Wie der Teufel zum Schweizermacher wurde

Die Route über den Gotthard wurde als so ziemlich bester Weg zwischen Italien und den nördlichen Landen erst im 13. Jahrhundert erschlossen und trug zu Wohlstand und Staatswerdung der Schweiz massiv bei. Einer Sage nach wirkte dabei der Leibhaftige mit, weil er eine Brücke baute.

Das Gotthardmassiv, jenes nicht exakt definierte, im Kern aber horizontal gut 20 bis 30 Kilometer lange Gebiet zwischen den Schweizer Kantonen Uri im Norden, Tessin im Süden, Graubünden im Osten und dem Wallis im Westen, ist mehr als ein Gebirge. Es gibt zwar auch keinen eindeutig höchsten Gipfel (gängig ist der 3192 Meter hohe Pizzo Rotondo), dennoch ragt kaum wo ein Gebirge hoch, dessen Bedeutung emotional und objektiv so aufgeladen ist.

Dort greifen vier Kulturen ineinander (Deutsch, Französisch, Italienisch, Rätoromanisch), quellen Flüsse wie Rhein und Rhone, die in verschiedene Meere münden; nördlich davon schlossen die Urkantone Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden 1291 einen Bund, die Keimzelle der Schweiz. Man nannte den Gotthard, der nach dem Heiligen Godehard von Hildesheim (960–1038) benannt ist, gar „helvetischen Sinai“.

Daran ist der Teufel schuld, denn es war so: Der Weg über den Gotthardpass (2106 Meter) an der Grenze Tessin/Uri ist die kürzeste Alpenquerung zwischen dem deutsch-niederländisch-ostfranzösischen Raum und Italien, und nicht zu anstrengend. Über Äonen nahmen Händler, Wanderer und Soldaten aber meist längere Wege über das Wallis, Graubünden und Tirol, die teilweise gar über mehrere Pässe führen. Grund: Der Gotthard führte in eine Sackgasse, denn nördlich davon bei Andermatt ist die Schöllenenschlucht – eine tiefe, unpassierbare Kerbe, wo die Reuss gen Norden in den Vierwaldstättersee fließt.

Mit dem Handel kam der Aufstieg

Ab etwa 1220 bauten vermutlich Walliser erst die Twärrenbrücke, einen 60 Meter langen Holzweg, der längs der südlichen Schluchtwand führte, auf in den Fels getriebenen Balken ruhte und angeblich an Ketten hing. 1230 kam die eigentliche Brücke über die Schlucht. Der Sage nach hatten Urner erfolglos beraten, wie man sie bauen könne, bis einer rief: „Do sell der Tyfel e Brigg bue!“ Er erschien, baute eine binnen dreier Tage, aber forderte die Seele des ersten Überquerers. Ein Bauer trieb also einen Ziegenbock über die Brücke, worauf der Teufel einen Felsen gegen sie warf, aber nicht traf; man sieht den Brocken noch heute weiter nördlich bei Göschenen.

Ab 1230 begann der Transit über den Gotthard. Bauern bildeten Säumergenossenschaften, die den Transport zwischen Vierwaldstättersee und Tessin gegen Gebühr übernahmen. Orte und Kantone nahmen Zölle. Man baute Pfad und Teufelsbrücke aus, am Gotthard ein Hospiz, entlang der Route Gasthäuser und andere Gewerbe. Ab etwa 1775 konnte man teilweise mit Wagen fahren, 1830/31 öffnete eine gepflasterte Passstraße. 1872–1882 wurde der 15 Kilometer lange Gotthard-Eisenbahntunnel gebaut, unter üblen Umständen und hohen Opfern (mehr als 199 Tote) bei den Arbeitern, meist Italienern. 1953 bis 1977 entstand die moderne Straße über den Pass und durch die Schlucht, 1980 öffnete der Gotthard-Autotunnel.

Es heißt, dass erst die Teufelsbrücke und der folgende Transithandel die politisch zersplitterten Innerschweizer zu Kooperation, zum Bund („Rütlischwur“) von 1291, zum Kampf gegen fremde Mächte wie Habsburg-Österreich, Mailand und Burgund, letztlich zu Wohlstand und Staatsbildung brachten. Nun, dann steckt also der Teufel dahinter. Jedenfalls der Sage nach.

LEGENDÄRE SCHLACHT

1799, im Zweiten Koalitionskrieg (Frankreich gegen England, Österreich, und Russland), führt der russische Marschall Alexander Suworow eine Armee aus Italien über den Gotthard, um mit Österreichern die Franzosen, die 1798 die Schweiz besetzt hatten, bei Zürich anzugreifen. Am 25. 9. erobern die Russen in einer wilden Schlacht die Teufelsbrücke in Uri, die Franzosen weichen, Suworow bleibt aber am Vierwaldstättersee stecken, dort enden die Wege, es gibt keine Boote. Er zieht sich über weitere Pässe und Vorarlberg nach Osten zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2016)

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