Sizilien: Das andere Italien

Dom von Palermo. Ein Mix aus orientalischen und nordischen Bauformen.
Dom von Palermo. Ein Mix aus orientalischen und nordischen Bauformen.(c) Wikipedia/Sebastian Fischer/ Stefano Mortellaro
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Sizilien ist anders und doch typisch italienisch. Kulturinteressierte Besucher beeindruckt die Insel mit der vielfältigen Pracht lustvoll vereinter Stilrichtungen.

Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele; hier ist erst der Schlüssel zu allem“, formulierte es Johann Wolfgang von Goethe, als er im April 1787 in Siziliens Hauptstadt weilte. Mit dem Schiff war er vier Tage von Neapel nach Palermo unterwegs gewesen und hatte sich seekrank und in „horizontaler Lage“ ausschließlich von „weißem Brot und rotem Wein“ ernährt. Heute fliegt man bequem mit dem Flugzeug und lässt sich mit dem Taxi vom Flughafen in die Hauptstadt kutschieren. Die 35 Kilometer ins Stadtzentrum können je nach Ausprägung des Temperaments des Fahrers recht rasant werden. Die Fahrt führt durch das Umland Palermos, die hügelige Landschaft malt ein dreifarbiges Bild aus felsigen Kanten, grünen Büschen und goldbraunen Wiesen. Einfache Steinhäuser sind hie und da zu erkennen, Kühe nehmen ein Sonnenbad, und ganz weit draußen am Horizont lässt sich schon das Meer erahnen. Eine Hand am Haltegriff des Wagens, die andere fest die Sitzkante umfassend und mit dem rechten Fuß unbewusst mitbremsend geht es über die friedlichen Dörfer Richtung Stadt. Die wilde Natur am Straßenrand formt aus Blättern einen Laubengang, durch den das Taxi wie durch einen Triumphbogen hindurchgleitet. Kurze Zeit später verengen sich die Straßen, Stoßstange reiht sich an Stoßstange, es wird gehupt und geflucht. Man ist mittendrin, im dichten Verkehr der sizilianischen Hauptstadt.

Ein Kreuz gegen Ungläubige. „Das Stadtbild Palermos wird von den zwei sich im Zentrum kreuzenden Hauptstraßen geprägt, Quattro Canti genannt“, erklärt später der zum Stadtführer erkorene Lokalmatador Simone Di Stefano, ein waschechter Sizilianer, der in Bayern aufwuchs. „Was auf den Linien (dieser zwei Straßen) liegt, ist bequem zu finden, das Innere der Stadt hingegen verwirrt den Fremden“, zitiert Di Stefano aus Goethes Reisetagebuch, und das glaubt man nur zu gern, denn zu den Seiten der zwei Hauptachsen verzweigen sich die schmalen Gassen zu einem regen Straßenlabyrinth, und die Wohnhäuser mit ihren Wäscheleinen und Balkonen weben ein engmaschiges Netz darüber. Dass die zwei Hauptstraßen ein Kreuz bilden, war von den Stadtplanern auch als Wink an die Ungläubigen im Land gedacht, „ihr wisst schon, Gegenreformation und so!“, sagt Di Stefano grinsend. Dann führt der Spaziergang weiter zur Kathedrale von Palermo. Pferdehufe schlagen auf den Asphalt, zwei bärtige Männer im Kaftan unterhalten sich im Schatten einer Palme, ein Geschäftsmann gestikuliert wild am Telefon, eine Vespa knattert vorbei. Die Stadt changiert ständig zwischen orientalischer Medina und europäischer Großstadt. Inmitten dieses Treibens erhebt sich die Kathedrale von Palermo und erzählt von der zweiten großen Blütezeit Siziliens.

Kathedrale von Catania. Die barocke Fassade verbirgt einen normannischen Vorgängerbau.
Kathedrale von Catania. Die barocke Fassade verbirgt einen normannischen Vorgängerbau. (c) Fototeca ENIT/ Sandro Bedessi

Stilmix auf sizilianisch. Die Normannen hatten die Insel von den Arabern erobert und zu einem eigenständigen Königreich gemacht – mitsamt entsprechender Baupolitik. Die meisten Bauten dieser Periode in Sizilien stellen eine Symbiose aus byzantinischen, arabischen und normannischen Bautraditionen dar. Die Wand- und Deckendekoration der Kirche Santa Maria dell’Ammiraglio besteht zur Hälfte aus byzantinischen Mosaiken und zum anderen Teil aus barocken Fresken. Kunsthistorikern wird bei diesem Anblick ganz schwindelig. Um dem Schwindelgefühl vorzubeugen, rät uns Simone, einen klassischen sizilianischen Snack zu probieren: Eis im Brioche. „Die Ähnlichkeit mit einem Kebab ist nur äußerlich vorhanden – und vielleicht mit der Schwierigkeit, es ohne Komplikationen zu essen“, warnt er uns vor, „aber keine Angst, Brot und Eis passen gut zusammen!“ Wem das zu viel geballte Süßheit auf einmal ist, der bestellt lieber eine erfrischende Granita. „Hauptsache eisig, denn die Sizilianer nehmen für sich in Anspruch, die Erfinder des Speiseeises zu sein.“ Auf einer Bank an der Küstenpromenade sitzend und ab und zu von seinem Eis löffelnd erzählt Di Stefano von seinen sizilianischen Verwandten, die damals in Bayern leichte Anpassungsschwierigkeiten hatten. „Ein entfernter Cousin von mir ging eines Tages in eine Pizzeria unserer Stadt und verlangte von den Eigentümern Schutzgeld. Die haben aber einfach die Polizei geholt“, erzählt er. „So einfach ist das in Deutschland, aber hier in Palermo zahlen leider immer noch 80 Prozent der Restaurants Schutzgeld an die Mafia.“ Für Touristen sei es jedoch ganz ungefährlich in Sizilien, seit den 1980er-Jahren habe sich die Lage schon erheblich gebessert. Für den nächsten Tag ist ein Ausflug nach Bagheria geplant, das seit Goethes Besuch 1787 unter den Kulturreisenden in aller Munde war.

Besser als Schloss Schönbrunn. Das etwa 20 Kilometer von Palermo entfernte Städtchen beherbergt eine Vielzahl barocker Sommervillen, von denen die Villa dei Mostri, die Villa der Ungeheuer, die Bekannteste ist. Auf ihren Gartenmauern drängen sich groteske Gestalten aus Tuffstein, die der Kreativität des Prinzen von Palagonia entstammten. Goethe war freilich entsetzt und hielt rein gar nichts von den „gepfuschten Missbildungen“. In seinem Tagebuch bezeichnet er fortan alles, was ihm missfällt, als „palagonisch“. Die scheinbar ohne Konzept aufgestellten Steinfiguren geben der Forschung bis heute Rätsel auf. Führerin durch das Anwesen ist Rosanna Balistreri, Autorin des Buches „Alchimia e architettura“. Sie glaubt die Antwort auf das „palagonische Problem“ gefunden zu haben. „Für mich ist ganz klar: Es gibt eine Verbindung zwischen der Villenkonzeption von Bagheria, der Alchemie und den Freimaurern. Die wilden Figuren der Villa Palagonia symbolisieren das Chaos, während die gegenüberliegende Villa Valguarnera die Weltenordnung darstellt“, erklärt sie. Die Villa Valguarnera ist heute noch bewohnt und daher in viel besserem Zustand als ihre Schwesternvilla. Von der Terrasse aus hat man einen atemberaubenden Blick auf das Meer und die Landschaft.

Tierisches Wahrzeichen. Der Elefant aus Lavagestein auf dem Palazzo degli Elefanti in Catania.
Tierisches Wahrzeichen. Der Elefant aus Lavagestein auf dem Palazzo degli Elefanti in Catania.(c) Fototeca ENIT/ Vito Arcomano/ Sandro Bedessi

„Und so kommt es, dass dieser Ort eine beliebte Filmkulisse ist“, ergänzt Signora Balistreri. Dolce & Gabbana, die Sizilien schon öfter huldigten, drehten hier mit Sophia Loren den Werbespot zum Parfum „Rosa Excelsea“. „Wer wie eine Filmdiva in einer freistehenden Steinwanne baden und die Nächte in einem 300 Jahre alten Himmelbett verbringen will, kann sich in dieser Villa einmieten, denn im Hause Valguarnera ist die historische Innenausstattung komplett erhalten geblieben“, schwärmt Balistreri, „am Abend sind Nachtaktive aber besser in Palermo aufgehoben.“

Das Nachtleben spielt sich dort vor allem im baufälligen Grätzel neben der Piazza San Domenico ab. Wo sich am Tag Markstände aneinanderreihen und Obst, Gemüse und Fisch verkauft werden, wummert am Abend die Musik aus den Boxen. Dort überreicht Simone Di Stefano die Bustickets nach Catania und brüllt, um die Musik zu übertönen: „Die Sizilianer gehen eben gern aus, zur Ruhe kommt die Stadt nie.“ Für die

Busfahrt gibt Di Stefano noch eine sizilianische Spezialität mit auf den Weg: Arancini, gefüllte frittierte Reisbällchen. Auch in Catania speist man hervorragend. Zum Beispiel in den Restaurants rund um den Fischmarkt beim Palazzo degli Elefanti. Das typische Gericht heißt Pasta alla Norma und wurde nach der gleichnamigen Oper des berühmten Sohns der Stadt, Vincenzo Bellini, benannt. „Melanzane schwarz wie die Lava und Ricotta weiß wie die Schnee von Ätna“, erklärt der Kellner in gebrochenem Deutsch. Schwarz und Weiß prägen auch das Stadtbild, die hellen Verzierungen heben sich vom dunklen Vulkansteinputz der Häuser ab. Im 17. Jahrhundert durch einen Ausbruch des Ätna und ein Erdbeben vollständig zerstört, wurde die Stadt einheitlich im Barockstil wieder neu aufgebaut. Der Reiz dieser und anderer Barockstädte des Val di Noto liegt in genau jener unglaublichen architektonischen Pracht und Einheitlichkeit, die Städte gehören seit 2002 zum Unesco-Kulturerbe. Um sich einen Überblick zu verschaffen, lohnt sich der Aufstieg auf den Turm der Chiesa della Badia di Sant’ Agata, die sich gleich neben der Kathedrale befindet. Von oben hat man einen beeindruckenden Blick auf den Ätna, das Meer und die spätbarocke Stadt. Die schmiedeeisernen Balkongitter der ehemaligen Klosterkirche, erfährt man hier, dienten nicht nur dazu, die Nonnen von den Blicken der Passanten abzuschirmen, sie waren auch als Suizidprävention für unglücklich ins Kloster verbannte Frauen gedacht, die regelmäßig versuchten, sich von dort hinunterzustürzen.

Amore garantiert. Gegen depressive Verstimmungen gibt es heute andere Mittel. Die drei Kilometer lange Einkaufsstraße Via Etnea lädt mit einer Vielzahl von Boutiquen und Cafés nicht nur zum Frustshoppen ein. Glückshormone setzt auch eine typisch sizilianische Mehlspeise, der Cannolo, frei – eine frittierte, mit Ricotta gefüllte Teigrolle; am Ende der Shoppingmeile am besten im Café Prestipino gleich neben der Universität von Catania zu genießen. Berauscht von all den Kunstwerken und Köstlichkeiten verliebt man sich langsam und unbemerkt in die Stadt, das Land, die Leute. „Mit lebhaften Ausdrücken der Dankbarkeit und des Wohlwollens“ verließ Goethe 1787 Catania. Da kann man sich nur anschließen.

Tipp

Sizilianisches Frühstück. Granita und Brioche gibt es in jeder sizilianischen Bäckerei.
Beliebtes Dessert. Cannoli isst man zum Espresso.
Keramik. Inspiriert von sizilianischem Barock; von Giacomo Alessi, thatsarte.com

Anreise
Flug nach Palermo mit Iberia via Rom, ab 130 €. Weiter mit dem Zug. In fünfeinhalb Stunden erreicht man mit Trenitalia den Hauptbahnhof Catania, Ticket um 13,50 €.
Flug von Catania nach Wien mit Austrian Airlines, ab 170 €.

Hotels
Hotel Posta, im Zentrum
von Palermo. Doppelzimmer um ca. 90 €.
Via Antonio Gagini 77,
+39/(0)91/587 338
www.hotelpostapalermo.it

Villa Valguarnera in Bagheria. Doppelzimmer mit
Gartenblick um ca. 150 €.
Via Gramsci 27,
+39/(0)91/777 78 16
www.villavalguarnera.com

Hotel Agathae, auf der Shoppingmeile von Catania. Doppelzimmer um ca. 90 €.
Via Etnea 229,
+39/(0)95/250 04 36


Essen und Trinken
Bisso Bistrot in der ehemaligen Libreria Dante. Moderne sizilianische Küche und Klassiker wie Pasta con Zucchini fritte, Hauptgerichte ab 9 €.
Via Maqueda 172, Palermo,
+39/328/131 45 95

Café Prestipino. Sizilianische Snacks, Mehlspeisen, Biscotti, Torten und Eis. Granita um 3 €.
Piazza Duomo 9, Catania,
+39/(0)95/310 429


Kultur
Oratorio di San Lorenzo in Palermo. Das Altarbild „Christi Geburt“ ist eine umstrittene digitale Kopie des seit 1969 verschollenen Originals von Caravaggio. Die Ausstattung stammt vom berühmten palermitanischen Stuckateur Giacomo Serpotta. Ticket 2,50 €.
Via Immacolatella 5,
+39/(0)91/611 81 68.

­­Antikes Theater mitten in Catania. Hier schichtet sich ein griechisches über ein ­römisches Odeon. ­
Ticket 6 €.
Via Vittorio Emanuele 266, Catania, +39/(0)95/715 05 08.

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