Mexiko: Wo Schnaps noch Schnaps ist

(c) Axel Huhn
  • Drucken

Mezcal, Agavenschnaps, war in Mexiko früher als Indio-Feuerwasser verschrien. Heute ist er in den stylischsten Bars ein teures Kultgetränk.

Die Brennerei Real Minero hallt wie von Schwertschlägen. Im Hof hackt Edgar, der Jüngste der Ángeles-Familie, mit ein paar Dorfburschen fluchend sieben Tonnen Agavenherzen auseinander. „Selbst Motorsägen bleiben in den zähen Dingern stecken“, sagt Edgar, „deswegen benutzen wir Spezial-macheten – drei Kilo schwer und geschmiedet aus Stoßdämpfern.“ Über Stunden hinweg hauen sie auf die Herzen ein – trotz 30 Grad alle in langärmeligen Sweatshirts, weil das Agavenharz die Haut verätzt. Edgar deutet auf seine Gesellen: „Du darfst dich von ihren schmächtigen Körpern nicht täuschen lassen“, sagt er. „Sie haben extrem harte Hände – wenn sie dir in das Gesicht schlagen, platzt sofort deine Haut auf. Denn Mezcal-Brennen ist härter als Kampfsporttraining.“

Nur Indio-Feuerwasser? Mezcal ist mit Sicherheit der am mühseligsten hergestellte Alkohol der Welt  – und zugleich vielleicht der beste Schnaps, den es zurzeit für Geld zu kaufen gibt. Kein anderer Brand besitzt ein so komplexes Spektrum von Aromen, kein anderer Brand ist so stark mit Handwerkskunst verbunden. „Vor zehn Jahren war Mezcal noch als Bauernschnaps und Indio-Feuerwasser verschrien“, sagt der Importeur Axel Huhn, der mit dem Brand stylishe Bars wie das Schumann’s in München und das Berliner Buck  & Breck beliefert. „Heute ist er High-End-Spirituose. Da Mezcal lange Zeit ein absolut klandestines Dasein fristete, konnte er paradoxerweise überleben – auf streng ökologischem, höchstem Niveau.“

Auf einem Hügel über der Ángeles-Brennerei in Santa Catarina Minas im Bundestaat Oaxaca: Eduardo, Edgars älterer Bruder, sitzt auf dem Boden und überblickt das Heer der grünen Stachelgewächse. „Beim handwerklichen Mezcal gibt es zwei Grundpfeiler“, sagt er. „Die Agaven müssen in einem Erdofen gegart worden sein, der Schnaps selbst muss aus einer Lehmdestille stammen. Alles hängt vom Brennmeister ab – wir sind wie Köche, die Kreationen schaffen. Und jeder Faktor – Agavenart, Hanglage, Sonneneinstrahlung, Mondphase –, hat solchen Einfluss, dass kein Mezcal dem anderen gleicht.“

Prähistorisch. . Die Agaven garen drei Tage lang in einem Erdofen
Prähistorisch. . Die Agaven garen drei Tage lang in einem Erdofen(c) Axel Huhn

Um den Brand zu komponieren, streift Eduardo jede Woche durch die Gegend, wählt Agaven aus und vereinbart Preise mit ihren Besitzern. Jeder seiner zehnköpfigen Familie hilft beim Brennen mit, und selbst wenn ein Brenndurchlauf nicht allzu viel Geld abwirft – am Ende kommen doch alle irgendwie über die Runden. Die Kollektivarbeit zeigt sich am besten beim Erdofen, der einmal pro Woche angeworfen wird  – einem drei Meter tiefen Trichter im Hof der Brennerei. Zuerst wird der Trichter mit Mesquite-Holzscheiten ausgekleidet, dann kommen Lavasteine darauf – drei Tonnen an der Zahl, alle handverlesen, damit sie nicht wie Schrapnelle explodieren.

Das Holz wird entfacht, nach ein paar Stunden haben die Steine Rotglut, und jetzt beginnen die Männer, die halbierten Agavenherzen in den Trichter zu schichten. Schichten ist das falsche Wort, es ist ein Hineintrampeln, Draufprügeln und Verkeilen, das an Tiefbau erinnert. Vorsichtig kraxeln sie – über Matten nasser Agavenfasern  – auf den glühendheißen Steinen herum und verkeilen die Herzen, millimetergenau, damit kein Luftstrom die Füllung verbrennt.

Garzeit drei Tage. Nach zwei Stunden ist es geschafft: Sieben Tonnen Agavenherzen sind verkantet, sie wölben sich über dem Boden und werden mit Erde zugeschüttet. Zu guter Letzt rammt man ein geweihtes Kreuz in den Haufen, damit der Teufel nicht in den Ofen fährt. „Außerdem“, erklärt Edgar mit einem Augenzwinkern, „schützt es vor dem bösen Blick und vor schwangeren Frauen, die den Mezcal ruinieren würden.“ Nun köcheln die Agavenherzen drei Tage lang vor sich hin – so lang, bis ihre Kohlenhydrate gespaltet und ihre Aromen freigesetzt sind. Dann kommen die Männer und buddeln die Herzen wieder aus  – sie sind nun karamellfarben und duften süß. Nächste Station: Häckselmaschine und Maischebottiche.Neben den Maischebottichen wacht Graciela, Edgars und Eduardos Schwester.

Sie inspiziert den Inhalt: den Agavenmost mit seiner schwimmenden Schicht aus Fasern. Durch wilde Hefen hat sich der Most auf etwa zwölf Prozent hochgegärt. Graciela taucht eine riesige Schilfpipette in den Tank: „Man muss täglich riechen, horchen und probieren“, sagt sie, „deswegen hat Mezcal-Herstellung etwas sehr Sinnliches. Und wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, muss sofort die Destille angeworfen werden  – ganz gleich, ob Sonntag ist oder ein Geburtstagsfest . . .“ Graciela lauscht mit dem Ohr am Bottich. An den Geräuschen des Gases kann sie erkennen, dass er innerhalb der nächsten 24 Stunden so weit ist. Bis dahin wacht der Niño Palenquero, das schutzbefohlene Mezcal-Jesuskind, in einer Vitrine über die Bottiche. Mit seinem Samtumhang und dem starren, geheimnisvollen Blick verströmt er einen Hauch von heidnischen Gottheiten. Nicht umsonst erklärt Graciela: „Palenques – heute der Name für Mezcal-Brennereien – hießen früher die Geheimtreffpunkte entlaufener indianischer Sklaven, dort wurde der erste Mezcal gebrannt. Zu ihnen hatten nur Eingeweihte Zutritt – und jede Palenque besaß ihren eigenen Schutzheiligen.“

Denn die spanische Kolonialmacht ging gegen die Schnapsproduktion der Indianer mit größter Brutalität vor: „Ein Indio säuft so viel wie zwanzig Spanier“, klagte 1580 der Kolonialverwalter Juan del Río, „und jeder Dorfbewohner gibt nicht eher Ruh’, bis er nicht völlig besinnungslos umhertaumelt . . .“ Ein Kollege sekundierte im selben Jahr: „Da sie rohe, pflichtvergessene Indios sind, schütten sie im Geheimen literweise Agavenbranntwein in sich hinein – und geben sich dann völlig der Sünde hin . . .“ Gotteslästerung, Mord, Ehebruch, Sodomie  – es gab kaum ein Verbrechen, das die Spanier nicht dem Mezcal anhängten. Der Hauptgrund für ihre Panik war jedoch ein anderer: die Angst vor Revolten. So wurde die Mezcal-Herstellung mit drakonischen Strafen belegt: 200 Peitschenhiebe, sechs Jahre Galeere und Verlust sämtlicher Güter; spanischstämmige Schmuggler kamen in der Regel etwas billiger davon. Da der Konsum außerdem mit Exkommunizierung bestraft wurde, bürgerte es sich unter den Indianern ein, beim klandestinen Kauf von Mezcal zu sagen: „Geben Sie mir doch bitte eine Flasche Exkommunizierung!“

Archaisch. Nach alter Sitte muss Mezcal in einem Lehmofen destilliert werden.
Archaisch. Nach alter Sitte muss Mezcal in einem Lehmofen destilliert werden. (c) Axel Huhn

Dass die Tradition trotz aller Strafen nicht in Vergessenheit geraten ist, dafür sorgen die Maestros mezcaleros  – Männer wie der 68-jährige Don Pedro Arrellanes, der von der Ángeles-Familie kontaktiert wird, um die Destillation zu leiten. Don Pedro Arrellanes, ein drahtiges, zahnloses Männlein, steht in der Stille der Brennhallen und bedient die prähistorische Destille aus Lehm, aus der ein dünnes Rinnsal Mezcal läuft: „Eine Kupferdestille brauchen wir nicht, mögen wir nicht, kaufen wir nicht“, sagt er. „Der Geschmack ist mit der Lehmdestille viel besser.“ Dann verkostet er mit dem Familienoberhaupt, Don Lorenzo Ángeles, die Resultate des heutigen Brands. Beide sind mehr als zufrieden: Destilliert wurde ein Mischung aus Espadín-, Largo- und Sierrudo-Agaven – und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Es hat eine komplexe Note nach Rauch, Salz, Erde, Edelhölzern, Mandarine, Kupfer und Pampelmuse.

Solche unfassbar arbeitsaufwendige Kunst hat natürlich ihren Preis: „Die teuerste Flasche Mezcal unseres Sortiments, das Flagschiff, kostet derzeit 150 Euro, in Mexiko ist guter Mezcal ebenfalls nicht billig“, sagt der Importeur Axel Huhn, der beim Brennen selbst oft dabei ist. „Inzwischen hat sich auch eine weitläufige Kultur der Verkostungen und Brennerei-Tastings etabliert – die Destilleure machen hier keine große Geheimniskrämerei.“

Der eigene Durst. Offenherzig beantwortet Don Lorenzo die Frage, wieso er mit dem Brennen begonnen hat: „Angefangen hat alles mit meinem eigenen Durst“, sagt er und lacht. „Ich musste schon mit zwölf auf dem Bauernhof meiner Eltern rackern, und das Mezcalbrennen hat mich immer abgeschreckt, das war viel zu anstrengend. Doch als irgendwann mein Cousin zu Besuch kam und wir im ganzen Dorf keinen Mezcal nach unserem Geschmack auftreiben konnten, schlug er mir vor: ,Gevatter, wir ziehen selbst eine Palenque auf, einfach nur, um etwas zu saufen zu haben!‘ Und ich sagte: ,Zur Hölle! Ja, das machen wir!‘“ Don Lorenzo mietete sich ein Grundstück und begann mit dem Brennen. Sein Mezcal war bald berühmt – und er bald sein bester Kunde. „Ich war Vollalkoholiker“, sagt er.

„Mein Tagespensum war ein Liter Mezcal, angefangen mit einem großen Glas um fünf Uhr früh. Ich hab’ aber immer nur meinen eigenen getrunken, er hat am besten geschmeckt. Mein Sohn und meine Tochter meinten schließlich: ,Vater, wir helfen mit, aber nur, wenn du das Saufen sein lässt.‘ Seit damals bin ich trocken.“ Für einen Profi wie Don Lorenzo ist Abstinenz kein Hindernis, hervorragenden Mezcal herzustellen: Er verkostet seine Produkte mit der Zungenspitze, der Nase oder dem Tastsinn seiner Finger. So ziehen alle Mitglieder der Ángeles-Familie am selben Strang, der Genialität mit Schwerstarbeit verbindet. Edgar und seine Gehilfen sind inzwischen fertig mit dem Ausbuddeln des nächsten Schwungs Agaven, der in die Maischebottiche gebracht wird. „Mission erfüllt!“, sagt Edgar, ächzt und öffnet ein Dos-Equis-Bier. „Total am Ende, aber auch zufrieden! Zu meinem kleinen Sohn sage ich manchmal: ,Wenn du nicht spurst, musst du bis in alle Ewigkeit Mezcal brennen.‘“

Tipps

Oaxaca-Stadt:
Hotels: So gut wie alle rund um den Zócalo, den Hauptplatz, sind okay.

Essen: Zandunga, Calle Manuel Garcia Vigil 512 centro, Oaxaca de Juárez

Destillerien: Real Minero, Santa Catarina Minas, eine halbe Stunde von Oaxaca;
realminero@yahoo.com.mx
Führungen nur nach Vereinbarung.

Verkostungen:www.mezcaloteca.com

Vertrieb von Mezcal in Österreich:
Casa Mexico, Siebensterngasse 16a, 1070  Wien, casamexico.at

Weisshausshop; Weisshaus 27 a, 6600 Pinswang (T), weisshaus.at

Del Fabro, Nordwestbahnstraße  10, 1200 Wien, delfabro.at

Anreise: Wien-Mexico City Wien u.  a. mit Iberia via Madrid ab 710 Euro.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.