Fast allein mit Ingrid Bergman

Skandinavien II. Im Sommer voller Urlauber, im Winter menschenleer: Auf den Schäreninseln Westschwedens kann man paddeln, über Inselrücken wandern und die kühlen Temperaturen in der heißen Wanne ausbremsen.

Das kleine Boot sieht man in der Ferne kaum. Dafür hört man es. Vorsichtig bahnt es sich den Weg durch die dünne Eisschicht, die sich über Nacht auf dem Meer gebildet hat. Meter für Meter frisst sich das Boot durch die Bucht von Fjällbacka. So gut wie nichts anderes ist an diesem Morgen in diesem Hafenort zu bemerken, der in Camilla Läckbergs Krimis verewigt wurde: kein Auto, kein weiteres Boot, nur ein paar ältere schwedische Damen, die mit ihren Hunden spazieren gehen.

Stille herrscht beim halbstündigen Aufstieg auf den Königfelsen und dann oben beim Blick über das Archipel vor der westschwedischen Küste: Ein Jahr lang könnte man hier jeden Tag eine andere Insel besuchen, so viele dieser kargen Granitfelsen sind ins Meer gekleckst. Dabei ist es kaum vorstellbar, dass dieser hübsche Urlaubsort im Sommer voller Touristen ist, die durch die Straßen, am Hafen und an Ingrid Bergman vorbeiziehen, zumindest an ihrer Bronzebüste. Sie erinnert daran, dass die legendäre Schauspielerin es liebte, ihre Sommer hier und auf der Insel Dannholmen zu verbringen.

Doch auch in der kalten Jahreszeit hat die Schärenlandschaft ganz klar ihren Reiz. „Beim Paddeln ist fast niemand auf dem Wasser unterwegs“, erzählt Marcus Holgersson. Gemeinsam mit seiner Frau Ingela bietet er seit ein paar Jahren Kajaktouren und andere Outdoor-Aktivitäten rund um den Küstenort Grebbestad an. „Manchmal kann ich auf dem Wasser sogar meine Uhr ticken hören, so ruhig ist es.“ Der einzige Nachteil für Sport im Winter: die Temperatur, die irgendwo um den Gefrierpunkt herum dümpelt.

Anziehen, reinstopfen

Die Vorbereitungen für das Paddeln dauern daher etwas länger – bis man das Flies, die warme Unterwäsche, die Mütze, die Handschuhe angezogen und schließlich alles in den wasserdichten Anzug gezwängt hat. Nach einer halben Stunde sitzt aber alles, wo es sitzen soll, und man hofft, dass man in den nächsten Stunden nicht auf die Toilette muss.

Die Bedingungen zum Paddeln sind an diesem Wintertag sonst ideal für eine Runde durch die Schären: Das Wasser ist eisfrei. Die Sonne strahlt von einem fast wolkenlosen Himmel, als wäre es bereits der erste Frühlingstag. „Ganz so kalt wie in anderen Gegenden Schwedens wird es hier wegen der Nähe zum Meer ohnehin nicht“, erklärt der 40-jährige Schwede auf dem Weg zum Strand. Dort stehen die Kajaks bereit, wenige Minuten später liegen sie auf dem Wasser und die Paddler sind startklar. Das Ziel ist Käften, eine der größeren Inseln des Archipels. Auf dem Weg dorthin will man, mehr noch als bei anderen Kajaktouren, eines nicht: kentern. Denn schon bei dem Gedanken daran fängt man an zu schlottern – trotz Schutzanzugs. Daher heißt es: gut konzentrieren auf Strömungen und Wellen, die anfangs etwas unruhig sind.

Schnell stabile Lage finden

„Sucht euch einen festen Punkt am Horizont, das gibt Stabilität beim Paddeln“, rät Marcus. Nach kurzer Zeit verhält sich das Meer tatsächlich so, dass das Kajaken mit den Anweisungen des Guides selbst für die Gelegenheitspaddler kein Problem ist. Ohnehin fangen die vielen Inseln, die während der Tour vorbeiziehen, die Kraft des Meeres ab. Einmal sind sie größer, einmal nur ein paar Quadratmeter klein, manche sind komplett unberührt. auf einigen aber sitzen die typischen Holzhäuschen wie knallrote Farbtupfer im Grau.

Nach einer guten Stunde, in der sich nicht wie erhofft Kegelrobben in Sichtweite, sondern nur ein paar neugierige Enten in die Nähe des Kajaks getraut haben, ist der Strand in der natürlichen Bucht von Käften erreicht. So schön es aussieht, zum Zeheneintauchen ist es natürlich zu eisig. Stattdessen wird eine Fika zubereitet, sprich die typische Nachmittagsjause: In Schweden schätzt man viel Kaffee und Süßes dazu. Marcus packt einen Zimtkuchen und Muffins aus, der Kaffee dampft aus den Trinkbechern in die kalte Luft.

Gemächlich wird nach Grebbestad zurückgepaddelt, wobei die Gruppe immer wieder an Hummerreusen vorbeikommt, die im Wasser liegen. „Hummer gibt es bei uns jede Menge – genauso wie Austern“, erklärt Marcus, wobei man sie nur von Ende September bis etwa April fangen darf. Ingela hat nach der Rückkehr jedoch eine andere passende Mahlzeit für die Paddler auf den Tisch gebracht: Lachs- und Hummersuppe mit frisch gebackenem Brot.

Hinschippern, weiterwandern

Ingela übernimmt auch am nächsten Tag beim Wandern an der Küste das Kommando, zahlreiche Wanderwege führen durch das leichte Gelände. Ein beliebtes Ziel ist das Tjurpannans-Naturreservat, in dem der Weg entlang von Heidefeldern zur Küste führt. Vieles ist hier eine Hinterlassenschaft der Eiszeit, überall stößt man auf Findlinge unterschiedlichster Größe. „Mein Großvater hat den Granit noch abgebaut, heutzutage ist die Natur hier aber geschützt“, erklärt Ingela am Strand, hüpft zielsicher von Stein zu Stein zu Stein und hält kurz inne, um die Atmosphäre zu absorbieren: die raue Natur, die man für sich allein hat. Den Geruch des Meeres. Das Rauschen der Wellen, die im Winter etwas ungestümer gegen die abgeschliffenen, runden Felsen schlagen.

Auch am Ende der Wanderung bei Havstenssund wartet ein hervorragender Ausblick auf die Gruppe. Allerdings muss man sich durch eine Felsspalte zwängen und dann noch ein paar Meter aufsteigen, um plötzlich das Farbenspiel beobachten zu können – wie die untergehende Sonne das Archipel einfärbt.

Storö liegt außerhalb des Blickfelds, da so weit westlich wie keine andere schwedische Insel. Um dorthin zu gelangen und eine Nacht in dem Gästehaus zu verbringen, steigt man im Hafen von Fjällbacka auf den hauseigenen Katamaran. Eine halbe Stunde brettert er hart über die Wellen und vorbei an immer mehr Schären, bis schließlich die Hauptinsel der Wetterinseln mit dem weithin sichtbaren Wahrzeichen zu sehen ist: dem alten Turm an der Lotsenstation, die den Schiffen einst durch das zum Teil schwierig befahrbare Archipel half. Einige rote Holzhäuser liegen dem Turm dort zu Füßen. Echte Insulaner, Fischer und Seeleute leben dort seit den 1960er-Jahren nicht mehr. Die meisten Häuser sind mittlerweile Ferienhäuser, und es gibt das gelbe Värdshus, das Gästehaus.

Fisch essen, draußen baden

Das winzige Zimmer dort ist recht urig, sparsam eingerichtet und mit ein paar hübschen maritimen Details dekoriert. Das Bett vielleicht zu schmal für zwei Personen, die in Ruhe schlafen wollen, aber wer mag, weicht eben auf die Koje aus. Und überhaupt gibt es hier ja anderes zu tun, als abzuhängen.

Sörö genauer erkunden etwa: über Felsen und Steine kraxeln. Selbst, wenn man dabei vom Weg abkommt: Verlaufen kann man sich auf dem kleinen Eiland nicht, auch wenn auf dem Spaziergang im Seewind die Gedanken durcheinanderwirbeln. Man muss einfach nur den prägnanten Turm im Blick behalten.

Auf Storö stehen die kurze Auszeit und das Abschalten vom Alltag im Vordergrund. Dafür gibt es die entscheidenden Dinge, die man braucht: Das Essen im Restaurant ist hervorragend – vor allem Meeresküche mit Fisch und Muscheln, schön angerichtet, in gemütlicher Atmosphäre. Abends sitzt ein lokalprominenter Sänger an einem der Tische, der so erfreut ist, erkannt zu werden, dass er spontan gleich ein paar Lieder singt. Gar nicht lang zuvor saß auch er noch in einer der zwei großen Hot Tubs, denen bei den kühlen Temperaturen mit viel Holz ordentlich eingeheizt wurde. Zwischen netten Leuten kann man dort eintauchen, ins Gespräch kommen oder auch nicht, in die Landschaft schauen und eines der kalten schwedischen Biere trinken. Hätten die Kajaktour und das Wandern nicht dafür gesorgt, dass der Stress der vergangenen Wochen verschwunden ist: Spätestens jetzt wäre er vergessen.

ZU WASSER, ZU LAND

Das Archipel vor Bohuslän in Westschweden gilt als eines der weltweit besten Gebiete zum Seekajakfahren. Ausgangspunkt zu den 8000 mehr oder weniger großen Inseln und Felsen sind Fjällbacka oder Grebbestad. Anlanden und zelten ist erlaubt gemäß Jedermannsrecht. Für das Winterkajaken (im Neoprenanzug) ist es sinnvoll, schon erste Paddelerfahrungen zu haben, weil das Meer rauer sein kann und viel kälter ist. Ingela und Marcus Holgerssons Skärgårdsidyllen bietet auch im Sommer geführte Paddeltouren an und vermietet Boote. www.skargardsidyllen.se

Übernachtung:Ingela und Marcus vermitteln ebenso Unterkünfte an der Küste: Eigenes gemütliches „Oceanview Cottage“, mit weitem Meerblick von der Terrasse, www.skargards-idyllen.se/en/oceanview-cottage

Mit größerem Zeitbudget empfiehlt sich, auch auf den Wetterinseln zu übernachten, den westlichsten Inseln des Landes – urige, aber nicht gerade preiswerte Unterkünfte in den alten Häusern einstiger Seeleute, www.vaderoarna.com

In Fjällbacka hat das komfortable Stora Hotellet Bryggan auch im Winter geöffnet, www.storahotelletbryggan.se

Lesetipp: Camilla Läckberg-Krimis spielen in der Gegend

Info: www.westsweden.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2017)

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