig Jahre alt – und dicht bevölkert. Die Fenster haben keine Scheiben, es gibt keine Übergänge zwischen den Wagen, es gibt überhaupt vieles nicht in den Waggons der Circle Line, etwa Toiletten. Es ist brütend heiß, auf Plastikbänken hocken die Fahrgäste in ihren landestypischen Wickelröcken, Longyis, viele machen es sich mit bloßen Füßen im Schneidersitz bequem.

Wie von Kinderhand gemalt

Alle Augen kleben an uns, den einzigen Fremden. Was nun? Lächeln. Rasch und offen lächeln auch sie. In lustigen Mustern haben sie die beige Paste des Thanakabaumes auf Stirn, Nase und Wangen aufgetragen. Das sei gut gegen unreine Haut und Sonnenschutz und ein Exportschlager, sagt unsere junge burmesische Begleiterin, als sich der Zug rumpelnd in Bewegung setzt. Er sieht aus wie von Kinderhand gemalt und bewegt sich wie von Kinderhand geschoben. Eine schaukelnde Kette von Wagen mit einem Holzaufbau in Waldgrün und Himmelblau hat ruckelnd Fahrt aufgenommen. Der Zugführer hält eine kleine rote und eine kleine grüne Fahne, die er bei Stopps lässig aus dem Fenster hängt. Dabei schenkt er uns ab und zu ein breites Grinsen und bleckt die vom Betelnusspriem rot-schwarz gefärbten Zähne. Unter ihm huscht ab und zu eine pummelige Maus hervor und sucht schnuppernd nach Leckereien. Sie lebt wohl ganz gut von dem, was die bettelarmen Passagiere noch fallen lassen.

40 Fußbälle im Netz

Auf dem Weg zum Markt steigen immer wieder Händler mit ihren Waren ein und aus. Bald sieht der Waggon aus wie ein unaufgeräumtes Lagerhaus. Eine zierliche Frau balanciert in einem Netz einen Berg von vielleicht dreißig, vierzig Fußbällen. Und selbst der rappeldürre Greis mit den Tragekörben voller Eier, die an einer Bambusstange über seiner Schulter wippen, findet Platz. Dazwischen balancieren Frauen Früchte in geflochtenen Schalen auf dem Kopf, saftig glänzen darin aufgeschnittene Wassermelonen, leuchtend rot mit tiefgrüner Schale. „S(i)eaad, s(i)eaad“, rufen sie singend, „einhundert Kyat“ heißt das, sieben Cent, und es klingt wie eine Melodie, derweil der Zug taumelnd zum Stehen kommt.

In Garküchen auf dem Bahnsteig glüht Holzkohle, die Luft ist kratzig vom Rauch, aus dem Grün längs der Gleise zwitschern Vögel, und im Waggon gackern Hühner aus einem Bündel, das eine Frau nun zum Markt trägt. Klackklack, klackklack rattert der Zug weiter, und hier, im weiten Delta des Irrawaddy, immer wieder über Gewässer und stinkende Kanäle, passiert verwitterte Wohnblocks, Holzhütten, später Bambushütten auf Stelzen. Bäume und dichtes Buschwerk neigen sich auch in der Stadt bis über die Gleise, bald zieht die Bahn in weitem Bogen nach Westen durch fruchtbares Land. Bauern stehen gebeugt im Feld. Es ist die Zeit der Reisernte. Ein idyllisches Bild – dabei ist es Knochenarbeit, von der sie kaum leben können. Saftig und satt zieht das Grün am Fenster vorbei, der Zug wendet sich nach Süden. Die gefühlte Geschwindigkeit beträgt zehn, zwanzig Stundenkilometer. Bei geschätzten dreißig rattert und klappert der Zug nicht nur, über Weichen und in Kurven gerät unser Waggon ins Schwanken – vierzig möchte man besser nicht erleben.

Die Reise mit der Circle Line ist ein Abbild Burmas. Mehr als fünfzig Jahre Militärherrschaft, Sozialismus, Mangelwirtschaft und Sanktionen haben das Land und seine Menschen aus der Zeit gestoßen. „Hier drehte sich alles darum, irgendwie zu überleben. Wie falle ich nicht auf, wie bekomme ich etwas zu essen, wo eine Bleibe“, erzählt ein junger Burmese.

Dynamik entfacht Fliehkräfte

Bei den meisten diktiert noch immer Entbehrung ihr Leben, und die neue wirtschaftliche Dynamik entfacht Fliehkräfte. Vieles gerät so schnell aus der Bahn, dass bei dieser Reise in ein neues Burma viele auf der Strecke bleiben werden. In Rangun machen sich junge Menschen selbstständig, zugleich explodieren die Immobilienpreise. Die überteuerten Hotels sind voller Touristen und Geschäftsleute aus Japan, China, Korea und Thailand, die in dem rohstoffreichen Land Chancen wittern, derweil die Armen Burmas weiter mit Pferdekarren über unbefestigte Straßen holpern.

Die Circle Line schaukelt wieder Richtung Zentrum, vorbei an einem Gebirge entsorgter Autos, vorbei an brennendem Müll und gelblich-grünen Mietskasernen, die wie angeschimmelt zwischen Bäumen und vernachlässigten Gärten stehen. Pflanzen und Büsche wachsen aus den Mauerritzen der Häuser, davor lehnen windschiefe Hütten aneinander, das Zuhause der Ärmsten der Armen.

Pink und violett prangen über ihnen Bougainvilleen wie ein gnädiges Geschenk der Natur. Buben hängen sich während der Fahrt an den Einstiegen der Waggons weit hinaus und haben großen Spaß dabei. Die Bahnsteige sind nun dicht bevölkert. Kinder spielen daneben barfuß mit einem durchflochtenen Ball aus Rattan, „Chinlon“: Mit Beinen, Füßen, Fersen, Fußsohle, Knie, Schulter oder Kopf halten sie den so lang wie möglich in der Luft, die Hände dürfen ihn nicht berühren.

Unser Zug rumpelt bald wieder in die Central Station, wo ein schnieker neuer Nachfolger mit Fensterscheiben und Klimaanlage steht. Doch die alten Züge sind die Sensation und bleiben hoffentlich erhalten. Zum Schluss sprechen zwei beherzte Marktfrauen mit schwerer Ladung – Blumen, Kohl und Kürbissen, im Waggon lauthals über uns. „Ach “, sagen sie, „die interessieren sich auch für unser Land, jetzt soll aber unsere Eisenbahn nicht ganz so gut sein, nicht dass sie noch einen schlechten Eindruck bekommen . . .“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2016)

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