Hamburg: Muckefuck, Pfeffersäcke und Eisenten

Strandleben in Blankenese
Strandleben in BlankeneseOliver Schindler
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In Blankenese, dem Viertel von Reich und Schön am rechten Elbufer, bewahrheiten sich manche Klischees, machen aber auch Flüchtlinge Strandurlaub.

Fischerhäuser und Kapitänshäuser, reetgedeckte Fachwerkhäuser und einfacher Rotklinker, gediegene Altbauten und durchdesignte Neubauten stehen kreuz und quer auf den Terrassen des grünen Elbhangs. Die ein oder andere Villa ist auch dabei. Fahnen verschiedenster Nationen sind hier und da gehisst, auch die Totenkopfflagge des FC St. Pauli ist unter ihnen. Die rote Spitze eines Leuchtturms lugt hinter den Baumwipfeln des Elbhangs hervor. Im Elbstrom liegt der Ponton Op'n Bulln, von wo Fähren ans andere Elbufer nach Cranz ins Alte Land oder stromaufwärts Richtung Hafen fahren.

Ab und zu kommt auch eines der gigantischen Containerschiffe vorbei, unten am Elbstrand sind die großen Pötte zum Greifen nah, da die Fahrrinne nicht weit vom Ufer entfernt ist. Schräg gegenüber auf der Halbinsel Finkenwerder liegt das Werksgelände von Airbus, die dahinterliegenden Hafenkräne am Horizont erinnern daran, dass der Hamburger Hafen nur fünf Kilometer entfernt ist.

Der Ausblick im Kaffeegarten Schuldt, der sich auf dem 75 Meter hohen Süllberg im Blankeneser Treppenviertel befindet, ist spektakulär. Das Treppenviertel wird auch Hamburgs Riviera, kleine Toskana oder dänisches Positano genannt – dänisch, weil Blankenese einmal zu Dänemark gehörte, und Positano, weil es mit seinen 58 Treppen, 4864 Stufen und zahllosen engen, verwinkelten Gassen an den Ort an der Amalfiküste erinnert. Es ist ein idyllischer Ort, der mediterran wirkt – für einen mediterranen Lebensstil ist er nur etwas zu aufgeräumt.

Blankenese, die glänzende Nase

Kein Wunder, dass sich in der attraktiven Lage die Schönen und Reichen niedergelassen haben. Die Gentrifizierung fand hier allerdings schon Mitte des 19. Jahrhunderts statt, als sich wohlhabende Hamburger Kaufleute, sogenannte Pfeffersäcke, Landhäuser in dem ehemaligen Fischer- und Lotsendorf bauten. Blankenese bedeutet so viel wie „glänzende Nase“. Der Name beruht auf einer nasenförmigen Sandbank, die von einer Sturmflut weggespült wurde. Eigentlich passt der Name nicht so richtig: Die Blankeneser Nasen glänzen selten, da sie meistens gepudert sein sollen. Den Einheimischen wird auch vorgeworfen, die Nase ziemlich hoch zu tragen. Das Schickimicki-Image teilt Blankenese mit Orten wie Sylt. Blankenese ist voller Klischees. Aber es ist wie mit allen Klischees: Einige treffen zu, viele nicht.

Zichorien- oder Gerstenkaffee

„Der alte Brauch wird nicht gebrochen, hier können Familien Kaffee kochen“, lautet das Motto, das im Kaffeegarten Schuldt seit 1877 gehegt und gepflegt wird. Wie in bayerische Biergärten die eigene Brotzeit mitgenommen werden darf, ist es hier möglich, das eigene Kaffeepulver mitzubringen und sich aufgießen zu lassen. „Den Brauch gibt es immer noch, aber heute ist es eher ein Spaß. Das letzte Mal, dass jemand Kaffeepulver dabeihatte, ist nicht lang her“, sagt Holger von Elm, der den Familienbetrieb führt. Seine Uroma hat den Kaffeegarten damals aufgemacht. „Der mitgebrachte Kaffee wird auch heute noch mit der Hand aufgegossen. Die riesigen alten Kannen, in die vierzig Tassen Kaffee passen, benutzen wir aber nicht mehr“, schmunzelt von Elm. Er gilt als echter Blankeneser, da seine Familie seit fünf Generationen hier lebt. Blankeneser ist man nämlich erst, wenn zumindest die Großeltern hier geboren wurden.

Als der Kaffeegarten Schuldt den Betrieb aufnahm, war Kaffee ein rares und teures Gut, Muckefuck, Zichorienkaffee, war hingegen weitverbreitet. „Damals haben Seemannsfrauen bei uns gearbeitet, um sich etwas dazuzuverdienen. Die Gäste kamen mit der Fähre aus Hamburg, um einen Ausflug ins Fischerdorf zu machen, und brachten sich ihren Kaffee mit“, erklärt Holger von Elm die Entstehung des Brauchs. Das Aufgießen war und ist natürlich nicht umsonst. Der Spaß kostet heute 1,50 Euro für drei Tassen.

Oberhalb des Treppenviertels liegt das Zentrum von Blankenese, von Einheimischen nur „das Dorf“ genannt. Zwischen dem Bahnhof und der Elbchaussee verläuft die Haupteinkaufsstraße des Viertels, die Blankeneser Bahnhofstraße. Auf den ersten hundert Metern befinden sich vier Banken, gefolgt von Boutiquen, Immobilienmaklern und Apotheken. Auffällig ist, dass einige Geschäfte leer stehen. Gewerbeflächen scheinen im Dorf nicht besonders beliebt zu sein. Früher wurde in Blankenese vor allem lokal eingekauft – das Geld blieb im Dorf. Heute findet eine Krötenwanderung in die Einkaufszentren außerhalb Blankeneses statt. Das Dorf wirkt wie ein leicht verwahrlostes Rentnerparadies. Auf den Straßen sind nicht allzu viele Menschen unter 60 unterwegs. Kinder sind selten zu sehen. Überalterung ist eines der Probleme in Blankenese. Die jungen wohlhabenden Blankeneser ziehen in hippere Hamburger Stadtteile wie Ottensen und Eimsbüttel. Es droht also das Gegenteil der Gentrifizierung.

Am unteren Ende des Treppenviertels befindet sich Hamburgs Stadtstrand, der von Övelgönne bis zur Stadtgrenze mit Wedel rund zehn Kilometer lang ist. Den Strand mitten in der Stadt hat Hamburg mit anderen Metropolen wie Rio de Janeiro, Tel Aviv oder Barcelona gemeinsam, auch wenn er hier nicht am Meer liegt. Die Elbe gilt zwar als relativ sauber, aber es ist nicht ganz ungefährlich, an Blankeneses Stränden zu baden: wegen der Gezeitenströmung und des Sogs und Wellenschlags der großen Schiffe. Gut einen Kilometer westlich vom Treppenviertel ist das Falkensteiner Ufer, der letzte Naturstrand Hamburgs. Der Strand wird nun immer breiter und düniger. Der bewaldete Elbhang, der hier auf eine Höhe von knapp hundert Metern ansteigt, reicht bis an den Strand heran.

Treffpunkt Elbecamp

Eine Seifenblasenmaschine rotiert auf Hochtouren. Ein Traktor zieht einen Wohnwagen durch den tiefen Elbsand. Eine silberfarbene Looping-Rutsche, die auf dem Dach eines Backsteinhäuschens steht, sorgt für erstaunte Gesichter. In einem rot-gelb gestreiften Zirkuszelt proben kleine und größere Clowns und Artisten für ihren Auftritt. Ganz normale Wohnwagen und Wohnmobile, aber auch extravagante Zirkuswagen und Feuerwehrwagen, Bauwagen und Bullis haben ein Plätzchen im Elbecamp gefunden. Am buntesten sind jedoch die Menschen auf diesem ungewöhnlichen Campingplatz am Falkensteiner Ufer. Von der Terrasse des Café Lukus lässt sich das rege Treiben in aller Ruhe beobachten. Es ist nicht nur Restaurant, Biergarten und Café, sondern vor allem der Treffpunkt im Elbecamp.

„Die Hamburger, die hier ein paar Stunden verbringen, die Urlauber aus der ganzen Welt und die 47 Dauercamper kommen aus allen sozialen Schichten. Sie sind alle verschieden“, sagt der türkischstämmige Camp-Manager Garip Yavuz, der das Elbecamp seit 2006 leitet und zu dem gemacht hat, was es heute ist. „Alle können hier so sein, wie sie sind. Das Elbecamp ist auf Vielfalt ausgerichtet.“ Feine Damen im Kostüm, in Hamburg Eisenten genannt, und Polohemdträger mit aufgestelltem Kragen sitzen neben all den anderen Menschen, die nicht sofort in irgendein Klischee passen. Offensichtlich verbindet die Menschen hier die Freude an Einfachheit, Natur und Vielfalt.

Das Elbecamp ist ein unkonventioneller Campingplatz. Es gibt keine Parzellen, Vorzelte und Zäune, keine Verbotsschilder und auch keine Werbung – sogar die Werbung auf den Sonnenschirmen ist überklebt. Das Elbecamp ist daher auch nur in dem alternativen Campingführer „Cool Camping Deutschland“ zu finden. Die Cool-Camping-Bewegung kommt aus England. Ihr geht es um das ursprüngliche Campingerlebnis, das auf den meisten Campingplätzen verloren gegangen ist. Auch die Willkommenskultur ist im Elbecamp nichts Neues. „Wir setzen uns seit sieben Jahren für Flüchtlinge ein und kooperieren zum Beispiel mit dem Wohnschiffprojekt Altona. Für uns sind es Gäste und nicht Flüchtlinge. Sie können bei uns Urlaub machen“, sagt Garip Yavuz. Es gibt also bereits seit vielen Jahren Flüchtlinge am Rand von Blankenese. Im Elbecamp wird kulturelle und ethnische Vielfalt schon lang gelebt.

Zehen im Elbsand

Campingplatz Elbecamp mit Café Lukus am Falkensteiner Ufer 101,
+49/40/81 29 49, www.elbecamp.de

Kaffeegarten Schuldt Süllbergsterrasse 30, + 49/40/862411, www.kaffeegarten-schuldt.de

Unterkunft

Lühmanns Bed & Breakfast ist Teestube und Restaurant mit englischem Flair und bietet auch einige wenige Zimmer an. Blankeneser Landstraße 29, Tel. +49/40/863442, www.luehmanns-teestube.de, DZ/F ab 100 Euro.

Das traditionsreiche Strandhotel Blankenese ist ein weißes Jugendstilpalais zwischen Treppenviertel und Elbufer. Strandweg 13, Tel. +49/40/861344, strandhotel-blankenese.de, DZ ab 120 €.

Restaurants

Das Fischrestaurant Zum Bäcker, Blankeneses älteste Gastwirtschaft, bietet eine Terrasse mit Blick auf den Elbstrand. Strandweg 65, Tel. +49/40/86 48 00, zum-baecker-blankenese.deDer

Ponton Op'n Bulln befindet sich in einem Häuschen direkt auf dem Fähranleger, hat eine kleine Karte, aber jede Menge Atmosphäre. Strandweg 30. +49/40/86 64 51 27, pontonopnbulln.de

Auskunft Hamburg Tourismus, Tel. +49/40/30051701, www.hamburg-tourism.de

Anreise

Die S-Bahn (S1) fährt vom Hamburger Hauptbahnhof nach Blankenese.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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