Nobelobjekte suchen Restaurator

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INDIA-SOCIETY-PEOPLEAPA/AFP/REBECCA CONWAY
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Rajasthan ist berühmt für seine prächtigen Paläste und Wehranlagen der Maharadschas. Weniger bekannt sind die Havelis. Manche dieser schmuckvollen Kaufmannshäuser gleichen Ruinen, andere erstrahlen im frisch restaurierten Glanz.

Von links rattert ein Tuk-Tuk, von rechts ächzt ein Rikschafahrer, von vorn knattert ein Lastwagen und dröhnt sein schrilles Horn. In der Mitte der holprigen Straße sitzt eine Kuh und kaut – sie weiß, wie heilig sie ist. Ein Dauerhupkonzert in den unterschiedlichsten Klangfarben begleitet den Besucher auf seinem Weg durch die Stadt. Ein „Angriff auf die Sinne“ nennt Vipin Agarwal den Spaziergang durch die Straßen von Jodhpur, jener Millionenstadt im Nordwesten Rajasthans. „Sie heißt auch die blaue Stadt“, erzählt der Maharadscha-Experte. Blau? Damit unterscheide sie sich aufgrund der blau gefärbten Häuser von anderen Städten wie der weißen Stadt Udaipur oder der „Pink City“ Jaipur.

Wie sie lebten und welchen Ritualen die Maharadschas huldigten – das demonstrieren die Besuche in den gigantischen Palastanlagen. Doch was den Maharadschas ihre Paläste, waren den Kaufleuten ihre Havelis, jene Häuser aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in denen sie lebten und ihre Besucher empfingen. Anders als die opulenten Paläste, verfallen und verrotten die Havelis heute, auch wenn einige wenige ihrer Besitzer sie hingebungsvoll restaurieren und pflegen. „Schon wegen der hohen Kosten bleibt dies aber eher die Ausnahme“, bedauert Vipin, der ein Herz für diese einst noblen Objekte hat.

Innenhöfe, Säulen, Fresken

Wie es wirklich um die Kulturschätze steht, verdeutlicht die Stadt Nawalgarh in der Shekawati-Region. Hier stehen sie: prachtvoll schöne Bauwerke mit üppigen Innenhöfen, unzähligen Säulen und Fresken mit Tier- und Kolonialmotiven, an denen der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen hat. „Die Einwohner sind sich des besonderen Kulturschatzes ihres Ortes oft nicht bewusst“, erklärt Vipin ihren Zustand. Und tatsächlich liegt eine gewisse Lethargie über dem Ort. Männer sitzen auf den Zufahrtsrampen der Havelis, wo früher die Kamelherden nach langer Reise anheuerten. Sie lesen Zeitung oder beobachten teilnahmslos das Geschehen auf der Straße. Andere sitzen dösend rund um einen Brunnen, der mit seinen vier Türmen inmitten des Ortes emporragt. „Er zeigte den Karawanen, die aus der Wüste kamen, den Weg zur Wasserstelle“, erklärt Vipin dieses markante Bauwerk, das sich wie eine Trutzburg dem Verfall entgegenstellt.

Kaum Geld für Sanierung

Einst seien die Havelis zu einem niedrigen Preis in die Hände von Käufern gelangt, auf Dauer fehlte ihnen aber das Geld für die aufwendigen Sanierungen, fasst Vipin in perfektem Deutsch das Dilemma zusammen. Auch Denkmalschutzorganisationen hätten bisher wenig erreicht. Einen Lichtblick gibt es aber doch: In dem ehemaligen Haveli und heutigen Museum von Navalgarh sieht der Besucher die typischen Trachten der Kaufleute, macht sich ein Bild vom täglichen Leben in diesen Gebäuden und erfährt, wie die Aufgaben zwischen Mann und Frau verteilt waren. Auch in Fatehpur, einem weiteren Ort auf einer klassischen Rajasthan-Rundreise, lassen Havelis den Glanz vergangener Tage nur noch erahnen: Bei manchen steht gerade einmal die Fassade mit verblassten Malereien, dahinter türmen sich nur mehr Geröll und eingestürzte Mauern. Die Bewohner leben mit dem Verfall, sie wundern sich, dass Besucher die weite Reise nicht scheuen, um gerade diese verfallenen Häuser zu besichtigen. Immerhin: Ein Haveli ist zum Hindutempel mutiert, Opfergaben der Gläubigen könnten sein Leben verlängern.

Chefsache in Jaisalmer

Überleben kann diese Architektur am besten in der goldenen Wüstenstadt Jaisalmer, die wegen ihrer schimmernden Sandsteinbauten so genannt wird. Vielleicht liegt das daran, vermutet Vipin, „dass Indira Gandhi einst mit dem Hubschrauber über der Weltkulturerbe-Stadt kreiste und aus der Luft einen großen fünfteiligen Gebäudekomplex in den Gassen der Stadt entdeckte“. Selbst aus der Höhe habe sie den maroden Zustand des Haveli erkannt – sie war beeindruckt und besorgt zugleich. Anschließend machte sie diese Objekte zur Chefsache: „Sie leitete die Restaurierung ein und sicherte dem indischen Staat Anteile“, berichtet Vipin. Damit nicht genug. Die Wüstenstadt wartet wohl auch dank der Gandhi-Initiative mit weiteren Großtaten Einzelner auf. Etwa der liebevollen Arbeit von Navneet Vyas: Er verwandelte sein Haveli in das Hotel Suray. Mit zusätzlichen Holzträgern konnte die Statik des Gebäudes aufrechterhalten werden. Über Spenden finanziert Vyas weitere Maßnahmen.



Auch das Beispiel des Diwan Nathmal Ki Haveli ist ein positives: Nand Kishor Mehta (ein Urenkel des einstigen Premiers aus der Kolonialzeit) finanziert sein Haveli mit hochwertigen Handarbeiten und Antiquitäten im hauseigenen Shop. „Die Substanz ist gut erhalten“, schwärmt der Besitzer, der mit seiner Familie selbst in dem Haus lebt. Stolz zeigt der geschäftstüchtige Architekturfreund die Geschenke und Andenken der einstigen Könige und Politiker, die der Urgroßvater in seinem Haus auszustellen pflegte. Darunter auch ein Porzellanrelief von König Ludwig II. aus Bayern. Ihm lag ja ohnehin als leidenschaftlicher Schlossbauherr an gediegenen Bauwerken. „Sicher hätte er noch eine Idee für die ein oder andere Erweiterung des Hauses gehabt“, meint Vipin. Nun lebt der Märchenkönig fort in einem Haveli nah der Wüste, und mit ihm die Granden der damaligen Politik – von King Edward bis Queen Victoria.

Bau-Schau quer durch Rajasthan

Reiseveranstalter: Der Autor war unterwegs mit SKR-Reisen „Auf den Spuren der Maharadschas“, www.skr.de

Weitere Anbieter: Bei Kneissl Touristik wird Rajasthan als klassische Rundreise in mehreren Varianten angeboten. Bei zwölf Tagen sind Udaipur, Jaisalmer, Jaipur und der Taj Mahal auf dem Programm. Eine 24-tägige Rundreise mit Sultan Singh Deol umfasst auch Wildbeobachtungsfahrten, Kochkurs,
Bootsfahrten, Flug ab Wien und Bundesländer. Mit wenig Zeitbudget: neuntägige Reise mit Taj Mahal, Prunkstädten, Nationalpark. Info bei
Kneissl Touristik, +43/(0)7245/207 00
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www.kneissltouristik.at
bzw. Kneissl Touristik Wien +43/(0)1/40 80 44-0
wien@kneissltouristik.at


Indien-Infos:
www.indienaktuell.de
www.rajasthantourism.gov.in


Literaturtipp: Edda Neumann-Adrian und andere: „Rajasthan mit Delhi und Agra. Tipps für individuelle Entdecker“, Verlag Iwanowski
Rainer Krack: „Kulturschock Indien“, Verlag Reise Know-How


Klima und Reisezeit: Von Oktober bis April ist die beste Reisezeit für Rajasthan. Die Temperaturen übersteigen nur selten 30 Grad, mit Niederschlägen ist kaum bis gar nicht zu rechnen.

(Print-Ausgabe, 31.12.2016)

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