Namibia: Der lange Blick des Leoparden

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NAMIBIA-US-CONSERVATION-ANIMAL-CHEETAH(c) APA/AFP (GIANLUIGI GUERCIA)
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Tourismus und Artenschutz müssen einander nicht ausschließen: In privaten Game Reserves, umzäunten großen Schutzgebieten, kann man auch im Norden des Landes dem Großwild und den Raubkatzen ziemlich nahe kommen.

Afrikanische Tage beginnen vor dem Aufstehen. Die Dämmerung ist vorerst noch ein fahler Streifen, erste Vogelstimmen erheben sich. Die Geräusche der Nacht sind verstummt, die Morgenluft ist kalt und klar. Der Pfad zum Haupthaus der Okonjima-Lodge lässt sich nur mit dem Licht der Taschenlampe ertasten. Wie hat Tristan, der Manager, gewarnt? Es sei nicht auszuschließen, dass mal ein Leopard um die fünf Chalets streife. Und dann? „Ruhig bleiben. Nicht loslaufen und dem Tier nicht in die Augen schauen. Hebt die Arme, dann wirkt ihr größer, und geht ganz langsam weg.“ Gut zu wissen. Aber vermutlich säße einem das Tier im Nacken, lang bevor man es sähe. Oder es wäre verschwunden, bevor man es erahnte. Immerhin: Solche Gedanken machen wach. Sogar um fünf Uhr früh. Doch nichts lässt sich blicken auf dem Pfad zum Haupthaus. Dort duftet Kaffee, Menschen blinzeln verschlafen in den Busch, der sich aus der Dunkelheit löst.

Warten auf die Auswilderung

Okonjima liegt 200 Kilometer nördlich von Windhoek am Rand des 4000 Hektar großen Geländes der Africat Foundation – eines Projekts der Geschwister Wayne, Donna und Rosalea Hanssen sowie von Tristan Boehme. Sie bereiten hier verwaiste oder verletzte Großkatzen auf die Auswilderung vor. Finanziert wird Africat durch Spenden und Einkünfte aus der Lodge.

Am Abend zuvor wollte Tristan Leoparden aufspüren. Zwei erwachsene Tiere warten derzeit auf Umsiedelung in einen Nationalpark, weitere haben sich eingeschlichen. Die temporären Bewohner lassen sich mittels ihrer Sender lokalisieren. Sie zu finden ist dennoch Glückssache, denn wilde Tiere bedienen sich eher zufällig der Staubpisten. Nach reichlich Geschaukel durchs Gelände ließ Tristan den Wagen in einem trockenen Flussbett ausrollen. Er deutete aufs Dickicht am Ufer. Im Gebüsch bewegten sich Flecken: eine Leopardin mit zwei Jungen. Dann kam sie zurück. Allein. Aus unergründlichen Augen warf sie uns einen langen Blick zu. Sie holte die Reste eines Warzenschweinferkels und brachte es zu den versteckten Jungtieren. Aus dem Gebüsch hörten wir sie gurren. Die Härchen auf unseren Armen senkten sich wieder, und Tristan flüsterte: „Toll, toll, toll! So muss das gehen, dass sie für ihre Jungen jagt.“
Fast die gesamte Fläche Namibias besteht aus Agrarland – auch wenn das mit 1,8 Millionen Einwohnern dünn besiedelte Land nicht so aussieht. Nur der Küstenstreifen und die Nationalparks werden nicht landwirtschaftlich genutzt. Leoparden und Geparden sind die einzigen Raubtiere, die dort überleben – weil sie unauffällig sind und scheu. Leoparden haben gelernt, ihre Beute nicht mit auf die Bäume zu nehmen, weil sie dort schnell entdeckt und getötet würden. Zudem ist es nicht nötig, sie vor Hyänen in Sicherheit zu bringen, sie kommen, wie Löwen, nur noch in Parks vor. Doch mit 4000 Exemplaren besitzt Namibia die größte Gepardenpopulation Afrikas. Konflikte mit Farmern, die Großkatzen als Gefahr für ihr Vieh sehen, sind programmiert.

„Farmer hassen Raubtiere“, erklärt Donna Hanssen. Sie weiß, wovon sie redet. Ihre Eltern waren Farmer und Jäger. In Namibia ist das fast immer eins. Der Tourismus ist der Punkt, an dem sich die Interessen von Farmern und Artenschützern treffen. Denn wer seine Farm Gästen öffnet, muss mehr bieten als Perlhühner und Antilopen – und darf deshalb kein Wild verfolgen.

Es ist hell geworden: Pirschfahrt. Schaukelnd setzt sich der Landrover in Bewegung. Kudus verschwinden im Dickicht. Ein Stück weiter stehen zwei Gamsböcke neben dem Weg: grau-weiße Antilopen mit schwarzer Zeichnung und pfeilgeraden, knapp meterlangen Hörnern. Wallace, Gromit, Portia, Hector, Epako, Heida, Hercules, Pegasus und Puck erwarten uns auf einem Hügel. Sie verdienen als Fotomotive das Geld für Africat: Geparden, die das Jagen nicht gelernt haben, weil ein Farmer sie als verwaiste Jungtiere ins Haus holte, bis sie größer wurden als der Couchtisch und um einiges unberechenbarer. Ein Raubtier, das Menschen nicht fürchtet, ist gefährlicher Umgang. Sie bleiben in dem 45 Hektar großen Gehege.

Chip einsetzen, freilassen

Früher wurden Raubkatzen auf privatem Land fast ausnahmslos getötet. Heute ist Africat so bekannt, dass Farmer anrufen, wenn sie eine Katze fangen. Lebend in einer Käfigfalle – das ist ein Erfolg der Aufklärungsarbeit der Stiftung. Mitarbeiter holen das Tier ab, untersuchen es, pflanzen ihm einen Chip ein und setzen es in Schutzgebieten aus. Mehr als 1000 Raubkatzen haben Africat seit 1993 durchlaufen.

Am Ufer des Flusses Huab leben Suzi und Jan van der Reep ihren afrikanischen Traum. Die in Kenia geborene Deutsche und der Holländer sind seit den 1970er-Jahren im Land. Als sie lang genug Touristen in den Etosha-Park geflogen hatten, hörten sie von einer Farm, auf der Elefanten für Unruhe sorgten, indem sie Wasserreservoirs, Windräder und Zäune zerstörten. „Die Bassins haben wir verstärkt, und Windräder brauchten wir nicht“, erklärt Jan. Zusammen mit zwei Partnern kaufte das Paar drei Farmen, entfernte alle Zäune und schuf ein 8000 Hektar großes privates Schutzgebiet mit der Huab Lodge darauf. Mehrere heiße Quellen erlauben es den Gästen, auch im Wasser zu schwitzen. Im Garten wachsen Tomaten und Spinat. Konflikte mit den Elefanten, die die Touristen anlocken, gibt es nicht. Obwohl sie gelegentlich vorbeischauen – so gründlich, wie diese Tiere das zu tun pflegen. Jan zuckt mit den Schultern. „Wenn sie meinen, sie brauchen Spinat, sollen sie Spinat haben“, sagt er. „Wir haben die Lodge ja wegen der Elefanten.“

Omumborumbonga

Bei Spaziergängen im Morgengrauen und Pirschfahrten zum Sonnenuntergang zeigt Jan uns die kleinen Wunder Afrikas: die wie Schmetterlinge geformten Blätter des Mopani-Baums und den gewaltigen Omumborumbonga, den heiligen Baum der Herero, der 2000 Jahre alt werden kann (Combretum imberbe). Er deutet auf Rosenpapageien und Perlkauze in den Gipfeln der Bäume und die Spuren der Elefanten im Flussbett, das hier bis zu 150 Meter breit ist.
Zur Regenzeit wogt das Buschmanngras silbern wie Wasser im Abendlicht. Dann ist es schwierig, die Elefanten aufzuspüren, weil auch kurze Niederschläge ihre Spuren im Boden verwischen. 1992, als Suzie und Jan sich am Ufer des Huab niederließen, lebten 120 Elefanten im Flussbett des Huab und 500 in der ganzen Region. Ihre Zahl sank, weil auf dem Land eine Jagdfarm betrieben wurde. Heute graben wieder mehr als 800 Elefanten im Flussbett nach Wasser. Doch wir sehen keinen einzigen.

Westlich von hier wird das Land karg. Das Kunene-Region ist eine der trockensten Gegenden südlich der Sahara. Und kein Ort, an dem man eine Panne erleben möchte. Ihre Attraktionen – Millionen Jahre alte, versteinerte Bäume, an Orgelpfeifen erinnernde Felsformationen und die größte Ansammlung afrikanischer Felsenkunst bei Twyfelfontein – müssen Besucher sich erkämpfen: durch Hitze und lange Strecken in völliger Einsamkeit. Also: ausreichend Getränke auf die Tour mitnehmen.

Das Mowani Mountain Camp, dessen Wohnzelte sich von außen fast unsichtbar zwischen den Felsen verstecken und deren Terrassen fantastische Blicke in die Wildnis öffnen, ist eine Oase, deren Luxus inmitten der kargen Natur der Halbwüste doppelt verführerisch wirkt. Aus Düsen in den äußeren Balken des Haupthauses sprüht Wasser, das die Luft um fünf Grad kühlt. Alles ist offen: Von der Dusche aus sieht man Echsen über die Felswände huschen, im Bett denkt man über dünne Zeltwände, offene Fenster und wilde Tiere nach. Cornelius Coetcee, der Manager aus Sambia, erzählt von dem Gast, der sich abends an der Sundowner-Bar oberhalb des Haupthauses einen Gin holen wollte: „Er war sofort zurück, mit Augen groß wie Untertassen.“ An der Bar hatte ihn ein Leopard angestarrt. Häufiger jedoch sind Begegnungen mit Wüstenelefanten. Im Moment halte sich eine Herde am anderen Ende des Tals auf, erklärt Cornelius. Für uns bedeutet das um halb fünf aufstehen und eine zweistündige Anfahrt – mit ungewissen Erfolgsaussichten.

VON LODGE ZU LODGE DURCH NAMIBIA

Anreise

Air Namibia fliegt fünfmal pro Woche von Frankfurt/Main nach Windhoek. Preise ab 858 Euro inklusive Steuern und Gebühren. airnamibia.com
Reisezeit. Während des europäischen Sommers ist es in Namibia Winter. Das bedeutet kühlere Temperaturen und Trockenheit. In den Nationalparks lassen sich die Tiere besser beobachten, weil sie zu den Wasserstellen kommen. Im Süden ist es wärmer, von Dezember bis März ist Regenzeit. Die Niederschläge sind meist kurz. Die Vegetation ist wesentlich üppiger.

Lodges

Okonjima Lodge, Otjiwarongo. luxuriöses Busch-Chalet mit Vollpension ab 215 Euro p. P. okonjima.com

Huab Lodge, Kamanjab, p. P./VP und Aktivitäten ab 175 Euro, huab.com

Mowani Mountain Camp, Twyfelfontein, DZ mit Frühstück, Abendessen und geführten Buschwanderungen ab 120 Euro pro Person, Suite ab 275 Euro. mowani.com.

Allgemeine Auskünfte: namibia-tourism.com.
Namibia pauschal: u. a. mit Kneissl Touristik; kneissltouristik.at

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