USA: Im Himmel für Kirschkuchen

Snoqualmie liegt rund eine Autostunde von Seattle entfernt.
Snoqualmie liegt rund eine Autostunde von Seattle entfernt.Imago
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Mit der Serie „Twin Peaks“ sorgte David Lynch für eine TV-Revolution. Wer zur Spurensuche im pazifischen Nordwesten aufbricht, landet in einer Parallelwelt.

Eine Plakette, die an den Fund einer Leiche erinnert, ist schon ungewöhnlich. Dass vor dem dicken Zedernstamm an der Kiana Lodge aber hin und wieder Personen auftauchen, die sich an dieser Stelle umhüllt mit Plastikplane im Kieselsand fotografieren lassen, gibt es wohl nirgendwo sonst. „Ich habe hier sogar schon eine ganze Busladung beobachtet, die Bilder von sich als Leichen gemacht haben“, erinnert sich Red lachend, einer der Angestellten der Lodge westlich von Seattle.

Doch es handelt sich nicht um irgendeine Tote, die hier 1989 in Plane eingewickelt angespült wurde, sondern eine der berühmtesten der Fernsehgeschichte: Laura Palmer, die Highschool-Schönheit aus David Lynchs bahnbrechendem TV-Serienklassiker „Twin Peaks“. Der FBI-Spezialagent Dale B. Cooper und Sheriff Harry S. Truman suchten damals ihren Mörder in der Kleinstadt und stießen hinter deren Fassaden im Lauf der 30 Episoden auf finstere Abgründe und Obsessionen.

„Wir sehen uns in 25 Jahren“

Trotz der großen Begeisterung wurde die Serie, die alte Sehgewohnheiten mit ihrem surrealen Mix aus Seifenoper, Krimi und Übernatürlichem herausforderte, nach dem Ende der zweiten Staffel abgesetzt – mit einem denkbar gemeinen Cliffhanger. Schon damals deutete Laura Palmer dem Agenten in einer Traumsequenz bereits eine Rückkehr an. „Wir sehen uns in 25 Jahren“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Keiner hat wirklich mit einer Fortsetzung gerechnet. Doch Lynch und sein Ko-Autor Mark Frost hielten Wort – wenngleich wegen der längeren Produktionszeit nun 26 Jahre bis zur Ausstrahlung im kommenden Frühjahr daraus geworden sind. Mehr als sechs Monate drehte der Regisseur von Meisterwerken wie „Mulholland Drive“ und „Blue Velvet“ im vergangenen Herbst und Winter dafür wieder vor Ort: In der Kleinstadt Everett, wo nach wie vor das Haus der Serienfamilie Palmer steht. Vor allem aber in Snoqualmie und North Bend, rund eine Autostunde von Seattle entfernt.

Rustikal, beschaulich, entschleunigt

Wer die Serie kennt und in die Gegend fährt, wird bei einer Spurensuche das Gefühl haben, schon einmal da gewesen zu sein. So vertraut fühlt sich die US-Kleinstadt-Atmosphäre an: rustikal, beschaulich und entschleunigt. Manchmal obskur, etwa der als Sehenswürdigkeit überdachte und umzäunte Riesenbaumstamm in Snoqualmie. Immer wieder geheimnisvoll bei der Fahrt über die Landstraßen, die sich durch die dichten, dunklen Wälder mit mächtigen Douglas-Tannen schlängeln. Wenn dazu noch Angelo Badalamentis jazziger, unheimlicher Soundtrack aus den Autolautsprechern kommt und der dichte, weiße Nebel langsam durch die Landschaft kriecht, ist das endgültig wie der Eintritt in eine Serienparallelwelt – auch wenn das berühmte Ortsschild nach dem Dreh längst wieder abgebaut wurde.

Die Salish Lodge, einst zumindest von außen das Great Northern Hotel der Serie, gehört zu den wenigen Orten, wo man schon zeitig für den kommenden Hype vorgesorgt hat. Im Shop des gehobenen Spa-Hotels findet man geschmackvolles Merchandising; in der Bar kann man einen Dale-Cooper-Cocktail bestellen. Da es keine offiziellen Touren gibt, hilft die Lodge den Gästen zudem mit einem Plan weiter, auf dem die wichtigsten Drehorte von einst eingezeichnet sind. Von denen existieren die meisten mehr oder weniger unverändert: das Roadhouse in Fall City, das erneut die Außenkulisse der gleichnamigen „Twin Peaks“-Bar lieferte. Und die rostige Eisenbahnbrücke, auf der die junge Ronette Pulaski einst im Pilotfilm misshandelt entlangschlich und Fans seitdem vielfach das „Twin Peaks“-Symbol ans Geländer gekritzelt haben.

Der Wasserfall, der gleich vor der Salish Lodge 82 Meter in die Tiefe stürzt, ist mit jährlich über anderthalb Millionen Besuchern eine der größten Touristenattraktionen im Staat Washington. Im „Twin Peaks“-Vorspann war er genauso verewigt wie die alte Sägemühle ein paar Meilen weiter, deren Schornsteine längst nicht mehr rauchen. Große Teile wurden abgerissen. Nur ein Schlot steht als trotziger Rest in Sichtweite eines weiteren Peaks-Hotspots, des kleinen Flachbaus, der als Sheriff-Station diente.

Darin befindet sich seit ein paar Jahren die Dirtfish Rally School, wo Adrenalinjunkies mit Rallye-Autos über den Parcours vor der Tür heizen können. „Sagt allen Fans, sie können gern hier reinkommen und sich umschauen“, erklärt die Empfangsdame Lisa, die so etwas ist wie die reale Version von Lucy, der „Twin Peaks“-Sheriff-Sekretärin mit der piepsigen Stimme. Sie scheint froh über etwas Ablenkung und hat nichts dagegen, dass Fans ein Foto hinter ihrem Schreibtisch machen. Oder dass sie sich umschauen in den Räumen, die für den erneuten Dreh innerhalb weniger Stunden wieder in die Polizeistation verwandelt wurden – inklusive des obligatorischen Tisches voller Donuts, für die der Sheriff und seine Deputies damals schon eine ausgeprägte Schwäche hatten. Nach zehn Tagen verschwand alles wieder. Mittlerweile erinnert nur noch der Wandabdruck eines ausgestopften Elchkopfs, dass hier für zehn Tage wieder Twin Peaks war.

Kirschkuchen im Double R Diner

Mehr noch als hier verschwimmen im ikonischen Twede's Cafe in North Bend die Grenzen zwischen Kleinstadtwirklichkeit, „Twin Peaks“-Gefühl und Drehkulisse vollends – sieht man von den obskuren Ratgeberbüchlein auf den Tischen und dem Stoff-Tweety über dem Counter ab. In der Serie ist es das Double R Diner, laut Agent Cooper „der Himmel für Kirschkuchen“ und ein ganz typisches American Diner im Retrostil mit roten Kunstledersitznischen und einer langen Theke. Auch in der Realität trinken hier viele Einheimische ihren Kaffee oder essen Pancakes. Doch dazwischen sind auch immer wieder „Peaks“-Fans, die sich ganz auffällig unauffällig umschauen. So ehrfürchtig wie aufgeregt versenken sie ihre Gabel in die berühmte, süße Cherry Pie und lassen sich gern von den Kellnerinnen im „Twin Peaks“-Shirt den „verdammt guten Kaffee“ nachschenken.

„Ich bin aus denselben Gründen hier“, sagt einer der Gäste fast schon konspirativ, ein Australier und Fan seit der ersten Folge, der sich die Zeitungsausschnitte und Bilder auf dem Weg zur Toilette anschaut. Dass das Diner genauso wie in der Serie aussieht, ist aber erst seit rund einem Jahr der Fall. Nach einem Brand wurde es im Jahr 2000 mit einer völlig anderen Inneneinrichtung wiedereröffnet. Nach Ankündigung von Staffel drei schaute Lynch aber persönlich vorbei und vereinbarte mit dem Besitzer, Kyle Twede, das Double R Diner wieder im „Twin Peaks“-Stil herzurichten. „Wir lassen das jetzt auch so“, sagt die junge Bedienung Nicole, die die Serie nie gesehen hat.

Was in der Serie sonst noch so sein wird wie einst? Darüber ist wenig bekannt. Filmkünstler Lynch liebt Geheimnisse, und das nicht nur in seinen Filmen. Auch über die dritte Staffel ist sehr wenig bekannt, etwa die Liste mit 217 Darstellernamen, auf der viele der alten Darsteller auftauchen, aber auch neue. Was durchsickert, erhöht nur noch die Spannung bis zum Frühjahr 2017.

„TWIN PEAKS“, DIE DRITTE

Übernachten: Salish Lodge & Spa, 6501 Railroad Ave, Snoqualmie, WA 98065, www.salishlodge.com

Tipps:
Twede's Café, 137 W North Bend Way, North Bend, WA 98045, www.twedescafe.com
Roadhouse, 4200 Preston Fall City Rd SE, Fall City, WA 98024, www.fcroadhouse.com

Weitere Infos über die dritte Staffel von „Twin Peaks“: www.sho.com/twin-peaks

Compliance-Hinweis: Die Reise wurde von Visit Seattle unterstützt: www.visitseattle.de

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