Mont St. Michel: Das erhabene Ding

Zyklisch. Zu ganz bestimmten Zeiten, bei Ebbe, kann man die Insel auch barfuß umrunden.
Zyklisch. Zu ganz bestimmten Zeiten, bei Ebbe, kann man die Insel auch barfuß umrunden.Reuters
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Eine schlanke Pyramide, überraschend wie ein Traumpalast, ist der Mont St. Michel, der nun durch die Brücke eines österreichischen Architekten mit dem Festland verbunden ist.

Der Mont St. Michel erscheint [. . .] wie ein erhabenes Ding, eine wunderbare Pyramide“, schrieb Victor Hugo 1865 im Versuch, dieses Etwas zwischen Natur und Bauwerk zu erfassen. Auch Guy Maupassant war fasziniert von dem einmaligen Monument inmitten des Meeres, das durch seinen Inselcharakter eine zauberhafte Atmosphäre ausstrahlt: „Die felsige Abtei ist hinausgeschoben, weit weg vom Land, wie ein fantastisches Anwesen, überraschend wie ein Traumpalast, unglaublich seltsam und schön.“

Émile Baumann zeigte sich hingegen vom Szenario des Himmels beeindruckt, der im Spiegel des Meeres die Landschaft prägt: „Rund um den Mont sind alle Stunden der Landschaft schön. Der Himmel vergrößert das Sandbett des Meeres, und das Sandbett scheint wiederum den Himmel zu erweitern.“ In diesen drei Schriftstellerzitaten aus der Romantik kommt die Essenz des Anreizes dieses mythischen Orts zum Ausdruck: eines abstraktes, zeitloses Monuments unter einem dramatisch anmutenden Himmel. Seit Jahrhunderten fasziniert der gotische Mönchsberg Dichter, Maler, Architekten und sämtliche andere Reisenden, die die einmalige Silhouette der sich im Licht stets wandelnden Gestalt zu erfassen suchten.

Verlust des insularen Status. Als uneinnehmbare Insel dem Wandel der Gezeiten ausgesetzt, dem Rhythmus der Natur jahrhundertelang unterworfen, wurde sein zyklisches Ausgesetztsein 1879 mit dem Aufkommen des Tourismus beendet – durch den Bau eines Dammes. Dieser brachte die Besucher in Pferdekutschen direkt bis zum Fuß des heiligen Berges, wodurch er einiges von seinem unberührbaren, sakralen Charakter einbüßte. Auch technisch gesehen erwies sich der Damm als ungünstig, denn er brachte eine zunehmende Versandung der Bucht mit sich, wodurch der Berg seinen insularen Status zu verlieren drohte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde schließlich der Abbruch des Dammes beschlossen, eine Schleuse für die Flussmündung gebaut und ein Wettbewerb für eine Brücke ausgeschrieben.

Diesen gewann der in Paris lebende österreichische Architekt Dietmar Feichtinger mit einem Projekt, das sich durch einen sehr sensiblen Umgang mit der Landschaft auszeichnet. Die Brücke sollte seiner Ansicht nach nicht direkt auf den Berg zuführen, sondern ihn durch eine weite Kurve nur tangential berühren, wodurch der Schwung der Linie virtuell in die weite Ferne fortgesetzt wird. Diese Bewegung ermöglicht eine dynamische Wahrnehmungsweise, denn der Besucher wird nicht frontal mit einem statischen Monument konfrontiert, sondern entdeckt es durch die konstante Veränderung der Perspektive als ein mysteriöses, beinahe lebendig wirkendes Objekt, das sich dem Auge mal so, mal anders preisgibt.

Lichtband. Gestalterisch gesehen ist die Brücke sehr zurückhaltend und lässt das betrachtete Objekt wirken. Sie besteht aus einem homogenen Boden aus Holzbrettern, mit seitlichen Stahlgeländern und dünnen Spannkabeln, die den Blick nicht stören. Eine dynamisch geschwungene, abgerundete Betonbank lädt zum Verweilen ein, nachts zeichnet ihre indirekte Beleuchtung ein Lichtband in die Landschaft. Die Besucher wandeln über die Brücke zum Berg oder nehmen die eigens designten Shuttlebusse, die in einer Art Tarnanzug dieselbe Holzmusterung wie der Brückenboden aufweisen und den anregend gestalteten Parkplatz mit dem Mont St. Michel im Fünfminutentakt verbinden.

Will man den Touristenmassen entgehen, reist man am besten zeitig in der Früh an, so kann auch die gotische Benediktinerabtei in ihrem klösterlichen, besinnlichen Charakter erlebt werden. Auch der äußere Weg um den Berg herum, mit stetem Blick aufs Meer, ist weit ruhiger als der direkte, der alle Wünsche der Touristen zu erfüllen sucht, und dabei dennoch den wichtigsten vergisst: Die Insel kann zu ganz bestimmten Zeiten auch zu Fuß erreicht werden, barfuß bei Ebbe durch den Sand watend. Allerdings ist dies nur mit einem Führer ratsam, weil nur er die sicheren Stellen des Sandbetts kennt und auch Zeitpunkt wie Geschwindigkeit des wiederkehrenden Wassers abschätzen kann, das schneller ist als ein galoppierendes Pferd. Reiten ist übrigens auch eine sehr reizvolle Art, die Aussicht auf den Mont St. Michel zu genießen und ihn durch die fortwährende Bewegung in seiner Wandlungsfähigkeit, in unterschiedlichen Lichtstimmungen wahrzunehmen.

Schlafen im Schloss. Was die Unterkünfte betrifft, sind etwas entlegenere Orte zu bevorzugen – an charmanten Dörfern und erstklassigen Herbergen mangelt es nicht. So kann man im Chateau de Chantore fürstlich logieren, einem wunderbaren Schloss aus dem 18. Jahrhundert, das nicht nur von der Bausubstanz her ein Juwel ist, sondern auch von der stilgerechten Einrichtung mit antiken Möbeln. Hinter diesem zauberhaften Chambres d’hôtes stehen zwei junge, hochkultivierte Pariser Aussteiger, die sich ganz nebenbei zu Kunstkennern und Antiquitätensammlern gemausert haben und nun ihren Traum, dem hektischen Stadtleben zu entkommen, verwirklichen – und damit auch denjenigen ihrer Gäste.

Mit Charme und Diskretion wissen sie zu vermitteln, was echter Luxus sein kann, fernab von globalen Trends. Der Gast wird persönlich empfangen, lässig mit den Händen in den Hosentaschen, im offenen Türrahmen lehnend, freundlich lächelnd. Nichts fehlt hier. Wie in Tausendundeiner Nacht findet das Frühstück an einem großen Tisch statt, mit Silberbesteck gedeckt und frischen Produkten aus der Umgebung.


In Genets, einem kleinen Dorf in unmittelbarer Nähe, genießt man im kleinen Restaurant La Pause des Genets hervorragend zubereitete Köstlichkeiten der Region in einem charmanten rustikalen Rahmen.
In der Normandie kann man gut länger verweilen und auf unterschiedliche Weise in die Vergangenheit reisen. In der Umgebung liegt die beeindruckende Festungsstadt Granville, auf einem ins Meer ragenden Felsen gelegen, der von einer gotischen Abtei gekrönt wird. Auf der windgeschützten Ostseite erstreckt sich entlang des Strandes auf einer Anhöhe ein Villenviertel aus der vorvorigen Jahrhundertwende. Die stattlichste Villa hat der Familie von Christian Dior gehört. Heute ist sie öffentlich zugänglich und wird als Museum genutzt, in dem Diors stark taillierte Kreationen zu bewundern sind, die uns in die femininen 1950er-Jahre mit ihren prägnanten Kurven des New Look zurückführen. Im paradiesischen Garten, der wie ein üppiges grünes Plateau über das Meer kragt, können Diors Parfums in Duftstationen beschnuppert werden, deren Aromen sich mit jenen der Rosen, Pinien und des Flieders vermischen.

Kupferner Lärm. Möchte man die Zeitreise fortsetzen, kann man in der Umgebung eindrucksvolle gotische Abteien besichtigen, wie etwa Notre-Dame de Hambey: eine gigantische Ruine aus dem zwölften Jahrhundert ohne Dach, an der die Französische Revolution nicht spurlos vorübergegangen ist, denn nicht wenige ihrer Steine dienten dem Bau einer Manufaktur.

Die nicht weit davon entfernte Abtei La Lucerne hingegen wurde mit historisch-traditionellen Handwerkstechniken renoviert. Auch der runde Taubenturm dieser Klosteranlage ist bemerkenswert.
Nicht weit davon liegt Villedieu-les-Poêles, ein Hochsitz des Johanniterordens (Malteser), der eine Produktionsstätte für die Kupferverarbeitung errichtet hat. Noch heute kann man die Ateliers der Kupferschmiede und Glockengießer besichtigen und an den Waschstellen des kleinen Flusses vorbeispazieren, sich in die Hinterhöfe hineinschleichen und sich vorstellen, wie damals das Klopfen des Kupfers ohrenbetäubenden Lärm verursacht haben muss. Auch hier erinnert einiges an die Französische Revolution, etwa auf der Place de la République Marianne, die Freiheitsstatue, die mit ausgestrecktem Arm über die Spitze der Abtei hinwegzuragen scheint, um triumphierend an den Kampf um die Rechte der Bürger und Handwerker zu erinnern, mit den eingravierten Worten „Que vive la République!“, die in die Annalen der Geschichte eingegangen sind.

Tipp

Restaurant auf dem Mont
St. Michel: Crêperie La Sirène,
Intramuros Grande Rue; 50170 Le Mont Saint-Michel, +33/233/60 08 60

Reiten an der Bucht vom Mont St. Michel, auf gut gepflegten Pferden und mit bester Betreuung: Écurie du Bec, Chemin des Croûtes, Route du Bec d‘Andaine, 50530 Genêts, +33/659/17 77 34;

Übernachten im wunderbar renovierten und stilistisch perfekt eingerichteten Schloss, in dem es einige Gästezimmer gibt oder für längere Aufenthalte ein kostengünstigere Ferienwohnung mit Küche (Gite), in den ehemaligenStallungen: Chateau de Chantore, 50530 Bacilly, +33/674/30 66 64,
chateaudechantore.com

Abendessen. Abends ein Dinner im Restaurant La Pause des Genêts, unweit des Mont St. Michel: 11 rue de l‘entrepont – gegenüber der Kirche. 50530 Genêts. +33/233/89 72 38; lapausedesgenets.com

La Grange de Tom. Fein dinieren auf dem Weg nach Granville in einer Felsenbucht mit wunderbarem Blick aufs Meer und schönem Gastgarten im Grünen. 40 route des falaises – Le Sol Roc, 50530 Champeaux. +33/233/61 85 52; la-grange-de-tom.fr

In Granville kann man im Teesalon speisen: Salon de Thé/Restaurant Picorette, 22–24, Rue Saint Sauveur, 50400 Granville,
+33/233/59 93 49; picorette.fr

Museum Christian Dior und der wunderbare Garten des Designers an der Ostküste von Granville, auf einem schönen Fußweg entlang der erhöhten Strandpromenade im Grünen zu erreichen. Musée et Jardin Christian Dior, Villa Les Rhumbs, 50400 Granville, +33/233/61 48 21; musee-dior-granville.com

In Villedieu-les-Poêles kann man in diesen beiden Restaurants hinter der Abtei essen: Hôtel-Restaurant Le Fruitier, Place des Costils; 50800 Villedieu-les-Poeles, +33/233/90 51 00,
le-fruitier.com

Restaurant L‘Atelier, Place des Costils, 50800; Villedieu-les-Poeles, +33/233/90 51 00

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