Zürich: Was immer ihr wollt, es ist dada

SUP am Zürichsee
SUP am ZürichseeReuters
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Die Schweizer Metropole ist das perfekte Ziel für Kultur- und Whisky-Liebhaber, für Wasserratten, Besser-Esser, Dada-Fans und für alle, die an Schutzengel glauben.

Die Dame, die einen bei der Ankunft im Zürcher Hauptbahnhof begrüßt, ist völlig blau und eigentlich auch gar keine Dame. Mit massigem Körper, einer schrillbunten Korsage und goldenen Flügeln, die so löchrig sind wie Emmentaler, schwebt sie über den Reisenden in der Bahnhofshalle. Erschaffen wurde sie von der Künstlerin Niki de Saint Phalle, die ihren elf Meter hohen Skulpturriesen „Schutzengel“ nannte. Da hängt die gigantische Beschützerin nun und schaut den Passanten nach, die in Richtung Bahnhofstraße eilen – immer auf dem Sprung, um den zahlreichen Trams zu entgehen, die über den unübersichtlichen Vorplatz rattern. In der Bahnhofstraße wird bereits nach wenigen Metern deutlich, was Zürich den Titel Hauptstadt des Kapitals eingetragen hat. Banken, Versicherungen und Nobel-Läden reihen sich auf dieser Luxus-Einkaufsmeile dicht aneinander. Doch die echten Schätze liegen versteckt, in Banktresoren unter der Bahnhofstraße. Tonnen von Gold, Silber, Palladium und Platin lagern dort. Jenen, die ihr Geld da unten horten, kann man manchmal in der Widder-Bar begegnen, wo sie für vier cl edelsten Whiskys 1500 Franken bezahlen. Günstiger geht es in der Dolder-Bar zu, die Cognac in Fingerhut-Mengen bereits zu 880 Franken ausschenkt. Die Bar gehört zum Fünf-Sterne-Hotel The Dolder Grand. Hier übernachtet nur, wer sich vorher schon drei bis vier Cognacs leisten konnte.

„Jeder hervorragende Mensch ist irgendeinmal in Zürich.“ So hat der Schriftsteller Robert Walser einmal seine Bewunderung für die größte Stadt der Schweiz ausgedrückt. Recht hatte er, sogar Goethe reiste mehrere Male an die Limmat und war besonders angetan von den vielen Erfrischungsmöglichkeiten. „Nackt gebadet, gejauchzt bis zwölf“, hat er während eines Besuchs notiert – und die Zürcher teilen seine Begeisterung. Im Sommer strömt die ganze Stadt ans Wasser.

Weltweit höchste Bäderdichte

Die einen hüpfen in ihrer Mittagspause von der Quaibrücke in den See, die anderen bevölkern die Fluss- und Seebäder, von denen es mehr als vierzig in der Stadt gibt. Damit hat Zürich die höchste Bäderdichte weltweit. Auf sanft schaukelnden Pontons oder altmodischen Holzplanken liegt man dicht beieinander und bummelt vielleicht mit seiner Bad-Bekanntschaft später die klassische Promenade Limmatquai entlang, vorbei an Gross- und Fraumünster und den Häusern der alten Zünfte, die Zürich einst zu einer der wohlhabendsten Städte Europas gemacht haben, bis ins Niederdörfli hinein. So nennen die Zürcher das Amüsier-Areal um Central, Hirschplatz und Kirchgasse. Zwischen Handwerkerläden, Cafés, kleinen Bars, Beizen (Beiseln) und Restaurants haben sich dort auch Sexkinos, Stripteaselokale und Massageclubs geschummelt.

Die Stadt, die alles hat

Ein Sündenpfuhl ist das Niederdorf dennoch nicht. Diesen Titel lässt sich das Langstraßenviertel nicht nehmen. In den Quartierläden und Straßenbasaren dort geht es ruppig-rau wie auf der Reeperbahn zu. Kein Wunder, Milieu-Menschen prägen den Rotlichtbezirk noch immer. Seit einiger Zeit ernennen jedoch die Szenegänger einstige Spelunken zu neuen In-Lokalen, und während der samtrote Puff-Chic das Partyvolk anzieht, hoffen die Junkies des Viertels darauf, dass alkoholisierte Jugendliche ihr Taschengeld mit ihnen teilen. So ändern sich die Zeiten: Auch alte Industriegebiete rund um die Langstraße haben sich in Lifestyle-Locations verwandelt. In die einstige Bierbrauerei Löwenbräu zogen neben der Kunsthalle und dem Museum für Gegenwartskunst einige Trendgalerien ein.

Noch größere Karrieren haben die Fabrik- und Lagerhallen im Westend gemacht, das zum Mekka der Kultur- und Partymetropole Zürich wurde. Direkt hinter dem Escher-Wyss-Platz beginnt dieses Boom-Viertel. Herzstück der Gegend ist das Kulturzentrum Schiffbau, früher eine Schiffbauhalle, heute eine Dependance des Schauspielhauses samt Jazzclub und Spezialitätenrestaurant. Die zwölf Stadtkreise quellen über vor Kunst- und Kulturangeboten: Oper und Off-Bühnen, Jazz- und Rockclubs, alternative Kulturzentren, Galerien – und in diesem Jahr besonders wichtig: das Cabaret Voltaire. Dort wurde 1916 der Dadaismus erfunden. Zu einer Zeit, als in ganz Europa Krieg herrschte, bot Zürich vielen Intellektuellen und Künstlern Zuflucht. Unter ihnen Hugo Ball, Emmy Hennings, Sophie Taeuber und Tristan Tzara, die sich zur Kunstbewegung Dada zusammenfanden und erste Aktionen im Cabaret Voltaire präsentierten. 2016 befindet sich die Limmatstadt nun im Dada-Fieber und lädt zum 100. Geburtstag das ganze Jahr über zu Konzerten, Führungen, Ausstellungen und Performances ein. Für das Land von Bündner Fleisch und Käsefondue mindestens ebenso revolutionär wie die Dada-Bewegung war die Gründung des ersten vegetarischen Restaurants der Welt. Im Jahr 1898 als „Vegetarierheim und Abstinenz-Café“ von Ambrosius Hiltl gegründet und als Wurzelbunker für Grasfresser verspottet, huldigen heute auch Teilzeitvegetarier dem sagenhaft leckeren Angebot des Hiltl.

Dass Zürich es aber Jahr für Jahr auf die vordersten Plätze des weltweiten Lebensqualität-Rankings schafft, hat die kleinste Großstadt der Welt aber auch der Natur zu verdanken. Sie ist in Zürich näher als in den meisten anderen Metropolen. Man stolpert bereits in der Stadt allerorten über Parks und Wiesen und steht sofort in Wäldern, auf Gipfeln oder an Bergseen, sobald man die Stadtgrenze überschreitet. Das beliebteste Naherholungsgebiet der Stadt ist der Uetliberg. Die einen erwandern sich den rund 870 Meter hohen „Uezgi“ in etwa drei Stunden, die anderen lassen sich mit der Linie S10 der Uetlibergbahn nach oben bringen. Die steilste normalspurige Adhäsionsbahn Europas überwindet in knapp 20 Minuten Steigungen von bis zu 79 Promille, ganz ohne Zahnrad.

Die größte Party der Schweiz

Zürich, das ist die Stadt, die anscheinend alles, vielleicht sogar ein bisschen zu viel hat: Immer bleibt nämlich das Gefühl, etwas verpasst zu haben. So viele Ausstellungen nicht gesehen, so viele Beizen nicht besucht, in so vielen Läden nicht geshoppt. Wer seinen Zürich-Besuch gut plant, verpasst wenigstens nicht das nur alle drei Jahre stattfindende Züri Fäscht. Vom 1. bis 3. Juli 2016 lockt die größte Party der Schweiz mit Festbeizen, Showbühnen, Tanzwiesen und Kirmesbuden rund zwei Millionen Gäste an. Höhepunkte werden wieder die musikalischen Feuerwerke am Zürichsee sein, die zu den größten Europas zählen. Das Funkeln Tausender Raketen samt musikalischer Untermalung aus kilomterlangen Lautsprecheranlagen krönt den Abschluss eines Zürich-Besuchs. Ein letzter Blick dann zum Abschied auf den blauen Schutzengel in der Bahnhofshalle. Die 1,5 Tonnen schwere Skulptur ist interessanterweise ein Geschenk der Bewachungsfirma Securitas. Ein passendes Präsent von Fachleuten, die wussten, dass Zürichs Schatzkiste einen sehr großen Aufpasser verdient.

VIEL ZU KURZE 48 STUNDEN IN ZÜRICH

AUSGEHEN
Rote Fabrik. Auf den drei Bühnen des Kulturzentrums finden Konzerte, Festivals und Open-Air-Events statt, das direkt am See gelegene Genossenschaftsrestaurant Ziegel oh Lac ergänzt die Kunst mit Kulinarik. Seestrasse 395, rotefabrik.ch

Acapulco Bar. Seit die Zürcher ihr Gesangstalent bei sonntäglichen Karaoke-Nights auf die Probe stellen können, hat die Acapulco-Bar im Kreis 5 Kultcharakter und außerdem ein hervorragendes Aperobuffet. Neugasse 56, acapulco.ch

Kaufleuten. Die Location in der einstigen Kaufmannsbörse lebt vom Flair seiner barocken Halle mit Stuck und Samtvorhängen. Als Restaurant, Konzertsaal und Club in einem bleibt es eine feste Institution im Zürcher Nachtleben. Kartenvorbestellung ist ratsam. Pelikanplatz, kaufleuten.ch

bQm Kultur Café & Bar. Das Café über den Dächern der Stadt ist Treffpunkt für Zürichs Studenten und hat außer erschwinglichen Getränken auch regelmäßig Kulturevents im Angebot. Leonhardstrasse 34, bqm-bar.ch

Bar 63. Zu später Stund geht es in die Bar 63 zu Rum, Wein, Whisky und ausgezeichneten Cocktails. Die Getränkeliste wechselt mit den Jahreszeiten, das Service ist gleichbleibend gut. Rolandstrasse 19, www.bar63.ch


ESSEN IM FREIEN

Frau Gerolds Garten. Im Winter ist Frau Gerolds Lokal ein gemütliches Holzstübchen, im Sommer eine Gartenwirtschaft mit Sonnenterrasse, Open-Air-Bars, Ateliers und Shops. Kräuter, Gemüse und Salate aus dem eigenen Nutzgarten werden in Frau Gerolds Küche frisch verarbeitet. Geroldstrasse 23/23a, fraugerold.ch

Fischer's Fritz. Hier kommt morgens auf die Karte, was in der Nacht im Netz des Fischers gelandet ist: meist Hecht, Forellen oder Felchen. Die Strandbeiz direkt am See wird auch für ihre Sunset-Bar und den Sonntagsbrunch sehr geschätzt. Seestrasse 559, fischers-fritz.ch

Schiller & Goethe Bar. Auf der Terrasse der Brasserie lassen sich mit Blick auf das Opernhaus hausgemachte Pizza und Risotto genießen, die perfekt zur mediterranen Outdoor-Atmosphäre passen. Sechseläutenplatz 10, brasserie-schiller.ch

Quai 61. Ein leckeres Fischgericht und ein Glas Wein machen das Sonnendeck des Seerestaurants im Hafen Enge zum perfekten Ort, um einen Sommertag ausklingen zu lassen und sich ein bisschen wie an der Côte d'Azur zu fühlen. Mythenquai 61, quai61.ch

Uto Kulm. Das Restaurant auf dem Uetliberg ist Zürichs höchstgelegenes. Zu sensationellen Aussichten auf Alpen, Zürichsee und die Dächer der Stadt serviert man dort oben Snacks oder Zürcher Spezialitäten.

Sonnengarten. Locker geht es in diesem Selbstbedienungsrestaurant zu, das unter alten Kastanien- und Lindenbäumen, direkt am Zürichsee liegt. In diesem Biergarten kommt kulinarisch wirklich jeder auf seine Kosten. Seestrasse 120, 8700 Küsnacht am Zürichsee, sonne.ch


BADEN UND FEIERN
Zürich ist das Bademekka der Schweiz. Bei mehr als 40 Bädern hat jeder die Chance auf eine nasse Erfrischung und das Beste: Im Sommer verwandeln sich viele der Bäder in Clubs und Lounges. badi-info.ch

Unterer Letten. Die 1909 erbaute Anlage ist das älteste Flussbad der Stadt. Im oberen Bereich tummeln sich die Sonnenbader, weiter unten gelangt man über lange Treppen direkt ins Wasser. Die nostalgisch-hübsche Holzkonstruktion des Bades wird an Juli-Abenden zum Freiluftkino. Wasserwerkstrasse 141, filmfluss.ch

Frauenbad Stadthausquai. „For ladies only“ heißt es hier an der Mündung der Limmat in den Zürichsee. Nach Sonnenuntergang sind aber auch Männer auf einen Cocktail in der dazugehörigen Barfussbar willkommen. Stadthausquai 13

Seebad Enge. Das Bad bietet von seinen beiden schwimmenden Inseln im Zürichsee einen wunderbaren Blick auf die Alpen. Am Abend trifft man sich an der Open-Air-Bar und von Mai bis September finden im Rahmen von „Seebad unplugged“ Konzerte statt. Mythenquai 9, seebadenge.ch

Oberer Letten. Auch dieses Flussbad Oberer gehört zu den Verwandlungskünstlern. Tagsüber kühlt ein Sprung in die Limmat ab, abends gibt es gegrillte Dorade in der Panama Bar. Lettensteg 20, panamabar.ch

Werdinsel. Die Insel im Quartier Höngg ist als Naherholungsgebiet der Zürcher bekannt. Der obere Bereich der Insel lockt mit Flussbad, Liegewiesen und Grillplätzen. Im unteren Teil frönt man dem Freikörperkult.


AKTIVITÄTEN
Unvergessliche Kinomomente im Sommer garantiert das Open-Air-Kino am Zürichsee, das auf einer 300 Quadratmeter großen Leinwand eine vielfältige Filmauswahl präsentiert. Parkanlage Zürihorn, allianzcinema.ch

SHOPPEN
Hochstapler. Den Turm vom Flagship-Store Freitag einen Hochstapler zu nennen ist keine Beleidigung. Aufeinandergestapelte Schiffscontainer wurden oben mit einer Aussichtsterrasse versehen, von der man einen guten Überblick über Zürichs Kreis 5 bekommt. Unten werden in den Verkaufsräumen die neuesten Modelle der Taschenunikate aus recycelten Lkw-Planen präsentiert. Geroldstrasse 17, www.freitag.ch

Viadukte. Unter den Bögen zweier alter Eisenbahnviadukte liegen rund 50 angesagte Shops wie hinter den Türchen eines Adventkalenders. Die schicken Mode-, Lifestyle-, Outdoorläden bilden einen raffinierten Kontrast zu den alten Bruchsteinmauern, die den Industriecharme der Viadukte bewahren. In der daran anschließenden Markthalle kann man wunderbar probieren und kaufen, was die Zürich-Region an Spezialitäten zu bieten hat. Viaduktstrasse/Limmatstrasse 231, im-viadukt.ch

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2016)

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