Törggelen: Zwischen den Reben

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Kastanien bilden die Basis, für Trinkfreude sorgen neue Sylvaner, Weißburgunder, Kerner. Dazwischen macht der Wanderer Kilometer.

Der Brauch des Törggelens hat durchaus einige Ähnlichkeiten mit dem Ritual der Österreicher, an die südliche Landesgrenze zu fahren, sich nach jeder Kurve der sich hügelauf-hügelab windenden Landstraße bei Sturm und Kastanien einzubremsen und hernach in einer Buschenschänke bei einem jungen Weißwein und einer Brettljause länger zusammenzusitzen. Nur dass es dort meist nichts Warmes zu verkosten gibt, außer es handelt sich um eine Gastwirtschaft – anders als in einer Südtiroler Hofschank, einem Weingut oder einer Landwirtschaft mit der Lizenz, hereinschneiende oder per Reservierung angekündigte Gäste mit Gerstlsuppe, Bauernbratl, Rippelen und anderen Deftigkeiten aus der Nutztierverarbeitung zu verköstigen.

Anders auch als in der hiesigen Praxis ist das Törggelelen in seiner Reinform mit einer längeren Wanderung verbunden, naturgemäß verträgt sich die Verkostung neuer Weine nicht mit der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs. Man marschiert durch Rebzeilen und Baumreihen von einem Weinhof zum anderen, verkostet in moderaten Mengen, vergleicht und baut unterwegs die Grundlage für die nächste Einkehr auf. Das tut man meist nicht allein, oft formiert sich der Törggeler zu einer Gruppe.

Hilfe und Dank bei der Weinlese

Und dann dauert dieses Törggelen kalendarisch noch ein kleines bisschen länger als ein durchschnittlicher Weinherbst hierzulande, nämlich bis weit in den November, weil das milde Wetter südlich des Alpenhauptkamms Wanderer doch eher in die Natur hinaus lockt als dahinter. Jenseits des Brenners spricht man deshalb von einer „fünften Jahreszeit“, in der das Törggelen nicht als eine Einzelaktion, sondern als eine Wiederholungstat angelegt ist. An den Wochenenden scheint halb Südtirol auf den Beinen, inklusive der Besucher aus den benachbarten Ländern und weitergereisten Gästen, die gerade dann hier buchen.

Geschuldet ist das heutige Törggelen einem generationenalten Brauch: Die Weinbauern mit ihren kleinen Rebflächen und oft in schwieriger zu bewirtschaftenden, steilen Lagen waren meist darauf angewiesen, dass alle beim Weinlesen mitanpacken, man sich im Dorf untereinander aushilft. Als Dank gab es nach getaner Arbeit für alle Helfer den neuen Wein zu verkosten, was dazu führte, dass man sich im Herbst durch mehrere Höfe beziehungsweise Keller durchkostete. Man marschierte zum Nachbarn, um dort den „Nuien“ (Neuen) zu verkosten, und der Nachbar zum Nachbar. Der Name übrigens leitet sich nicht vom Torkeln ab, sondern von Torggl, dem Dialektausdruck für die Weinpresse, torcula, was aus dem Lateinischen von torquere (drehen) stammt. Es beschreibt die Drehung der Presse, wenn sie sich auf die Maische senkt.

Kastanien folgen, beim Wein landen

Der Ursprung des Törggelen liegt im Eisacktal und seinen steilen Terrassen, auf denen oft nur wenige Rebzeilen Platz finden. Zwischen Brixen und Bozen gedeihen hervorragende Weißweine, die international zunehmend an Bekanntheit gewinnen. Oft gelingt der Weinbau bis in große Höhen hinauf, Müller-Thurgaus, Veltliner, Burgunder vertragen das hier – in Gemeinschaft mit Edelkastanienhainen voll uralter, stattlicher Bäume.

Eine gute Strategie, das Törggelen mit viel Bewegung und Naturgenuss zu verbinden, bietet der „Keschtnweg“, der auf halber Höhe über dem Tal und durch die wichtigsten Weinbaugemeinden wie Villanders oder Feldthurns führt. Man startet beim berühmten Weinkloster Neustift und läuft beim Schloss Runkelstein bei Bozen ins Ziel ein. An die 60 Kilometer lang ist diese abwechslungsreiche Strecke, die sich vernünftigerweise in vier Etappen teilt, weil eben hier viele Buschenschänken liegen. Viele von ihnen sind mit dem Roten Hahn ausgezeichnet, einem Label mit strengen Auflagen für (wein-)bäuerliche Betriebe. Dort muss man sich keine Sorgen machen, in massentouristische Themengastronomie hereinzufallen, sondern in einen Betrieb, bei dem Authentisches auf den Tisch kommt. Nur um die kulinarische Liste eingangs zu komplettieren, wären das Schlutzkrapfen, Schlachtplatten, Knödel, Kiachln und Blutwurst. Wobei die Ausgangsbasis immer die Kastanie bildet – die Unterlage für die trinkfreudigen Sylvaner, Weiß- und Grauburgunder, Müller-Thurgaus oder Kerner. (MAD)

WEIN UND WANDERN

„Törggelen am Ursprung“ heißt eine Initiative des Roten Hahns im Eisacktal, rund um Bozen und Meran mit 24 beteiligten Buschenschänken. Dort gibt es feine Weine, geröstete Kastanien und typische Südtiroler Spezialitäten. Manche Betriebe bieten Hof-Führungen und lassen die Gäste auch einen Blick in den Speckkeller werfen. www.roterhahn.it/de/news/toerggelen-am-ursprung

Keschtnweg: Führt in vier Etappen auf

halber Höhe über dem Eisacktal zwischen Kastanienhainen dahin und passiert auf dem Weg von Neustift bis Oberbozen mehrere bekannte Weingemeinden. www.eisacktal.com

Wein-Info: www.suedtirolwein.com

Südtirol-Info: www.suedtirol.info

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2016)

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