Indien: Auf dem Rücken des Sohns von Brahma

In Indien ist der Brahmaputra vielerorts bis zu 13 Kilometer breit und nimmt im Bundesstaat Assam 60 Prozent der Landesfläche ein.
In Indien ist der Brahmaputra vielerorts bis zu 13 Kilometer breit und nimmt im Bundesstaat Assam 60 Prozent der Landesfläche ein.Imago
  • Drucken

Eine Kreuzfahrt auf dem Brahmaputra in Assam ist schon etwas ganz Besonderes: Der mächtige Fluss strömt durch China, Indien und Bangladesch und mündet schließlich nach fast 2900 Kilometern in den Golf von Bengalen. Wir befahren den Teil zwischen Assams Hauptstadt Guwahathi und Tezpur.

Der Name des Flusses stammt aus dem Sanskrit und bedeutet Sohn des Brahma, des Gottes aus dem Hindu-Glauben. Der Brahmaputra ist durch seinen ungewöhnlichen Verlauf vom Kailash weit im Westen von Tibet parallel zum Himalaya durch das ganze tibetische Hochland nach Osten mit keinem anderen Fluss zu vergleichen. In Indien beeindruckt vor allem das an vielen Stellen bis zu dreizehn Kilometer breite Flussbett, das insgesamt 60 Prozent der Fläche des Bundeslands Assam einnimmt!

In Guwahathi wird der Gast nach alter Tradition willkommen geheißen: Er bekommt einen nationalen Shawl. Ein erster Besuch gilt einem der insgesamt 51 zu Ehren der Göttin Sati in ganz Indien gebauten Tempel. Der hinduistische Glaube ist mit vielen tantrischen Riten verbunden. Danach geht es an Bord des gemütlichen MS. Sukapha, wo eine sehr freundliche einheimische Besatzung die Gäste begrüßt. Das Schiff ist nach dem ersten König der Ahom benannt, der im 13. Jahrhundert aus Yunnan eingewanderten Ethnie der Shan.

Nach Beziehen der Kabinen legt das Schiff ab und passiert bald die mitten im Fluss liegende Peacockinsel mit dem Uma-Nanda-Tempel. Er ist Shiva und seiner Frau geweiht. Dieser Tempel entstand Ende des 17. Jahrhunderts. Hier ist der Brahmaputra nur (!) 700 Meter breit, für Europäer – denkend an Rhein oder Donau – eine unglaubliche Breite, aber hier eine der schmalsten Stellen. Bei klarem Wetter sind nördlich die Ausläufer des Himalaya auszumachen. Südlich ist die Landschaft hügelig, teilweise dicht bewaldet.

Das Leben an Bord

Bald nachdem die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, fällt der Anker. Ein erstes köstliches Dinner wird serviert. Die Küche bietet einen Mix von Assam – nicht so scharf wie in anderen Teilen Indiens – und der kontinentalen. Nachts schläft auch der Generato, inmitten der stillen Natur garantiert das eine hervorragende Nachtruhe. Ausgeschlafen stehen manche Passagiere am nächsten Tag schon um halb sechs auf. Auf dem Sonnendeck stehen Tee und Kekse bereit. Schönste Morgenstimmung: ein Sonnenaufgang über den Bergen, im Vordergrund Händler, die mit ihren Naano, offenen Booten mit Paddel oder Staken, zum nahen Markt schippern. Im Morgenlicht ziehen sie goldene Streifen über das Wasser. Am Ufer sind etwa 50 Ahom beim Morgengebet, mit Weihrauch, Öllämpchen und Feuerwerk. Das Frühstück ist europäisch, doch es stellt sich rasch heraus, dass man auch äußerst schmackhafte lokale Gerichte bestellen kann – ein Stück Kultur des Gastlands, das bald zur morgendlichen Gewohnheit wird.

Land und Leute

Weiter geht es, in Begleitung von vielen Delfinen. Im Lauf des Morgens begegnen wir einem der großen Bambusfloße. Der Eigner kauft weit stromaufwärts Bambus und baut daraus ein riesiges Floss. Er lässt sich damit nach Guwahati treiben, wo es hoffentlich mit gutem Gewinn verkauft wird. Anschließend reist der Händler mit einer lokalen Fähre, oft auch zu Fuß, zurück, um neuen Bambus zu kaufen.

Da unsere Reise während der Trockenzeit stattfindet, haben sich zahlreiche Sandbänke gebildet, die zum Teil Abmessungen von kleinen Inseln haben. Nicht weit östlich von Tezpur liegt die mächtige Insel Majuli, 90 Quadratkilometer groß. Viele Sandbänke sind von kleinen Gruppen Muslimen bewohnt. Sie hüten hier während der rund fünf Monate dauernden Trockenzeit ihre Wasserbüffelherden und Kühe. Ein Bhat Bati, eine lokale Fähre, holt einmal täglich die Milch ab. Die Bewohner auf Zeit bauen hier auch Jute und Gemüse an. Gegen Mittag ist die Strömung so stark, dass wir trotz der beiden mit voller Kraft laufenden Dieselmotoren kaum vorankommen. Der Lotse erklärt, dass sich die Sandbänke und Fahrrinnen permanent verändern. Die etwa zehn Stundenkilometer starke Strömung verlangt der Besatzung einiges ab. Unerfahrene würden den Kapitän zu einem Alkoholtest auffordern, weil er konstant in Schlangenlinien fährt – was notwendig ist, um nicht auf Grund zu laufen. Wenn man bedenkt, dass es kaum Bojen gibt, ist das Navigieren, manchmal auch im Dunkeln, eine tolle Leistung.

Häufig verlässt der Fluss nach einer Überflutung sein bisheriges Bett und sucht sich einen neuen Lauf, was jedes Mal große wirtschaftliche Schäden verursacht. Wenn der Monsun beginnt, werden die meisten Sandbänke und Grasinseln von den reißenden Fluten wieder weggespült, um sich in der nächsten Trockenperiode anderswo neu zu bilden. Die Ufer der Sandbänke fallen meistens steil ab und sind bis zu zehn, 15 Meter hoch. Sie gleichen den Gletscherfronten der Arktis und kalben ebenso ab – doch herrscht zwischen dort und hier ein Temperaturunterschied von mindestens 40 Grad. Zudem reißt es oft Häuser und Felder, die zu nahe am Ufer liegen, in den Fluss.

Im Kaziranga-Nationalpark, Weltkulturerbe der Unesco, leben auch Nashörner.
Im Kaziranga-Nationalpark, Weltkulturerbe der Unesco, leben auch Nashörner. (c) Ton Valk

Landgang im Nationalpark

Am Ufer des Brahmaputra liegt der Kaziranga-Nationalpark, Weltkulturerbe der Unesco. Ursprünglich war hier das Jagdgebiet der Ahom-Könige, die in Sibsagar ihre Residenzen hatten. Durch die stetige Erosion sind die Feuchtgebiete und Tiere im Nationalpark bedroht. Dieses Gebiet mit einer Fläche von 430 Quadratkilometern ist der Lebensraum für Tiger, Elefant, Rhino, Büffel, Leopard, Bär, Hirsch, Python und viele andere Bewohner. Die Durchquerung des Parks dauert fast einen ganzen Tag. Der Rücken eines Elefanten ist der absolut beste Observierungsplatz – wenn man sich ruhig verhält, kommen viele andere Tiere fast zum Greifen nahe.

Hindu-Glauben allenthalben

Tags darauf stoppt die MS. Sukapha bei einem kleinen Dorf am Fluss. Sobald die Bevölkerung merkt, dass das Schiff anlegen will, strömen die Menschen zum Ufer. Ein Besuch von Touristen ist ein großes Ereignis in ihrem meist eintönigen Leben. Das Schiff passiert oft nur einmal im Monat diese Strecke und kann zwischen den Sandbänken nicht immer die gleiche Route nehmen.

Die Bevölkerung lebt vom Ackerbau und vom Fischfang. Das Fotografieren der Ahom ist kein Problem, sie posieren gern. Auffallend ist, dass vor allem Männer die kleinen Kinder auf dem Arm tragen. Später an Bord kann jeder während der Weiterfahrt die Impressionen in Ruhe verarbeiten oder eine entspannende Ayurvedische Massage genießen. Jeden Tag wieder beeindruckt das ausgedehnte Strombett – die Eindrücke reihen sich wie eine wunderbare Kette. Eine Wanderung zu der alten Tempelanlage Da Parbatia am Rand von Tezpur auf dem Bamumi Hill ist ein weiterer Höhepunkt dieser Reise. Der Tempel zu Ehren Shivas stammt aus dem vierten Jahrhundert und gilt als das früheste Zeugnis assamesischer Steinmetzkunst. Immer noch gibt es unter den Überresten hervorragende Bildhauerarbeiten zu bewundern, die unter anderem die Geschichte Shivas darstellen – faszinierend, dass bereits vor sechzehn Jahrhunderten Menschen hier ihren Glauben lebten.

Abends steht ein Besuch des Markts von Singri Gath auf dem Programm. Er hat eine Fläche von rund 500 mal 500 Metern – aber es ist erstaunlich, wie viele Hunderte kleine Stände darauf Platz finden. Man hört kein großes Geschrei, die Händler warten geduldig und zurückhaltend auf ihre Chancen. Die schmalen Gassen fast ohne Tageslicht sind nicht breiter als zwei Meter und gleichen einem Labyrinth.

Die Händler freuen sich, wenn man Fotos macht, Touristen sind hier selten. Am vorletzten Tag legen wir unweit der kleinen Stadt Silghat an. Bei einer gemütlichen Wanderung durch den Urwald wimmelt es förmlich von vielen bunten Schmetterlingen. Auf dem Rückweg passieren wir einen kleinen Tempel, wo ein fliegender Händler Opfergaben verkauft. Der Kauf von ein paar Andenken führt zu einem Gespräch mit einem Asketen. Ein Einheimischer, der ein wenig Englisch spricht, gibt den Dolmetscher.

Am Rand von Silghat findet ein fünftägiges Hindufest statt. Jedes Jahr reist die Bevölkerung aus der Umgebung an. Feste Bestandteile von solchen Festen sind Wochenmärkte. Dieser hier ist mehr als fünf Kilometer lang und bietet alles, was man braucht, von Nahrungsmitteln über Möbel bis Schmuck. Wir sind mittendrin und spüren den Herzschlag der fremden Kultur, der eine Zeit lang zu unserem eigenen wurde – und von dem wir am nächsten Morgen nach sieben aufregenden Tagen Abschied nehmen müssen.

FLUSSKREUZFAHRTEN IN INDIEN

Info: Die 40 m lange Sukapha mit Platz für 22 Passagiere gehört der Reederei Assam Bengal Navigation. Elf komfortable Doppelkabinen. Buchungen: assambengalnavigation.com. Es gibt vom gleichen Veranstalter auch die Möglichkeit, auf der Diplu River Lodge im Kaziranga-Nationalpark einige schöne Tage zu verbringen. Alternativ: Bansbari Lodge am Eingang des Manas-Nationalparks an der Grenze zu Bhutan. Das Unternehmen bietet auch Touren auf dem Ganges und Hughly an.

Dertour bietet in seinem neuen Flusskreuzfahrtenkatalog ebenfalls Kreuzfahrten auf dem Brahmaputra an. Termine: Nov. 2016 bis April 2017, 16, 18 Tage ab 3899 € inkl. Flüge. dertour.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.